„Not a private matter“ - Häusliche Gewalt in den ostukrainischen Regionen Donetsk und Luhansk
16. November 2020In den letzten Jahren wurde geschlechterbezogene Gewalt gegen Frauen zu einem häufig diskutierten Thema in der Ukraine. Trotz neuer Gesetze und Maßnahmen, sowie der medialen Aufmerksamkeit und den Debatten auf Social Media - Gewalt gegen Frauen bleibt ein weit verbreitetes und doch tief verborgenes Phänomen in der Ukraine. Besonders ausgeprägt ist sie in den von Konflikten betroffenen Gebieten Donetsk und Luhansk in der Ostukraine. 2.7 Millionen Menschen (davon alleine 2 Millionen Frauen, Kinder und ältere Menschen) leben in einem Umkreis von 20km entlang der ‚contact-line‘, die die staatlich kontrollierten Gebiete von den nicht staatlich kontrollierten Gebieten trennt. Der Konflikt in der Ostukraine dauert bereits fast sieben Jahre, bis Februar 2020 kamen mehr als 3.340 Zivilpersonen ums Leben, 7.000 wurden verletzt. Durch ständige Verstöße gegen den Waffenstillstand und die hohe Anzahl an Landminen verbessert sich die Lage nicht wirklich.
Hinzu kommen Militärpräsenz, ein Mangel an Sicherheit, das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für die Täter häuslicher Gewalt, die besonders für Frauen ein zusätzliches Risiko darstellen. Dieser Missstand wurde zum Anlass des am 11. November 2020 veröffentlichten Bericht „Not a private matter – Domestic and sexual violence against women in Eastern Ukraine” von Amnesty International.
Der Hauptfokus des Berichts liegt auf geschlechterbezogener Gewalt in den staatlich kontrollierten Gebieten der Regionen Donetsk und Luhansk, besonders in der Hinsicht auf die Verschlimmerung häuslicher Gewalt gegen Frauen durch den Konflikt, als auch auf sexueller Gewalt gegen Frauen, begangen von Angehörigen der militärischen Macht. Zwar gab es in den letzten drei Jahren signifikante Entwicklungen in der ukrainischen Legislative, auch bezüglich der geschlechterbezogenen Gewalt, jedoch bleiben immer noch einige Lücken im Schutz bestehen.
So sind zum Beispiel Militärpersonal und Polizist*innen ausgenommen von den Bestimmungen der Verwaltung, die häusliche Gewalt bestrafen. Dies bedeutet, dass sie Strafverfolgungen umgehen können, da laut Gesetzesauslegung für eine strafrechtliche Verfolgung zwei vorherige Verurteilungen notwendig sind, um systematischen Missbrauch festzustellen.
Hinzu kommen ein extremer Mangel an Frauenhäusern und große Präsenz an Geschlechterstereotypen und hostile sexism, sowie ein Misstrauen gegenüber Behörden
(insbesondere der Polizei, Sozialarbeiter*innen und Mediziner*innen), die die Lage für Frauen in diesen Gebieten verschlimmern. Oft genagt von Scham und Schuld, aufgrund finanzieller Abhängigkeit, oder einfach aus Mangel an Bewusstsein wie und wo Hilfe zu finden ist - dies sind nur einige von vielen Gründen, warum betroffene Frauen nur selten solchen Missbrauch melden.
Aus 27 von Amnesty International erfassten Fällen häuslicher Gewalt wurden nur 17 bei den Behörden gemeldet. Die übrigen zehn Frauen hatten sich aufgrund vorheriger negativer Erfahrungen gar keine wirkungsvolle Reaktion erwartet und reichten deshalb keine Beschwerde ein.
Weiteres kommt es bei 95% der gemeldeten Fälle lediglich zu einer Geldstrafe, die in manchen Fällen so gering ist, dass sie von weiteren Gewalttaten nicht abhält. Oft führt es auch dazu, dass die Opfer selbst die Strafe bezahlen müssen, da diese vom gemeinsamen Haushaltsgeld bezahlt werden. Einstweilige Verfügungen kommen nur selten zum Einsatz, obwohl diese oft die einzige Schutzmöglichkeit für betroffene Frauen wäre.
Bereits 2015 stellte das OHCHR (UN Office of the High Commissioner for Human Rights) ein erhöhtes Risiko für häusliche Gewalt aufgrund der mangelnden psychologischen Betreuung von heimkehrenden Kriegsveteranen fest. Der Konflikt erleichtert den Zugang zu Waffen, die in manchen Fällen die Gefahrenlage von Frauen mit gewalttätigen Partnern zusätzlich verschärft.
Der Konflikt, eine von Mienen zerstörte Landwirtschaft – all das führt zweifellos zu einer Wirtschaftskrise in den betroffenen Regionen, es gibt wenig verfügbare Jobs und Frauen werden meist unterbezahlt. Dies drängt viele zur Prostitution, um für sie selbst und ihre Kinder zu sorgen. In der Ukraine ist Prostitution jedoch strafbar, aus dem Grund ist es für misshandelte Frauen noch schwieriger, Hilfe zu suchen. Meist haben sie zu große Angst, man könnte herausfinden welcher Berufung sie nachgehen.
Die immer präsentere gender-based violence in der Ostukraine und die geringen Maßnahmen dagegen sind ein Verstoß gegen Menschenrechte. Aus diesem Grund stellt Amnesty International einige Forderungen als Empfehlung aus, darunter:
- Die unbestreitbare Strafbarkeit häuslicher Gewalt und ein Herausnehmen der Regel, ‚systematische Gewalt‘ beweisen zu müssen.
- Untersuchung von Militärpersonal nicht mehr durch ihre Vorgesetzten, sondern von der Polizei.
- Gleicher Anspruch auf Gerechtigkeit, medizinische Grundversorgung und gleichen Rechtsschutz für Sexarbeiter*innen.
- Training für Polizist*innen, Jurist*innen und anderen relevanten Fachkräften, die mit von häuslicher und/oder sexueller Gewalt betroffenen Frauen zusammenarbeiten, um sekundäre Viktimisierung, diskriminierende Handlungen und das Anwenden von Gender-Stereotypen zu verhindern.