Iran: Menschenrechtsverteidigerin in Haft gefoltert
Die bekannte iranische Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi wurde im Gefängnis gefoltert und anderweitig misshandelt. Zusätzlich drohen ihr 154 Peitschenhiebe. Sie ist eine gewaltlose politische Gefangene, die umgehend und bedingungslos freigelassen werden muss.
Die prominente iranische Menschenrechtsverteidigerin und Mitglied der Amnesty International Österreich Mediziner*innen-Gruppe Narges Mohammadi prangerte unter anderem die Praxis der Einzelhaft in iranischen Gefängnissen öffentlich an und forderte Rechenschaft für Hunderte rechtswidriger Tötungen während der landesweiten Proteste im November 2019. Am 16. November 2021 wurde sie in Karaj in der Provinz Alborz im Iran willkürlich und gewaltsam verhaftet. Sie nahm gerade an einer Gedenkveranstaltung teil.
Narges Mohammadi befindet sich im Gefängnis Shahr-e Rey (auch bekannt als Gharchak-Gefängnis) in der Provinz Teheran. Dort wurde sie von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden auf Geheiß des Geheimdienstministeriums gefoltert und anderweitig misshandelt. Man verweigerte ihr vorsätzlich eine angemessene Gesundheitsversorgung, um sie für ihre Menschenrechtsarbeit zu bestrafen.
Narges Mohammadi war bereits im Mai 2015 willkürlich verhaftet und 2016 zu 16 Jahren Haft verurteilt worden, und zwar ausschließlich weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit wahrgenommen hatte. Nach weltweiten Aktionen, unter anderem von Amnesty International, wurde sie im Oktober 2020 aus der Haft entlassen.
Seither wurde Narges Mohammadi jedoch von den iranischen Behörden wiederholt schikaniert, gefoltert und anderweitig misshandelt. Zuletzt wurde sie in zwei separaten Fällen aufgrund ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit zu insgesamt zehn Jahren und acht Monaten Gefängnis sowie 154 Hieben und anderen Sanktionen verurteilt. Ende Februar 2022 befand sie sich nach einer Herzoperation vorübergehend im Hafturlaub, nach einer Woche musste sie jedoch wieder zurück ins Qarchak-Gefängnis. Dort herrschen völlig untragbare Haftbedingungen. Von Ende April bis Mitte Mai 2022 erhielt Narges Mohammadi nicht die Medikamente, die sie für ihre schweren Erkrankungen benötigt, unter anderem für Herz- und Lungenkrankheiten.
Fordere jetzt mit uns Narges Mohammadis unverzügliche Freilassung!
Bitte beachten: Allen Personen mit persönlichen Beziehungen in den Iran raten wir, eine Teilnahme zu prüfen. Dieses Schreiben wird mit Vor- und Nachname an den Adressaten im Land gesandt.
Narges Mohammadi ist Vizepräsidentin des Zentrums für Menschenrechtsverteidiger*innen im Iran und arbeitete mit der Kampagne zur schrittweisen Abschaffung der Todesstrafe (bekannt als LEGAM, ihr persisches Akronym). Nach den landesweiten Protesten im November 2019 und der rechtswidrigen Tötung hunderter Demonstrant*innen unterstützte Narges Mohammadi lautstark die Hinterbliebenen bei ihrem Ruf nach Wahrheit und Gerechtigkeit für die Tötung ihrer Angehörigen.
Im Mai 2021 verurteilte die Abteilung 1188 des Strafgerichts Teheran Narges Mohammadi zu zweieinhalb Jahren Haft, 80 Peitschenhieben und zwei Geldstrafen, unter anderem wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System". Vier Monate später, im September, erhielt Narges Mohammadi eine Vorladung zur Verbüßung dieser Strafe, der sie jedoch nicht nachkam, da sie die Verurteilung für ungerecht hielt.
Festnahme und Haftbedingungen
Am 16. November 2021 wurde Narges Mohammadi völlig willkürlich von Agenten des iranischen Geheimdienstes verhaftet, die sie nach Angaben ihres Ehemanns brutal schlugen, bevor sie an einen unbekannten Ort gebracht wurde. Am nächsten Tag rief sie ihre Familie an und teilte ihr mit, dass sie sich im Evin-Gefängnis in Teheran befinde und eine zweieinhalbjährige Haftstrafe verbüßen müsse.
