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Veröffentlicht am 15.10.2021, zuletzt aktualisiert am 17.10.2024
Wenn Menschen in Armut leben, werden ihre Rechte verletzt. Denn amutsbetroffenen Menschen werden meist eine ganze Reihe ihrer Menschenrechte verwehrt, etwa ihr Recht auf Wohnen, auf Arbeit oder Nahrung. Wird ein Recht verletzt, führt das häufig zu weiteren Menschenrechtsverletzungen. Wenn zum Beispiel menschenwürdiger Wohnraum nicht gesichert ist, wirkt sich das in der Folge häufig negativ auf die Gesundheit, Bildung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen aus. Auch in Österreich sind 1.592.000 Menschen armutsgefährdet (Erhebung 2023). Für viele Menschen in Österreich funktioniert der Wohlfahrtsstaat gut, doch nicht für alle. Das führt dazu, dass Menschen zu Bittsteller*innen gemacht werden, die eigentlich einen Anspruch auf ihre Rechte haben. Stattdessen werden sie einem sozialen Stigma unterworfen. Das muss sich ändern! Auf dieser Seite erfährst du, was Armut mit deinen Menschenrechten zu tun hat und, wie wir alle gemeinsam für Veränderung sorgen können.
Armut bedeutet mehr als fehlendes Einkommen, um seinen*ihren Lebensunterhalt zu sichern. Armut zeigt sich in Hunger und Unterernährung oder im eingeschränkten Zugang zu Bildung. Armut bedeutet vor allem weniger Möglichkeiten für Menschen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Armut führt zu sozialer Diskriminierung, eingeschränkter sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe und folglich sozialer Ausgrenzung.
Laut den Vereinten Nationen lebten im Jahr 2015 mehr als 736 Million Menschen unter der Armutsgrenze von $1,90 pro Tag. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (Goal 1 der SDGs) zielen darauf ab, bis zum Jahr 2030 Armut in allen ihren Manifestationen zu beenden. Seit 1990 konnten wichtige Schritte zur Armutsvermeidung gesetzt werden. Vor allem die Vermeidung absoluter Armut ist seit den 1990er Jahren ein wichtiger Teil internationaler Entwicklungszusammenarbeit.
Damit wir alle ein menschenwürdiges Leben führen können, sind unsere wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unverzichtbar. Das sind jene Menschenrechte, die sich auf Arbeit, soziale Sicherheit, das Familienleben, die Teilhabe am kulturellen Leben oder auch den Zugang zu Wohnraum, Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Bild beziehen. Eine mangelnde Gewährleistung und Sicherstellung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten kann weitreichende Auswirkungen für die Menschen und die Ausübung ihrer weiteren Menschenrechte haben.
Wir begegnen Armut überall – auch in reichen Staaten (siehe dazu Bericht des UN Sonderberichterstatters für Armut). Armut hat viele Gesichter: Sie zeigt sich darin, wie viel Lohn ich für meine Arbeit bekomme, ob ich jeden Tag genug zu essen auf dem Tisch habe, ob ich ein Dach über meinem Kopf habe oder wie groß meine Wohnung ist, ob ich Heizung und Strom bezahlen kann, oder ob ich Ärzt*innen aufsuchen kann, oder meine Kinder höhere Schulen besuchen können.
Armut ist kein Zufall und auch nicht die Schuld der Menschen, die von Armut betroffen sind. Armut ist die Folge struktureller und institutioneller Entscheidungen, die Menschenrechte, insbesondere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, nicht ausreichend gewährleisten. Armut ist vor allem eine Verletzung der Menschenrechte. Die Berücksichtigung von menschenrechtlichen Standards in der Entwicklung von politischen Maßnahmen ist daher ein wichtiger Bestandteil von Armutsvermeidung.
Bild: "Prekarität tötet" – Student*innen demonstrieren gegen prekäre Verhältnisse und finanziellen Druck bei Studierenden in Frankreich; Lyon, 2019.
Auch in Österreich gibt es Armut. Laut Statistik Austria liegt die Armutsgefährdungsschwelle (60% des Median-Einkommens) für einen Einpersoneneinhalt bei 1.572 Euro pro Monat. Im Jahr 2023 lag der Anteil der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten Menschen bei 17,7 % der Gesamtbevölkerung (Erhebung EU-SILC 2023, Statistik Austria). Das sind 1.592.000 Menschen.
Laut Erhebung EU-SILC 2023 sind 3,7% der österreichischen Bevölkerung "erheblich materiell depriviert". Das bezeichnet Haushalte, die über ein so geringes Einkommen verfügen, dass die Ausgaben des täglichen Lebens, die nach EU-Definition als Mindestlebensstandard gelten, nicht leistbar sind. Das betrifft demnach 336.000 Menschen in Österreich, ein Anstieg im Vergleich zum Jahr 2022: 201.000 Personen bzw. 2,3 % der Bevölkerung. Die Armutskonferenz nennt folgende Beispiele für diese Ausgaben des täglichen Lebens, die als Mindestlebensstandard gelten: Waschmaschine, Handy und die Wohnung angemessen warm zu halten.
