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Veröffentlicht am 4.7.2023
Die iranischen Behörden nehmen seit Jahren ausländische und Doppelstaatsangehörige unter falschen Anschuldigungen ins Visier, um diplomatischen Druck auszuüben. Unter dem Vorwand einer vermeintlichen Gefährdung der nationalen Sicherheit werden unschuldige Menschen inhaftiert und der Spionage bezichtigt. Geiselnahmen sind ein Verbrechen nach internationalem Recht. Doch die sogenannte Geiseldiplomatie hat im Iran System. Im folgenden Text erfährst du, welchen Nutzen der Iran daraus schlägt und was jetzt dringend passieren muss, um diese grausame Praxis endlich zu beenden.
> Wie ist Geiselnahme durch internationales Recht definiert?
> Wer ist von Geiselnahmen durch den Iran betroffen?
> Wie viele ausländische Staatsangehörige sind oder waren in iranischen Gefängnissen inhaftiert?
> Warum ist es problematisch, Inhaftierte durch einen Gefangenaustausch zu befreien?
> Was sollten betroffene Länder gegen die Praxis der Geiseldiplomatie unternehmen?
> Was ist bei Reisen in den Iran zu beachten?
> Welche Rolle spielt das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran?
Mehrfach wurden in den vergangenen Jahren ausländische Staatsbürger*innen und Doppelstaatsangehörige im Iran willkürlich inhaftiert und verurteilt – häufig aufgrund von unhaltbaren Spionage-Vorwürfen. Westliche Diplomat*innen warnen bereits seit Jahren, dass Teheran diese Fälle nutzt, um Druck auf europäische Regierungen auszuüben, zum Beispiel um eigene Staatsbürger*innen aus europäischen Gefängnissen freizubekommen. In anderen Fällen fungieren Geiseln als diplomatisches Faustpfand für den Iran, um politische Interessen durchzusetzen. So hielten die iranischen Behörden die britisch-iranische Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe im Zusammenhang mit einem langjährigen Schuldenstreit mit dem Vereinigten Königreich fest. Amnesty International konnte in ihrem Fall und auch im Fall des schwedisch-iranischen Arztes Ahmadreza Djalali umfangreiches und detailliertes Beweismaterial zusammentragen, um ihre rechtswidrige Gefangenschaft gemäß dem Internationalen Übereinkommen gegen Geiselnahme zu analysieren. In beiden Fällen, so stellte Amnesty International fest, handelt es sich klar um Geiselnahme durch den iranischen Staat.
Die Internationale Konvention gegen Geiselnahme wurde 1979 von der UNO-Generalversammlung beschlossen und trat am 3. Juni 1983 in Kraft. Auch der Iran ist dem Übereinkommen im Jahr 2006 beigetreten und ist somit an dessen Bestimmungen gebunden. Das Übereinkommen stellt jede Form von Geiselnahme durch staatliche und nichtstaatliche Akteure unter Strafe. Es definiert Geiselnahme als das Festhalten einer Person unter der Androhung, sie zu töten, zu verletzen oder weiter festzuhalten, um Dritte zur Erfüllung bestimmter Bedingungen zu zwingen. Geiselnahme stellt völkerrechtlich also eine Straftat dar. Um einen Akt der Inhaftierung als Geiselnahme zu deklarieren ist es nicht zwingend erforderlich, dass die Bedingungen zur Freilassung der inhaftierten Person ausdrücklich ausgesprochen werden. Vielmehr kann ein Akt der Freiheitsberaubung unter Umständen auch dann als Geiselnahme gelten, wenn anhand der Umstände deutlich wird, dass in Verbindung damit eine implizite Forderung des Handelns oder Unterlassens an eine Drittpartei gestellt wird.
In jüngster Zeit waren oder sind mindestens 18 Staatsbürger*innen aus Europa, den USA und Kanada im Iran willkürlich inhaftiert:
Stand: Juli 2023
Amnesty International ist zutiefst besorgt darüber, dass der Austausch von Gefangenen die iranischen Behörden dazu ermutigen könnte, weiterhin Geiselnahmen und andere Verbrechen nach internationalem Recht zu begehen. Um diese Risiken zu mindern, müssen die Behörden betroffener Staaten dringend untersuchen, ob die Freiheitsberaubung ihrer Staatsbürger*innen das Verbrechen der Geiselnahme darstellt, und die Aufarbeitung sowohl durch öffentliche Erklärungen als auch durch die Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung der mutmaßlichen Täter*innen voranbringen.
