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Saudi-Arabien: Große Sorge um Manahel al-Otaibi

Isolationshaft für Tweets über Frauenrechte

Die saudische Fitness-Trainerin Manahel al-Otaibi (29) hatte sich auf X (Twitter) für Frauenrechte eingesetzt. Die Behörden nahmen sie deshalb im November 2022 zu Unrecht fest und verurteilten sie Anfang 2024 zu 11 Jahren Haft. Im Gefängnis wurde Manahel al-Otaibi brutal misshandelt, sie hat ein gebrochenes Bein und erhält keine medizinische Versorgung. Sie muss sofort freigelassen werden!

Manahel al-Otaibi hatte sich mit Beiträgen auf X (Twitter) für Frauenrechte eingesetzt und Fotos von sich ohne Abaya (ein traditionelles, locker sitzendes langärmeliges Gewand) auf Snapchat veröffentlicht. Am 16. November 2022 wurde sie verhaftet und angeklagt, gegen das Gesetz gegen Internetkriminalität verstoßen zu haben.

In einem Verfahren vor dem Sonderstrafgericht (Specialized Criminal Court - SCC) wurde Manahel al-Otaibi am 9. Jänner 2024 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Das SCC ist dafür bekannt, vage Bestimmungen aus Gesetzen anzuwenden, in denen friedliche Äußerungen mit "Terrorismus" gleichgesetzt werden. Amnesty International hat dokumentiert, dass alle Phasen eines Gerichtsverfahrens vor dem Sonderstrafgericht durch Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet sind.

Seit November 2023 befand sich Manahel al-Otaibi in Isolationshaft ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Erst am 14. April 2024 erhielten ihre Angehörigen einen kurzen Anruf, in dem ihnen Manahel al-Otaibi verzweifelt mitteilte, dass sie brutal geschlagen worden war und ihr Bein gebrochen ist. Die Gefängnisbehörden verweigern ihr jedoch eine medizinische Versorgung.

Manahel al-Otaibi hat kein Verbrechen begangen, sondern nur friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen. Sie muss sofort bedingungslos freigelassen werden!

Freilassung fordern!

 

Weitere Informationen

Sachlage

Manahel al-Otaibi war seit dem 5. November 2023 "verschwunden". Bis zu ihrem Verschwindenlassen durch die saudischen Behörden war die 29-jährige Fitnesstrainerin bereits ein Jahr lang inhaftiert, nachdem sie am 16. November 2022 festgenommen worden war. Gegen sie läuft ein Verfahren vor dem Sonderstrafgericht (Specialized Criminal Court - SCC) wegen des Verstoßes gegen das Gesetz gegen Internetkriminalität. Ihr wird vorgeworfen, Hashtags zur Unterstützung der Rechte von Frauen auf Twitter (jetzt X) sowie Bilder von sich selbst in einem Einkaufszentrum mit "anstößiger" Kleidung auf Snapchat veröffentlicht zu haben. Das Verfahren vor dem SCC, das zur Verhandlung von Verbrechen im Zusammenhang mit Terrorismus eingerichtet wurde, steht noch aus.

Kurz bevor ihre Familie den Kontakt zu ihr verlor, berichtete Manahel al-Otaibi, dass eine Mitgefangene sie brutal geschlagen habe. Dann hörten ihre Angehörigen nichts mehr von ihr. Erst am 14. April erhielten sie einen kurzen Anruf, in dem ihnen Manahel al-Otaibi verzweifelt mitteilte, dass sie von einer anderen Person, die sie weder als Gefangene noch Wärterin identifizieren konnte, erneut brutal geschlagen worden sei. Außerdem gehe sie davon aus, dass ihre Einzelhaft eine Vergeltungsmaßnahme dafür ist, dass sich ihre Schwester Fawzia al-Otaibi für ihre Freilassung eingesetzt hat. Diese sagte gegenüber Amnesty International, dass sie glaubt, dass der einzige Grund, warum Manahel al-Otaibi schließlich ein Telefonat erlaubt wurde, der sei, dass ihrer Familie die Botschaft vermittelt werden sollte, sich nicht mehr öffentlich zu ihrer Inhaftierung zu äußern. Ihre Familie gab an, dass Manahel al-Otaibi "Monate" in Einzelhaft unter isolierten Bedingungen verbracht habe. Dabei stützte sie sich auf Informationen von ehemaligen Gefangenen, die im selben Gefängnis inhaftiert waren. Das Festhalten von Personen in Einzelhaft länger als 15 Tage verstößt gegen das absolute Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung.