Die Menschenrechtlerin gab an, 64 Tage lang in Trakt 209 in Einzelhaft gehalten worden zu sein. Während dieser Zeit sei sie von Angehörigen des Geheimdienstministeriums gefoltert und anderweitig misshandelt worden. Ihren Angaben zufolge ließ man das Licht jeden Tag 24 Stunden lang brennen und gewährte ihr nur dreimal pro Woche für jeweils 20 Minuten Zeit an der frischen Luft und im Tageslicht. Die Behörden hielten sie in beinahe totaler Isolation fest und verweigerten ihr den Kontakt mit anderen Gefangenen. Ihr einziger menschlicher Kontakt war mit den Wärter*innen, die sie zur Toilette eskortierten und ihr Essen brachten. All dies wirkte sich stark auf ihren Gesundheitszustand aus, so erlitt sie beispielsweise Anfälle von Atemnot.
Am 4. Januar 2022 wurde Narges Mohammadi vor die Abteilung 26 des Teheraner Revolutionsgerichtes gestellt, um sich in einem zweiten Fall zu verantworten. Das Verfahren entsprach bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Verfahren: Die Anhörung dauerte lediglich fünf Minuten, und sie gab später an, sowohl vor als auch während der Verhandlung keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand gehabt zu haben. Am 15. Januar wurde sie darüber informiert, dass das Gericht sie zu acht Jahren und zwei Monaten Haft sowie 74 Stockhieben verurteilt habe. Zudem habe sie zwei Jahre im internen „Exil“ außerhalb ihres Wohnorts Teheran zu verbringen, dürfe sich zwei Jahre lang nicht in politischen Parteien oder gesellschaftlichen Zusammenschlüssen engagieren, und müsse sich zwei Jahre lang von Online-Plattformen, den Medien und der Presse fernhalten.
Laut eigenen Angaben erlitt die Menschenrechtlerin am 3. Februar 2022 einen Herzinfarkt, wurde jedoch vom Gefängnisarzt nicht angemessen behandelt. Gleichzeitig weigerten sich die Gefängnisbehörden, sie in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses zu verlegen – womit sie ihr Leben auf’s Spiel setzten. Erst als Narges Mohammadi am 16. Februar erneut mehrere Herzanfälle erlitt, verlegte man sie für eine Notoperation am Herzen in ein Krankenhaus. Gegen ärztlichen Rat wurde sie bereits am 19. Februar wieder ins Gefängnis verlegt, noch bevor sie sich ausreichend erholt hatte.
Am 22. Februar 2022 war Narges Mohammadi aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend aus der Haft entlassen worden. Doch am 21. April wurde sie von Angehörigen des Geheimdienstministeriums erneut inhaftiert und ins Gharchak-Gefängnis gebracht, um den Rest ihrer Haftstrafen zu verbüßen. Die Haftbedingungen dort sind grausam und unmenschlich. So haben die Gefangenen im Gharchak-Gefängnis kürzlich gemeldet, dass sich dort Abwässer stauten, was unhygienisch ist, schlecht riecht und die Gefahr von Krankheiten birgt. Die ohnehin bereits mangelhaften sanitären Bedingungen werden dadurch noch verschärft. Narges Mohammadi wird darüber hinaus gemeinsam mit Frauen festgehalten, die wegen Gewaltverbrechen inhaftiert sind. Ende Mai berichtete ihr Rechtsbeistand, dass eine Mitgefangene damit gedroht habe, die Menschenrechtlerin und eine weitere politische Gefangene umzubringen.
Frühere Verfolgung
Narges Mohammadi wird seit über zehn Jahren immer wieder willkürlich inhaftiert, um sie für ihre Menschenrechtsarbeit zu bestrafen. Bereits im Mai 2015 war sie willkürlich verhaftet und 2016 zu 16 Jahren Haft verurteilt worden, und zwar ausschließlich wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit.
Nach weltweiten Aktionen, unter anderem von Amnesty International, wurde Narges Mohammadi im Oktober 2020 aus der Haft entlassen, doch seither wurde sie von den iranischen Behörden wiederholt schikaniert, gefoltert und anderweitig misshandelt.
