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Iran: Geleakte Videoaufnahmen aus dem Evin-Gefängnis belegen brutale Übergriffe auf Häftlinge

26. August 2021

Aus dem Evin-Gefängnis sind Aufnahmen von Überwachungskameras an die Öffentlichkeit gelangt, die entsetzliche Misshandlungen von Gefangenen zeigen. Diese erinnern auf brutale Weise daran, dass im Iran Gefängnisbeamt*innen straffrei bleiben, die ihre Gefangenen der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aussetzen.

Amnesty International hat 16 geleakte Videoclips analysiert, die von unabhängigen iranischen Medien stammen. Diese liefern schockierende Beweise für Schläge, sexuelle Belästigung und vorsätzliche Vernachlässigung und Misshandlung von Pflegebedürftigen und untermauern somit das, was Amnesty International seit Jahren dokumentiert. Außerdem bestärken die Videos die Sorge über chronische Überbelegung und Einzelhaft unter grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen.

Dieses verstörende Filmmaterial bietet einen seltenen Einblick in die Grausamkeiten, die Gefangenen im Iran regelmäßig angetan werden.

Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International

"Es ist schockierend zu sehen, was sich innerhalb der Mauern des Evin-Gefängnisses abspielt – aber leider sind die Misshandlungen, die in diesen durchgesickerten Aufnahmen gezeigt werden, nur die Spitze des Eisbergs der Folterepidemie im Iran“.

Unbeobachtet von der Öffentlichkeit setzen iranische Sicherheitskräfte Männer, Frauen und Kinder hinter Gittern routinemäßig der Folter oder anderen Misshandlungen aus. Dies gilt insbesondere für Verhöre in Haftanstalten des Geheimdienstministeriums, der Revolutionsgarden oder der Ermittlungsabteilung der iranischen Polizei (Agahi).

Zu den von Amnesty International in den letzten Jahren im Iran dokumentierten Foltermethoden gehören Auspeitschungen, Elektroschocks, Scheinhinrichtungen, Waterboarding, sexualisierte Gewalt, Aufhängen, die Zwangsverabreichung chemischer Substanzen und der absichtliche Entzug medizinischer Versorgung.

Seit dem 22. August haben unabhängige Medien mit Sitz außerhalb des Irans eine wachsende Zahl geleakter Videos veröffentlicht. Diese stammen von einer Gruppe, die sich Edalat-e Ali (Alis Gerechtigkeit) nennt und die die Überwachungskameras des Teheraner Evin-Gefängnisses gehackt hat.

Hochrangige iranische Beamt*innen haben die Echtheit des Filmmaterials bestätigt. In einem Tweet vom 24. August schrieb der Leiter der iranischen Gefängnisbehörde, Mohammad Mehdi Haj Mohamadi, dass er die Verantwortung für das in den Aufnahmen gezeigte „inakzeptable Verhalten“ übernehme. Er versprach, sich dafür einzusetzen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und eine Wiederholung verhindert werde. Eine solche Verantwortungsübernahme ist im Iran selten.

Ebenfalls am 24. August wies der Leiter der iranischen Justizbehörde, Gholamhossein Mohseni Ejei, den iranischen Generalstaatsanwalt schriftlich an, „die Behandlung von Gefangenen durch Gefängnisbeamte und/oder andere Gefangene [im Evin-Gefängnis] unverzüglich und sorgfältig“ zu untersuchen.

Systemische Straflosigkeit

Während einige Beamt*innen die Misshandlungen anprangerten und versprachen, Untersuchungen einzuleiten, lobte der Leiter der iranischen Gefängnisbehörde, Mohammad Mehdi Haj Mohammadi, gleichzeitig die Bemühungen des „anständigen“ iranischen Gefängnispersonals. Damit deutete er an, dass es sich bei den aufgedeckten Misshandlungen im Evin-Gefängnis nur um Einzelfälle handelte.