Nach Gerichtsdokumenten, die von Amnesty International eingesehen werden konnten, wurde Manahel al-Otaibi angeklagt, auf ihrem Twitter-Account "Inhalte zu veröffentlichen und zu verbreiten, die das Begehen öffentlicher Sünden beinhalten und Einzelpersonen und Mädchen in der Gesellschaft dazu anstiften, sich von religiösen Grundsätzen und sozialen Werten loszusagen und gegen die öffentliche Ordnung und die öffentliche Moral zu verstoßen", was einen Verstoß gegen das Gesetz gegen Internetkriminalität darstelle. Die Anklage gegen sie stützt sich auf ihre Beiträge in den Sozialen Medien, die "gegen Vorschriften und Gesetze in Bezug auf Frauen" gerichtet wären, unter anderem durch den Aufruf, der männlichen Vormundschaft ein Ende zu setzen (#EndMaleGuardianship). Die Staatsanwaltschaft verwies außerdem auf Berichte des auch als Religionspolizei bekannten Ausschusses zur Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters aus den Jahren 2018 und 2019. Darin wurde Manahel al-Otaibi beschuldigt, den Ruf des Königreichs zu schädigen und ohne Abaya in das Einkaufszentrum gegangen zu sein, um sich für ein Abnehmen des Kopftuchs einzusetzen und Fotos ihrer Aktion auf Snapchat zu veröffentlichen.

Hintergrundinformationen

Die erste Anhörung im Fall von Manahel al-Otaibi fand vor dem Strafgericht in Riad statt. Am 23. Januar 2023 entschied das Strafgericht, dass es in diesem Fall juristisch nicht zuständig sei und verwies den Fall an das Sonderstrafgericht (SCC) in der Hauptstadt Riad. Das SCC ist dafür bekannt, vage Bestimmungen aus den Gesetzen zur Bekämpfung von Internetkriminalität und Terrorismus anzuwenden, in denen friedliche Äußerungen mit "Terrorismus" gleichgesetzt werden. Amnesty International hat dokumentiert, dass alle Phasen eines Gerichtsverfahrens vor dem SCC durch Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet sind.

Seit 2018 haben die saudischen Behörden willkürlich saudische Frauenrechtsaktivistinnen inhaftiert, die sich für die Abschaffung des männlichen Vormundschaftssystems und das Recht auf Autofahren eingesetzt haben. Die inhaftierten Feministinnen sollen während der Verhöre sexuell belästigt, gefoltert und in anderer Weise misshandelt worden sein. Gegen freigelassene Personen wurde ein Reiseverbot verhängt, außerdem ist ihr Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt.

Auch gegen die beiden Schwestern von Manahel al-Otaibi wurde Anklage erhoben, weil sie sich für die Rechte von Frauen einsetzen. Im selben Verfahren, das die Staatsanwaltschaft gegen Manahel al-Otaibi beim SCC in Riad eingeleitet hat, wird ihre Schwester Fawzia beschuldigt, "eine Propagandakampagne zu führen, die saudische Mädchen dazu anstiften soll, religiöse Grundsätze zu verleugnen und gegen die Sitten und Gebräuche der saudischen Kultur zu rebellieren" und einen Hashtag verwendet zu haben, "der für die Befreiung und die Abschaffung der männlichen Vormundschaft wirbt". In dem von Amnesty International eingesehenen Gerichtsdokument heißt es, dass gegen Fawzia al-Obaidi ein gesonderter Haftbefehl erlassen werde. Ihre andere Schwester, Mariam, eine bekannte Aktivistin gegen die männliche Vormundschaft im Königreich, wurde bereits früher wegen ihres Engagements für die Rechte der Frauen angeklagt und inhaftiert und unterliegt derzeit einem Reiseverbot.

In einem ähnlichen Fall wie dem von Manahel al-Otaibi verurteilte das Sonderstrafgericht am 25. Januar 2023 Salma al-Shehab, eine Doktorandin der Universität Leeds und Mutter von zwei Kindern, im Rechtsmittelverfahren erneut zu 27 Jahren Haft, gefolgt von einem 27-jährigen Reiseverbot. Das SCC sprach Salma al-Shehab in einem grob unfairen Gerichtsverfahren wegen terrorismusbezogener Vorwürfe schuldig, weil sie auf Twitter Beiträge zur Unterstützung von Frauenrechten veröffentlicht hatte.