Besonders Kinder und Jugendliche (insbesondere in Familien mit mehreren Kindern) und Frauen sind von Armut betroffen, insbesondere Frauen im Alter und Alleinerzieher*innen. Ebenfalls stärker gefährdet sind langzeitarbeitslose Menschen sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen. Quelle: Armutskonferenz
Das von der türkis-blauen Regierung beschlossene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bezeichnete Amnesty International Österreich in ihrer Stellungnahme als „Verarmungsgesetz“, da das Gesetz nicht mehr ausdrücklich darin besteht, betroffene Menschen vor Armut zu schützen und ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Denn die Sozialhilfeleistung soll nur noch der „Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts dienen“. Die Sozialhilfe soll somit nicht mehr ein Sockel sein, der ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, sondern nur noch ein „Beitrag“ zum Lebensunterhalt. Erste Befunde der Armutskonferenz zeigen die gravierenden Folgen der Umsetzung dieses Gesetzes durch die Bundesländer.
Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuss der für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen.
Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte (AEMR)
Damit legt Artikel 22 AEMR – wie auch Artikel 9 IPwskR – einen höheren Maßstab für ein menschenwürdiges Leben an, das die freie Entwicklung der Persönlichkeit und Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen mitumfasst.
Da in Österreich das Recht auf soziale Sicherheit (iSd Artikel 9 IPwskR) nicht vor Gericht durchsetzbar ist, weil wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte – und dazu zählt das Recht auf soziale Sicherheit – nicht verfassungsrechtlich verankert sind und der Internationale Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte unter Erfüllungsvorbehalt steht, gilt jedoch dieser Maßstab nicht.
Damit ist als Mindeststandard für ein menschenwürdiges Leben nur Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention einschlägig; darin ist aber ein niedrigerer Maßstab vorgesehen: nämlich die Verhinderung eines menschenunwürdigen Lebens.
Laut den Vereinten Nationen sind nach Beginn der Pandemie Anfang 2020 über 120 Millionen Menschen weltweit in extreme Armut abgerutscht. Gleichzeitig waren jene Menschen, die in Armut leben oder armutsgefährdet sind, den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Risiken der Pandemie stärker ausgesetzt. An vielen Orten der Welt wird armutsbetroffenen Menschen der Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Wohnen erschwert. Beides ist jedoch unabdingbar, um sich vor einer COVID-19 Erkrankung und ihren Folgen schützen zu können.
Bild: Durch den mangelnden Zugang zu Impstoffen und Sauerstoff-Knappheit wurde Nepals Bevölkerung von einer verheerenden zweiten COVID-19-Welle getroffen; Mai 2021.
Rechte, die eng an einen angemessenen und menschenwürdigen Lebensstandard und somit auch an die Armutsvermeidung geknüpft sind, sind sowohl in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (vor allem Artikel 22 bis 26) als auch im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) verankert. Diese reichen vom Recht auf Arbeit, Höchstmaß an Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit bis hin zum Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, welches auch das Recht auf angemessene Nahrung und Wohnen beinhaltet.
Die Vertragsstaaten dieses Paktes sind demnach völkerrechtlich dazu verpflichtet, diese Rechte zu achten, zu schützen und zu verwirklichen. Österreich hat den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 1973 ratifiziert. Der Pakt trat 1978 in Kraft, steht jedoch unter einem sogenannten „Erfüllungsvorbehalt“. Das bedeutet, dass die im Pakt verankerten Rechte, nicht direkt in Einzelfällen vor österreichischen Gerichten anwendbar sind und sich Anwält*innen nicht direkt darauf berufen können.
Außerdem hat Österreich die Europäische Sozialcharta ratifiziert und es finden sich sowohl in zahlreichen weiteren gruppenspezifischen internationalen Menschenrechtskonventionen (wie beispielsweise in der Frauenrechtskonvention, Kinderrechtekonvention und Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen), wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, als auch in der Grundrechtecharta der Europäischen Union.
Ein menschenwürdiges Leben für alle in Österreich ist kein Almosen des Staates oder parteipolitisches Programm, sondern ein Menschenrecht. Es ist höchste Zeit, dass das auch die Verfassung in Österreich widerspiegelt.
Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Soziale Rechte als Menschenrechte verstehen und behandeln
Um Armut in Österreich besser zu vermeiden, ist es notwendig, dass alle Menschen ihre sozialen Menschenrechte einfordern und geltend machen können. Noch fehlt in Österreich das Bewusstsein für unsere wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, zu denen zum Beispiel das Recht auf Wohnen zählt. Denn das Beispiel zeigt: Wohnen wird primär als Ware gesehen und weniger als ein Recht, das menschenrechtliche Verpflichtungen und Ansprüche mit sich bringt. Wir alle – und besonders politische Entscheidungsträger*innen – müssen soziale Rechte wie das Recht auf Wohnen, auf Bildung und auf Arbeit, als Menschenrechtsthemen verstehen und behandeln. Insbesondere staatliche Verpflichtungen in Bezug auf soziale Rechte müssen besser verstanden werden, damit sie letztlich besser eingehalten werden.
Soziale Rechte müssen in der Verfassung verankert werden
Obwohl die sozialen Rechte uns allen zustehen, sind sie in Österreich nicht in der Verfassung verankert. Die Verankerung in der österreichischen Bundesverfassung würde die Rechtssicherheit stärken und Menschen helfen, ihre Rechte durchzusetzen. Außerdem wäre dadurch sichergestellt, dass der Schutz und die Erfüllung dieser Rechte nicht dem Ermessen einzelner Regierungen überlassen werden, sondern einen rechtlichen Status als nationale Prioritäten erhalten, an den nachfolgende Regierungen gebunden sind.
Ein Teil der Inhalte dieser Seite wurde gemeinsam mit der Armutskonferenz Österreich erarbeitet. Amnesty International Österreich ist außerordentliches Mitglied der Armutskonferenz.