Amnesty International warnt davor, dass iranische Dissident*innen im Ausland einem erhöhten Risiko von Angriffen durch Agent*innen der Islamischen Republik Iran ausgesetzt sind, wenn die internationale Gemeinschaft, einschließlich Österreich und andere europäische Regierungen, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, schwere Menschenrechtsverletzungen der iranischen Behörden im Ausland ordnungsgemäß zu bestrafen. Versuchte außergerichtliche Hinrichtungen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen werden von den iranischen Behörden im Ausland begangen, um die freie Meinungsäußerung und friedlichen Dissens zu unterdrücken. So war etwa der an der iranischen Botschaft in Wien tätige Diplomat bzw. Geheimdienstagent Assadollah Asadi an der Planung eines Terroranschlags auf eine Kundgebung der Oppositionsgruppe Nationaler Widerstandsrat Iran in Frankreich beteiligt. Er wurde festgenommen und in Belgien zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Gegenzug für die Freilassung mehrerer europäischer Staatsbürger lieferte Belgien den rechtskräftig verurteilten Geheimdienstagenten Asadi an den Iran aus.
Alle Staaten, deren Staatsangehörige im Iran inhaftiert sind, müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle derartigen Fälle unverzüglich gemäß dem Internationalen Übereinkommen gegen Geiselnahme von 1979 überprüft werden.
Wenn festgestellt wird, dass eine Geiselnahme stattgefunden hat, müssen alle geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die betroffenen Geiseln zu schützen und ihre Freilassung sicherzustellen.
Alle iranischen Beamt*innen, die im begründeten Verdacht stehen, für das Verbrechen der Geiselnahme verantwortlich zu sein, müssen in fairen und transparenten Strafverfahren zur Rechenschaft gezogen werden.
Da der Freiheitsentzug einer Person nach der Verhaftung jederzeit in eine Geiselnahme umschlagen kann, müssen die betroffenen Staaten für eine regelmäßige Überprüfung solcher Fälle sorgen.
Das österreichische Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) warnt vor Reisen in den Iran, insbesondere im Fall einer Doppelstaatsbürgerschaft. Im Iran bestehe "für österreichische Staatsbürger*innen, besonders für österreichisch-iranische Doppelstaatsbürger*innen, die Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und/oder zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden, so wie es in jüngster Vergangenheit zahlreichen ausländischen Staatsangehörigen widerfahren ist." Weitere Informationen zur Reisewarnung findest du auf der Webseite des BMEIA.
Unter anderem die beiden Österreicher Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb waren im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Hier sind auch zu Unrecht inhaftierte Menschenrechtsverteidiger*innen und Andersdenkende eingesperrt sowie Menschen, die wegen ihrer Teilnahme an den landesweiten Protesten im Iran inhaftiert wurden. Das Evin-Gefängnis ist wegen des alarmierenden Einsatzes rechtswidriger Gewalt durch Sicherheitskräfte berüchtigt. Aus dem Evin-Gefängnis sind Aufnahmen von Überwachungskameras an die Öffentlichkeit gelangt, die entsetzliche Misshandlungen von Gefangenen zeigen. Diese erinnern auf brutale Weise daran, dass im Iran Gefängnisbeamt*innen straffrei bleiben, die ihre Gefangenen der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aussetzen. Amnesty International hat im August 2021 16 geleakte Videoclips analysiert, die von unabhängigen iranischen Medien stammen. Diese liefern schockierende Beweise für Schläge, sexuelle Belästigung und vorsätzliche Vernachlässigung und Misshandlung von Pflegebedürftigen und untermauern somit das, was Amnesty International seit Jahren dokumentiert. Außerdem bestärken die Videos die Sorge über chronische Überbelegung und Einzelhaft unter grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen.
Aufgrund eines Mangels an Transparenz existieren keine offiziellen Statistiken bezüglich der Anzahl der Personen, die im Evin-Gefängnis inhaftiert sind, doch Menschenrechtsgruppen schätzen die Zahl auf einige Tausend. Schon vor dem Ausbruch der aktuellen landesweiten Proteste wurden bereits Hunderte gewaltlose politische Gefangene und andere Personen willkürlich im Evin-Gefängnis festgehalten, weil sie friedlich von ihren Menschenrechten Gebrauch gemacht hatten.
Österreich: Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb
Der österreichische IT-Berater Kamran Ghaderi und der Generalsekretär der Österreichisch-Iranischen Gesellschaft Massud Mossaheb waren mehr als sieben bzw. vier Jahre zu Unrecht im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Beide wurden nach mehrmonatiger Isolationshaft, Folter und grob unfairen Gerichtsverfahren zu langen Haftstrafen verurteilt.
Amnesty International hat sich zusammen mit zahlreichen Unterstützer*innen für ihre Freilassung eingesetzt und auf ihre ungerechte Inhaftierung aufmerksam gemacht. Beide wurden am 2. Juni im Zuge eines zwischen Belgien und dem Iran vereinbarten Gefangenenaustauschs freigelassen.