Zuletzt wurde sie in zwei separaten Fällen aufgrund ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit zu insgesamt zehn Jahren und acht Monaten Gefängnis sowie 154 Hieben und anderen Sanktionen verurteilt. Ende April 2022 luden die Strafverfolgungsbehörden sie erneut vor, um sie in einem neuen Fall zu befragen, der ebenfalls mit ihrer Menschenrechtsarbeit zu tun hat.
Die Auspeitschung, wie sie im Iran praktiziert wird, stellt ausnahmslos Folter dar, die nach dem Völkerrecht ein Verbrechen und nach Artikel 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), dem der Iran als Vertragsstaat beigetreten ist, absolut verboten ist.
Appelle an
Oberste Justizautorität
G. Mohseni Ejei
c/o Permanent Mission of Iran to the UN
Chemin du Petit-Saconnex 28
1209 Geneva
SCHWEIZ
Kopien an
Botschaft der Islamischen Republik Iran
Herr Abbas BAGHERPOUR ARDEKANI
Jauresgasse 9
1030 Wien
Fax: (+43 / 1) 713 57 33
E-Mail: public@iranembassy-wien.at
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Narges Mohammadi bitte unverzüglich und bedingungslos frei, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist und sich nur wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit in Haft befindet.
- Bitte heben Sie ihre ungerechtfertigten Verurteilungen und Strafen auf und stellen Sie jegliche Strafverfahren ein, die auf der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte beruhen.
- Bis zu ihrer Freilassung muss sie Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung erhalten, nötigenfalls auch außerhalb des Gefängnisses, und vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden.
- Leiten Sie umgehend eine unabhängige, zielführende und unparteiische Untersuchung ihrer Folter- und Misshandlungsvorwürfe ein und stellen Sie die Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht.
Inhalt
Dear Mr Gholamhossein Mohseni Ejei,
Prosecution authorities on the instruction of Ministry of Intelligence agents have been subjecting human rights defender Narges Mohammadi, who is arbitrarily detained in Shahr-e Rey prison (also known as Gharchak) in the city of Varamin, Tehran province, to torture and other ill-treatment. They were deliberately denying her adequate healthcare in reprisal for her public campaigning against the use of solitary confinement in Iran’s prisons and for seeking accountability for hundreds of unlawful killings during the November 2019 nationwide protests.
According to her husband, Narges Mohammadi was transferred to hospital outside of prison on 23 June 2022 after experiencing shortness of breath and an irregular heartbeat. At hospital, a specialist doctor said she required specific medications for serious health conditions related to her lungs and heart. Since her return to prison from hospital, Ministry of Intelligence agents, the associate prosecutor of the prison and prison officials, including from the protection and intelligence unit, have been denying Narges Mohammadi some of her required medication. The authorities previously withheld her medications from 21 April to 11 May 2022. Narges Mohammadi reported that on 3 February 2022, following a heart attack, the prison doctor denied her adequate healthcare, while prosecution officials barred her transfer to hospital outside of prison for urgent healthcare, placing her life at risk. Only after Narges Mohammadi suffered a series of heart attacks on 16 February 2022, she was transferred to hospital, where she had emergency heart surgery. Against medical advice and before she recuperated, on 19 February 2022, authorities took her back to prison.
Narges Mohammadi was convicted and sentenced to a total of 10 years and eight months in prison, 154 lashes and other sanctions in two separate cases stemming solely from her human rights work; and in late April 2022, prosecution authorities opened a new case. Narges Mohammadi’s latest imprisonment resumed on 21 April 2022, when Ministry of Intelligence agents arrested her while she out of prison on medical leave, which began on 22 February 2022, and sent her to Gharchak to continue serving her sentences. There, prison authorities are holding her in cruel and inhumane conditions. Prisoners in Gharchak have reported overflowing sewage resulting in filthiness and foul odours, putting prisoners at risk of disease and exacerbating the unsanitary conditions in the wards, washing and toilet facilities.
I call on you to immediately and unconditionally release Narges Mohammadi as she is prisoner of conscience detained solely for her peaceful human rights activities, quash her unjust convictions and sentences, and drop any criminal proceedings against her in relation to the peaceful exercise of her human rights. Pending her release, she must be provided with adequate healthcare, including for treatment unavailable in prison, and with all the medication she requires. She must also be protected from further torture and other ill-treatment. A prompt, independent, effective and impartial investigation into her allegations of torture and other ill-treatment must be conducted, with a view of bringing those responsible to justice in fair trials.
Yours sincerely,