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Globale Krisen: Amnesty International fordert Maßnahmen zur sozialen Absicherung – auch in Österreich

10. Mai 2023

Eine ganze Reihe von Krisen weltweit zeigen momentan deutlich, wie groß die Lücken in den staatlichen Unterstützungs- und Absicherungssystemen sind. Hunderte Millionen Menschen sind von Hunger bedroht oder in einem Kreislauf von Armut und Not gefangen. Angesichts dieser alarmierenden Situation fordert Amnesty International soziale Sicherheit für alle Menschen weltweit. Die Staatengemeinschaft müsse dafür sorgen, dass alle Menschen Zugang zu entsprechenden Maßnahmen erhalten, wie etwa Zahlungen bei Krankheit oder Invalidität, Gesundheitsfürsorge, Renten für ältere Menschen, Kindergeld, Familienleistungen und Einkommensunterstützung.

Vier Milliarden Menschen ohne soziale Absicherung durch den Staat

In dem heute veröffentlichten Bericht Rising Prices, Growing Protests: The Case for Universal Social Protection kommt die Menschenrechtsorganisation zu einem erschreckenden Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung kann nicht einmal den grundlegendsten sozialen Schutz in Anspruch nehmen. „Und das, obwohl das Recht auf soziale Sicherheit seit 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist“, so Agnès Callamard, Internationale Generalsekretärin von Amnesty International. Sie kritisiert, dass „das Zusammentreffen mehrerer Krisen gezeigt hat, wie schlecht viele Staaten darauf vorbereitet sind, ihrer Bevölkerung grundlegende Hilfe zu leisten.“

„Verarmungsgesetz“ in Österreich: Sozialhilfe ermöglicht kein Leben in Würde

Auch in Österreich ist das Netz der sozialen Absicherung mit der Sozialhilfe als letztes soziales Auffangnetz lückenhaft und steht im eklatanten Widerspruch zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs. „Gerade das vor einigen Jahren in Kraft getretene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist ein Verarmungsgesetz und eine offensichtlich rückschrittliche Maßnahme im Vergleich zu den davor geltenden Regelungen“, kritisiert Teresa Hatzl, Juristin und Expertin für soziale Menschenrechte bei Amnesty International Österreich.

Die Sozialhilfe in Österreich ermöglicht kein Leben in Würde. Sie ist nicht angemessen, abgesehen davon, dass sie aufgrund zahlreicher bürokratischer und faktischer Hürden für viele Menschen häufig nicht zugänglich ist.

Teresa Hatzl, Juristin und Expertin für soziale Menschenrechte bei Amnesty International Österreich

Amnesty International widmet sich in einem Schwerpunkt den sozialen Rechten in Österreich und plant eine umfassende menschenrechtliche Analyse zum System der Sozialhilfe in Österreich.

Soziale Sicherheit kostet weniger als Steuermissbrauch

Um den Menschen aller Länder Zugang zu sozialem Schutz zu ermöglichen, fordert Amnesty International unter anderem einen internationalen Schuldenerlass. Außerdem müsse die Staatengemeinschaft Steuerreformen verabschieden und hart gegen Steuermissbrauch vorgehen, damit so Mittel zur Finanzierung von Maßnahmen zur sozialen Absicherung freigesetzt werden. Der Bericht hebt hervor, dass die Kosten für die Bereitstellung eines grundlegenden Sozialversicherungsschutzes in allen Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) insgesamt auf 440,8 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt werden – ein Betrag, der unter den 500 Milliarden US-Dollar liegt, die Staaten jährlich an Steueroasen in aller Welt verlieren, wie das Tax Justice Network schätzt.

Mangelnde soziale Sicherheit macht einen Staat anfällig für multiple Krisen

Der Bericht zeigt auch, wie steigende Lebensmittelpreise, der Klimawandel sowie die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und des Einmarsches Russlands in die Ukraine zu einer katastrophalen humanitären Krise führten, die sich zunehmend in sozialen Unruhen und Protesten niederschlägt. Klar kommt auch heraus, wie mangelnde soziale Sicherheit in vielen Staaten dazu geführt hat, dass sie anfälliger für wirtschaftliche Einbrüche werden und schlechter mit den Folgen von Konflikten, dem Klimawandel oder anderen Umbrüchen umgehen können. Die Folgen der aktuellen Krisen – wie weit verbreiteter Hunger, eine steigende Arbeitslosigkeit oder Wut über den sinkenden Lebensstandard – haben weltweit zu Protesten geführt, die oft brutal unterdrückt werden.

