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Interview mit Siroos Mirzaei: Wie die Behörden im Iran Kritiker*innen verfolgen und was wir alle dagegen tun können © Amnesty-NW Frauenrechte

Veröffentlicht am 15. April 2021


Recherchen von Amnesty International zeigen immer wieder auf: Die Behörden im Iran unterdrücken die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit massiv. Frauen sowie Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten sind Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen sind weit verbreitet und werden systematisch angewendet, ohne geahndet zu werden. Gerichte verhängen Körperstrafen, die der Folter gleichkamen, wie Auspeitschungen und Amputationen. Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren wurde systematisch verletzt. Die Todesstrafe dient als Mittel der politischen Unterdrückung.

Das Innenministerium sowie die Sicherheits- und Nachrichtendienste verbieten unabhängige politische Parteien, Menschenrechtsgruppen und andere zivilgesellschaftliche Initiativen. Alle Arten von Medien unterliegen der Zensur, und ausländische Satellitensender werden gestört. Die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube sind blockiert.

Zu den von den Behörden Verfolgten zählen Rechtsanwält*innen, Aktivist*innen und andere Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für die Umwelt, die Rechte von Frauen, Arbeitnehmer*innen und Minderheiten einsetzten oder sich gegen die Todesstrafe engagierten. Die Behörden zielen auch auf jene ab, die Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung im Zusammenhang mit den massenhaften Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren verlangten.

Auch Demonstrierende, Journalist*innen und andere Medienschaffende, politisch Andersdenkende, Künstler*innen und Schriftsteller*innen werden willkürlich inhaftiert.

So düster sich die Menschenrechtslage im Iran heute darstellt, umso wichtiger ist es, sich für die Menschen und ihre Rechte einzusetzen. Das weiß auch Siroos Mirzaei, in Wien lebender Arzt und engagierter Aktivist, der über die Menschenrechtssituation in seiner Heimat Iran berichtet und erklärt, warum öffentlicher Druck für willkürlich Inhaftierte so wichtig ist. Das folgende Interview entstand bei einem Vortrag von Siroos Mirzaei Anfang Februar 2021.

Was sagst du zur Menschenrechtssituation im Iran?

Siroos Mirzaei: Es ist mir und vielen Iraner*innen in Österreich ein Anliegen, über dieses Thema zu sprechen. Der Iran ist ein großes Land und es ist schwierig, an Informationen zu kommen, auch aufgrund der Zensur. Nachdem Menschenrechtsverletzungen keinen Tag Pause gemacht haben, beschlossen die Vereinten Nationen korrekterweise, einen speziellen Berichterstatter einzusetzen. Das Problem: Er hat in all den Jahren nie die Erlaubnis bekommen, das Land zu betreten. Dennoch wurde letztes Jahr ein sehr ausführlicher Bericht veröffentlicht. Ich empfehle allen, diesen Bericht und den Jahresbericht von Amnesty International zu lesen.

Was zeigen die jüngsten Berichte?

2019 gab es massive Protestbewegungen, es wurden 1.500 Menschen auf den Straßen erschossen, Hunderte festgenommen. Laut Amnesty wurden Menschen in Haft gefoltert. Es wird im Iran aber nicht nur körperlich misshandelt, sondern auch psychische Folter angewandt. Das hat in den letzten Jahren zugenommen. Diese Art von Folter hat das Ziel, die Persönlichkeit der Betroffenen zu brechen. Damit sie nie wieder Vertrauen haben, auf die Beine kommen und etwas gegen die Regierung sagen oder tun können. Diese Form von Folter heißt auch „weiße Folter“.

© Christoph Liebentritt/Amnesty International Österreich Siroos Mirzaei, iranischer Arzt und Aktivist, über Briefe und Online-Appelle für Inhaftierte

Das hilft oft mehr, als wir uns denken können!

Warum „weiße Folter“?

Ich vermute deshalb, weil bei weißer Folter kein Blut fließt, es kommt zu keiner körperlichen Verletzung. Dennoch ist psychische Folter eine genauso fürchterliche Behandlung wie körperliche Folter, wenn nicht manchmal sogar schlimmer.
 

Eine der eher neueren Methoden im Iran ist auch die Entführung von Dissident*innen im Ausland und die willkürliche Inhaftierung von Doppelstaatsbürger*innen.

Ich nenne das Politik der Geiselnahme. Ein Beispiel dafür ist die willkürliche Verhaftung von Dr. Kamran Ghaderi und Dr. Massud Mossaheb. Beide hatten zu Beginn keinen Kontakt zu ihren Familien und einer Rechtsberatung. Sie sind nach wie vor unter äußerst schwierigen Bedingungen im berüchtigten Evin-Gefängnis in Haft, leiden unter Vorerkrankungen und haben sich im Gefängnis noch dazu mit Corona infiziert. Wie viele Gefangene erhalten Dr. Ghaderi und Dr. Mossaheb keine adäquate medizinische Behandlung.
 

Was wollen die iranischen Behörden mit Herrn Mossaheb und Herrn Ghaderi in Haft erreichen?

Wir vermuten, dass ein iranischer Terrorist, der derzeit in Belgien vor Gericht steht, gegen sie ausgetauscht werden soll.
 

Tausende setzen sich gemeinsam mit Amnesty mit Briefen und Online-Appellen für ihre Freilassung ein. Welchen Stellenwert haben solche Aktionen für die einzelnen Betroffenen?

Viele sind dankbar, dass sie aus der Anonymität geholt werden, dass die Welt ihr Anliegen kennt. Das hat manchmal auch eine Schutzwirkung. Es ist aber auch Genugtuung für sie, dass die Menschen den wahren Grund ihrer Haft kennen.
 

Ein wichtiger Effekt der Aktionen ist also, dass die Menschen nicht so einfach verschwinden und hinter verschlossenen Türen misshandelt werden können?

Das hilft oft mehr, als wir uns denken können! Ein Beispiel ist Dr. Ahmadreza Djalali (iranisch-schwedischer Wissenschaftler, Anm.). Er stand bereits mehrere Male kurz vor der Hinrichtung. Öffentlicher Druck konnte eine tatsächliche Vollstreckung jedoch bisher verhindern.
 

Wie siehst du die Zukunft des Iran?

Ich bin Berufsoptimist. Der Iran wird seinen Weg machen. Wenn die Regierung keine Angst vor einem Sturz gehabt hätte, dann hätten wir auch nicht die Anzahl an Hinrichtungen und Folter. Ich sehe die Zukunft daher positiv.

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