Mitte 2021 waren fast alle Menschenrechtsverteidiger*innen, Frauenrechtler*innen, unabhängigen Journalist*innen, Schriftsteller*innen und Aktivist*innen im Land willkürlich inhaftiert, hatten langwierige und unfaire Gerichtsverfahren – meist vor dem SCC – durchlaufen oder waren unter Bedingungen freigelassen worden, die Reiseverbote und andere willkürliche Einschränkungen ihrer Grundrechte, wie z. B. des Rechts auf friedlichen Aktivismus, beinhalteten.

Bis Januar 2024 hat Amnesty International die Fälle von 69 Personen dokumentiert, die wegen der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung strafrechtlich verfolgt wurden, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, friedliche politische Aktivist*innen, Journalist*innen, Dichter*innen und Geistliche. Unter ihnen waren 32 Personen, die wegen ihrer friedlichen Meinungsäußerung in den Sozialen Medien strafrechtlich verfolgt wurden. Amnesty International ist bewusst, dass die tatsächliche Zahl derartiger Strafverfolgungen vermutlich wesentlich höher ist.

Musterbrief

Appelle an

JUSTIZMINISTER
Waleed Mohammed Al Smani
Minister of Justice
Postal Code 11472
P.O. Box 7775
Riad
SAUDI-ARABIEN
Email: minister-office@moj.gov.sa

Kopien an

Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien
S.E. Herr Abdullah Khalid O TAWLAH
Schottenring 21
1010 Wien
Fax: (+43 / 1) 367 25 40
E-Mail: saudiembassy(at)saudiembassy.at

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf zu veranlassen, dass Manahel al-Otaibi umgehend und bedingungslos freigelassen wird, da sie sich nur aufgrund der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung in Haft befindet.
  • Bis zu ihrer Freilassung muss ihr unverzüglich Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt werden, und ihre Vorwürfe der Folter und anderer Misshandlungen müssen unparteiisch untersucht werden.

Inhalt

Your Excellency,

I am distressed to learn that the Specialized Criminal Court in Saudi Arabia has sentenced 29-year-old fitness instructor and women’s rights activist Manahel al-Otaibi to eleven years in prison on “terrorist offences” after a secret trial. The decision was only revealed weeks later in the Saudi government’s formal reply to a request for information in a Joint Communication by UN Special Rapporteurs about her case.

On 9 January 2024, the Specialized Criminal Court found Manahel al-Otaibi guilty under articles 43 and 44 of the Kingdom’s Law for Combatting Terrorism and its Financing. Manahel al-Otaibi’s family have not had access to her court documents, or the evidence presented against her.

Manahel al-Otaibi was arrested on 16 November 2022 and charged with violating the Anti-Cyber Crime Law for tweeting hashtags in support of women’s rights and posting photos on Snapchat of herself at the mall wearing “immodest” clothing. Her case was first heard by the Criminal Court in Riyadh on 23 January 2023 who referred her to the Specialized Criminal Court. According to court documents reviewed by Amnesty International, Manahel al-Otaibi was charged with “publishing and spreading content that contains committing public sins and inciting individuals and girls in society to renounce religious principles and social values and to violate public order and public morals on her Twitter account”, in violation of the Anti-Cybercrime Law. The charges against her are based on her social media posts which were “opposed to regulations and laws that relate to women”, including through calling to #EndMaleGuardianship.

Saudi authorities forcibly disappeared Manahel al-Otaibi between 5 November 2023 and 14 April 2024. On 14 April 2024, after a period more than five months of enforced disappearance, she called her family to inform them that she is being held in solitary confinement in al-Malaz Prison with a broken leg after being brutally beaten, and without access to medical care.

Her sister Fawzia al-Otaibi told Amnesty International that she believes the only reason Manahel al-Otaibi was finally permitted a phone call was in order to convey a message to her family to stop being publicly outspoken about her imprisonment. Her family alleged that Manahel al-Otaibi spent “months” in solitary confinement, based on information provided to them by former detainees who had been held in the same prison. Prolonged solitary confinement for more than 15 days is a violation of the absolute prohibition of torture and other cruel, inhuman and degrading treatment.

I urge you to order the immediate and unconditional release of Manahel al-Otaibi, as she has been convicted solely for peacefully exercising her right to freedom of expression. Pending her release, she must be granted immediate access to medical care, and her allegations of torture and other ill-treatment must be impartially investigated.

 Yours sincerely,

Fordere Manahels Freilassung!

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