Eine universelle soziale Absicherung kann Verletzungen wirtschaftlicher und sozialer Rechte vorbeugen, die oft der Grund für Unmut und Proteste sind.

Agnès Callamard, Internationale Generalsekretärin von Amnesty International



Globaler Fonds für Soziale Sicherheit

Um das Recht auf soziale Sicherheit zu garantieren, setzt sich Amnesty International für die Einrichtung eines international verwalteten Globalen Fonds für Soziale Sicherheit ein, wie dies auch vom UN-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte, dem UN-Generalsekretär und der ILO unterstützt wird. Die Einrichtung eines solchen Fonds würde den Staaten technische und finanzielle Unterstützung zur Einrichtung sozialer Absicherungssysteme bieten. Außerdem könnten so die Kapazitäten der nationalen Absicherungssysteme erhöht werden, um auch in Krisenzeiten ihre Funktionsfähigkeit gewährleisten zu können.

Weiterführende Zahlen & Fakten

Das Fehlen einer angemessenen sozialen Absicherung kann für die wachsende Zahl von Menschen, die sich nicht genug Lebensmittel leisten können, dramatische Folgen haben.

Im Welternährungsprogramm (WFP) heißt es, dass 349 Millionen Menschen auf der Welt unmittelbar von Nahrungsmittelknappheit bedroht sind und 828 Millionen jede Nacht hungrig zu Bett gehen. Darüber hinaus hat laut dem Bericht über die Ziele für nachhaltige Entwicklung 2022 die Corona-Pandemie fast vier Jahre Fortschritt bei der Armutsbekämpfung zunichte gemacht und weitere 93 Millionen Menschen in extreme Armut gebracht. Sie müssen mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag auskommen.

Das Fehlen wirksamer Maßnahmen zur Eindämmung von Inflation und Versorgungsengpässen in verschiedenen Bereichen hat zu einer Abwärtsspirale im Lebensstandard vieler Menschen geführt. Dies hat in letzter Zeit zu Protesten auf der ganzen Welt geführt, unter anderem im Iran, in Sierra Leone und in Sri Lanka.

Die steigenden Preise für Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter treffen die Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen am härtesten, aber die zunehmende Inanspruchnahme von Lebensmittel-Tafeln in wohlhabenderen Ländern zeigt, dass die Krise der Lebenshaltungskosten und der Erschwinglichkeit von Lebensmitteln weit verbreitet ist.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, einem wichtigen Getreideproduzenten, hat der weltweiten Lebensmittelversorgung einen verheerenden Schlag versetzt und den Lebensmittelpreisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) auf den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990 gebracht. Der Klimawandel und die steigenden Düngemittelpreise haben auch die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigt. Laut Angaben der FAO ist Dürre die größte Einzelursache für Ernteeinbußen.

Eine hohe Verschuldung und die damit verbundenen Kosten führen dazu, dass hoch verschuldete Staaten oft nicht über die finanziellen Möglichkeiten verfügen, um Programme zur sozialen Absicherung in die Tat umzusetzen. Nach Angaben von Oxfam geben Länder mit niedrigem Einkommen viermal mehr für die Rückzahlung von Schulden aus als für die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und zwölfmal mehr für Schuldenzahlungen als für Maßnahmen zur sozialen Absicherung.

Laut dem Jahresbericht des IWF sind rund 60 Prozent der Länder mit geringem Einkommen überschuldet oder hochgradig gefährdet sich zu überschulden und laufen Gefahr, ihre Schulden nicht zurückzahlen zu können. Durch einen Schuldenerlass oder eine Umschuldung würden in vielen Ländern erhebliche Mittel zur Finanzierung des Sozialschutzes frei.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

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