„Folter und andere Misshandlungen sind in den iranischen Gefängnissen und Haftanstalten viel zu systematisch und weit verbreitet, als dass man sie als das Werk einiger weniger ‚fauler Äpfel‘ darstellen könnte. Kurze Entschuldigungen und allgemeine Versprechungen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, reichen bei weitem nicht aus, um Irans Systemische Straflosigkeit zu lösen“, sagte Heba Morayef.

Wenn die iranischen Behörden wollen, dass ihr Versprechen nicht hohl klingt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu wollen, dann müssen sie unverzüglich unabhängigen internationalen Beobachter*innen – einschließlich des UN-Sonderberichterstatters für die Menschenrechtslage im Iran – erlauben, das Evin- und andere Gefängnisse daraufhin zu überprüfen, ob die Haftbedingungen internationalen Standards entsprechen.

Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International

Angesichts der anhaltenden Weigerung der iranischen Behörden, Ermittlungen einzuleiten und diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, gegen die Beweise für die Beteiligung an völkerrechtlichen Verbrechen vorliegen – einschließlich Folter, Verschwindenlassen, außergerichtliche Hinrichtungen und andere rechtswidrige Tötungen – bekräftigt Amnesty International die Forderung an den UN-Menschenrechtsrat, einen Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus einzurichten, um die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Grausamkeiten auf Video

Von den 16 von Amnesty International überprüften Videoclips zeigen sieben, wie Gefängniswärter*innen Gefangene schlagen oder anderweitig misshandeln; in drei Videos sind überfüllte Gefängniszellen zu sehen; drei weitere zeigen Übergriffe gegen Gefangene durch andere Insass*innen; zwei zeigen Selbstverletzungen; und eines zeigt eine Isolationszelle.

In einem Video vom 31. März 2021 ist zu sehen, wie ein Gefängnisbeamter einem Gefangenen in Anwesenheit einer Gruppe von Insassen mit der flachen Hand und der Faust ins Gesicht schlägt, bis die Nase des Opfers blutet. In einem weiteren Clip vom 21. Dezember 2020 sind zwei Wärter zu sehen, die einen Gefangenen in Handschellen vor den Augen mehrerer anderer Beamter schubsen, stoßen, schlagen und gegen den Kopf und den Rücken treten und ihn dann über den Boden schleifen.

Vier Clips zeigen einen Vorfall vom 26. April 2021, bei dem ein sichtlich gebrechlicher Gefangener im Hof des Gefängnisses in Ohnmacht fällt, nachdem er aus einem Auto gestiegen ist. Auf der Aufnahme ist zu sehen, dass die Wärter ihn zunächst vollkommen ignorieren und ihn dann halb bewusstlos den Gehsteig entlang in das Gefängnis schleifen. Mehrere Bedienstete sind zu sehen, die den Vorfall beobachten und andere, die einfach vorbei gehen, ohne sich um den Verletzten zu kümmern.

Ein Clip vom 9. Dezember 2015 zeigt, wie ein Mann aufgefordert wird, sich vor einem Wachmann nackt auszuziehen. Anschließend wird ihm befohlen, sich nackt auf den Boden zu hocken, mit dem Gesicht zur Wand, während ein Wachmann, der hinter ihm auf einem Stuhl sitzt, in aller Ruhe seine Unterwäsche und Hose nach verbotenen Gegenständen durchsucht.

Drei Clips vom 11. Juni 2016, 15. Januar 2020 und 4. Februar 2021 zeigen überfüllte Gefängniszellen mit Dreifach-Etagenbetten, in die zwischen 15 und 18 Personen gezwängt sind.

Ein weiterer Clip, der nicht datiert ist, zeigt eine winzige, bettenlose Isolationszelle, in der sich lediglich eine Toilette zum Hocken in der Ecke befindet.

Amnesty International hat außerdem zwei Videos vom 4. Januar 2020 und vom 23. August 2016 untersucht, in denen zu sehen ist, wie Gefangene sich selbst verletzen, sowie drei Clips, in denen Insassen andere Häftlinge tätlich angreifen.

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