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Sind uns Menschenrechte in Österreich zu teuer?

18. Oktober 2021
von Teresa Hatzl, Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich

„Das können wir uns nicht leisten“ ist ein Satz, der häufig fällt, den wir oft gehört haben – manchmal auch als Argument, um Diskussionen vorzeitig zu beenden. So auch im Fall der so genannten „24-Stunden-Betreuung“. Die großteils migrantischen und weiblichen 24-Stunden-Betreuer*innen tragen Sorge und Verantwortung für ältere Menschen in Österreich, die sich nicht mehr alleine um sich selbst kümmern können. Ihr Recht auf faire Arbeitsbedingungen wird ihnen trotz ihrer unverzichtbaren Arbeit verwehrt. ​Eine angemessene Bezahlung, ausreichend Pausen, genügend Schlaf und Erholungszeiten für die Betreuer*innen: Können wir uns das in Österreich wirklich nicht leisten?

Die kurze Antwort ist: Wir müssen uns das leisten können, denn es handelt sich dabei um Menschenrechte. Um Menschenrechte, zu denen sich Österreich insbesondere durch die Ratifizierung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte völkerrechtlich verpflichtet hat.

Dennoch wird das Argument der fehlenden Finanzierbarkeit von politischen Entscheidungsträger*innen oftmals als Riegel vorgeschoben, wenn diskutiert werden soll, wie die Menschenrechte der mehr als 60.000 Migrant*innen, die als Betreuer*innen in Österreich tätig sind, gewahrt werden können. Ein aktueller Bericht von Amnesty International zeigt auf, dass die Betreuer*innen in einem System arbeiten, das ausbeuterische Arbeitsbedingungen ermöglicht. Und zwar auf struktureller Ebene, denn in Österreich hat sich ein System für die Betreuung zu Hause etabliert, das Menschenrechtsverletzungen bewusst in Kauf nimmt.

Teresa Hatzl Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich

Teresa Hatzl ist Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich mit Schwerpunkt soziale Menschenrechte. Im Rahmen des Berichts "Wir wollen nur ein paar Rechte" untersuchte sie die unsicheren, unfairen und prekären Arbeitsbedingungen von 24h-Betreuer*innen in Österreich.

Ausbeuterisches System zu Lasten der Betreuenden und Betreuten

Was steckt dahinter? Österreich hat eine zunehmend alternde Bevölkerung. Bis zum Jahr 2040 wird laut OECD ein Viertel der österreichischen Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Damit wächst auch der Betreuungsbedarf und viele Menschen möchten im eigenen Zuhause altern. Aktuell werden rund 30.000 Menschen durch eine so genannte 24-Stunden-Betreuer*in zuhause betreut. Dabei ist schon allein die Bezeichnung problematisch – suggeriert der Name doch, dass die Betreuer*innen rund um die Uhr verfügbar sein müssten und schafft auf diese Weise Tatsachen, die zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Verletzungen der Menschenrechte führen.

Wir müssen nicht viel weiter denken, um zu erkennen, welche Auswirkungen es auf unsere Gesellschaft und auf unser aller Leben hat, wenn uns Menschenrechte zu teuer werden.

Denken wir es zu Ende

Es ist erstaunlich, dass das Argument mangelnder Finanzierung in Bezug auf Menschenrechte dazu geeignet ist, eine Diskussion zu beenden, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Denn wir müssen nicht viel weiter denken, um zu erkennen, welche Auswirkungen es auf unsere Gesellschaft und auf unser aller Leben hat, wenn uns Menschenrechte zu teuer werden. Recht auf Bildung? Schulen kosten sehr viel Geld. Recht auf Gesundheit? Krankenhaus-Betten verschlingen Milliarden. Recht auf ein faires Gerichtsfahren? Das Justizwesen ist nicht gerade ein Schnäppchen. Wir könnten diese Aufzählung lange fortführen, aber wozu? Kaum jemand würde ernsthaft unsere Menschenrechte auf Bildung, auf Gesundheit oder auf ein faires Gerichtsverfahren in Frage stellen. Wir sollten es auch in Bezug auf faire Arbeitsbedingungen nicht tun.

Menschenrechte müssen in den Mittelpunkt der Budgeterstellung gestellt werden

An dieser Stelle kann man sich die berechtige Frage stellen: Aber wer soll das bezahlen? Wenn 24h-Betreuer*innen einen fairen Lohn erhalten, bedeutet das im Umkehrschluss, dass betreute Personen in Österreich sich die Betreuung nicht mehr leisten können? Die Frage der Finanzierung bereitet vielen Angehörigen und betreuten Personen Sorge, weil eine menschenwürdige Betreuung teuer ist. Doch es ist die Verpflichtung des Staates, ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten für die qualitätsvolle Betreuung zuhause sicherzustellen, die ein menschenwürdiges Betreuungsumfeld für alle Beteiligten garantiert – also für betreute Personen und Betreuer*innen gleichermaßen. Wichtigster Ansatz: Bei der Budgeterstellung müssen die Menschen und ihre Rechte im Mittelpunkt stehen. Ein solcher “menschenrechtsbasierter Ansatz der Budgeterstellung” würde auch zu einer erhöhten Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger*innen führen. Denn letztlich ist ein Budget auch immer ein Abbild der Prioritäten einer Regierung, der Maßnahmen und Ressourcen, die vorrangig umgesetzt bzw. zur Verfügung stehen. Somit sind Budgets wesentlich für die Verwirklichung der Menschenrechte.

Im Dialog mit Betreuer*innen Reformen schaffen

Die wiederholt angekündigte Pflegereform ist ein Anlass, um endlich einen Prozess anzustoßen, der alle Akteur*innen, die von der Reform betroffen sind, effektiv einzubinden. In einem solchen Prozess müssen die Perspektiven der Menschen gehört werden, um ein Rahmenwerk zu schaffen, das die Menschenrechte aller schützt. Um einen ersten Schritt hin zu mehr Dialog und Austausch zu setzen, lud Amnesty International Österreich am 15. September 2021 Betreuer*innen, Interessensvertretungen, Expert*innen und Vertreter*innen der relevanten Fachministerien zu einer Dialogveranstaltung ins Albert-Schweitzer-Haus ein. Fazit: Lösungsansätze liegen auf dem Tisch, jetzt sind konkrete Maßnahmen dringend notwendig.

„Wir wollen nur ein paar Rechte“, haben die Betreuer*innen im Zuge unserer Recherchen gesagt. Das sollte doch in einem Land wie Österreich möglich sein. Denn eines ist sicher: Die Wahrung der Menschenrechte darf keine Frage der Bezahlbarkeit werden. Wir müssen dafür sorgen, dass uns unsere Menschenrechte nicht zu teuer werden – nicht in der 24h-Betreuung und nicht in anderen Bereichen. Deshalb fordern wir bei Amnesty International weiterhin Seite an Seite mit den 24h-Betreuer*innen ihre Rechte ein.