Neben Kamran Ghaderi und Massud Mossaheb wurden auch der belgischen Entwicklungshelfer Olivier Vandecasteele, der im Iran zu Unrecht inhaftiert war, und ein dänischer Staatsbürger freigelassen. Im Gegenzug ließen die belgischen Behörden Assadollah Asadi frei, einen iranischen Diplomaten, der früher in Wien tätig war und wegen seiner Beteiligung an der Planung eines Terroranschlags in Belgien verurteilt wurde.
Vereinigtes Königreich: Nazanin Zaghari-Ratcliffe
Nach einem Familienbesuch im Iran wurde die iranisch-britische Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe festgenommen und im Zusammenhang mit ihrer Arbeit bei der BBC und der Thompson Reuters Foundation der "Mitgliedschaft in einer illegalen Gruppe" schuldig gesprochen worden. Nazanin Zaghari-Ratcliffe war Mitarbeiterin bei der gemeinnützigen Thompson Reuters Foundation, einer wohltätigen Organisation, die für sozio-ökonomischen Fortschritt, unabhängigen Journalismus und Rechtsstaatlichkeit eintritt.
Nazanin Zaghari-Ratcliffe wurde im März 2022 nach jahrelangen, intensiven Verhandlungen zwischen Großbritannien und dem Iran freigelassen. Die Inhaftierung der britisch-iranischen Staatsbürgerin stand im Zusammenhang mit einem langjährigen Schuldenstreit zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Iran, bei dem Zaghari-Ratcliffe von iranischer Seite als Druckmittel eingesetzt wurde. Sie wurde nach sechs Jahren willkürlicher Inhaftierung freigelassen, als die britische Regierung zustimmte, dem Iran 393,8 Millionen Pfund zu zahlen. Sowohl die britische Regierung als auch iranische Außenministerium haben bestritten, dass die Freilassung im Austausch für die Begleichung der Schulden erfolgte, und behaupteten, dass beide Fragen "parallel" gelöst wurden. Doch es steht außer Frage, dass Nazanin Zaghari-Ratcliffe von den iranischen Behörden als politische Schachfigur benutzt wurde. Dabei sind sie mit kalkulierter Grausamkeit vorgegangen, um aus der illegalen Gefangenschaft den größtmöglichen diplomatischen Nutzen zu ziehen.
Schweden: Ahmadreza Djalali
Der in Schweden ansässige Arzt Dr. Ahmadreza Djalali hielt sich aus beruflichen Gründen im Iran auf, als er am 26. April 2016 festgenommen wurde. Er verbrachte drei Monate in Einzelhaft und wurde gefoltert, um ein falsches "Geständnis" von ihm zu erzwingen. Im Oktober 2017 wurde Dr. Djalali in einem grob unfairen Verfahren wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) zum Tode verurteilt. Dr. Djalalis Leben ist in allergrößter Gefahr. Er kann jederzeit hingerichtet werden.
Auch im Fall von Ahmadreza Djalali, einem schwedisch-iranischen Staatsbürger, hat Amnesty International Beweise dafür gesammelt, dass die iranischen Behörden ihn als Geisel halten. Die iranischen Behörden drohen mit seiner Hinrichtung, um Schweden und andere Staaten von zukünftigen Strafverfolgungen gegen iranische Beamt*innen abzuhalten.
Belgien: Olivier Vandecasteele
Olivier Vandecasteele ist ein belgischer Entwicklungshelfer, der viele Jahre im Ausland gearbeitet hat, unter anderem für die Norwegische Flüchtlingshilfe und Relief International im Iran. Im Februar 2022 nahmen die iranischen Behörden Olivier Vandecasteele willkürlich fest und folterten ihn. Ein Revolutionsgericht in Teheran verurteilte ihn im Jänner 2023 zu Unrecht zu 40 Jahren Gefängnis, 74 Peitschenhieben und einer Geldstrafe.
Im Mai 2023 wurde Olivier Vandecasteele im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zwischen Belgien und dem Iran freigelassen und konnte nach Belgien zurückkehren. Im Gegenzug lieferte Belgien den zu 20 Jahren Haft rechtskräftig verurteilten Geheimdienstagenten Assadollah Asadi aus, der wegen seiner Beteiligung an der Planung eines Terroranschlags in Belgien verurteilt wurde.
Durch die Überstellung von Assadollah Asadi an den Iran hat die belgische Regierung zu einem Klima der Straflosigkeit für die Verfolgung iranischer Dissident*innen im Ausland mittels außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und anderer Misshandlungen beigetragen. Das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und die Garantie, dass sich die Verstöße nicht wiederholen, wird damit ausgehöhlt.