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Der Wettlauf um die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen nahm Ende letzten Jahres an Fahrt auf. Doch da reiche Länder Impfdosen horten, besteht die Gefahr, dass das lebensrettende Potenzial von Impfstoffen durch Ungleichheit und die Interessen von Konzernen untergraben wird.
Wie schaffen wir es, dass alle Menschen eine faire Dosis bekommen?
Wir müssen einfordern, dass genügend COVID-19-Impfstoffe für alle Menschen verfügbar sind – unabhängig davon, wo sie leben, wer sie sind oder was sie sich leisten können.
COVID-19 ist eine globale Krise, und wir werden sie nur lösen, wenn wir auf globale Zusammenarbeit setzen und Menschenrechte respektieren.
Die Frage, wer zuerst geimpft werden sollte, ist schwierig – wir alle haben das Recht, gegen COVID-19 geschützt zu sein. Aber anfangs sind die verfügbaren Impfstoffe begrenzt und wir müssen denjenigen Vorrang einräumen, die am meisten gefährdet sind. Gesundheitspersonal, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen gehören zu den Gruppen, die vorrangig Zugang zu Impfungen erhalten sollten.
Regierungen müssen aber bei der Erstellung der Pläne für die COVID-19-Immunisierung auch menschenrechtliche Faktoren berücksichtigen, die einige Personen und Gemeinschaften in eine besonders gefährdete Situation bringen. Die Pandemie verschärft nicht nur bereits bestehende Ungleichheiten, sondern hat auch unverhältnismäßige Auswirkungen auf Menschen, die ausgegrenzt und diskriminiert werden.
So sind zum Beispiel indigene Amazonasgemeinden in Ecuador aufgrund des Mangels an Trinkwasser, Nahrungsquellen, medizinischer Versorgung, Gesundheitsdiensten und COVID-19-Tests oft einem höheren Risiko ausgesetzt. Im April verschmutzte eine Ölpest die Lebensmittel- und Wasserquellen vieler Gemeinschaften, was ihr Infektionsrisiko erhöhte.
Menschen, die in überfüllten Flüchtlingslagern unter unhygienischen Bedingungen leben müssen, dürften ebenfalls einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sein. Undokumentierte Migrant*innen und Geflüchtete haben in vielen Ländern oftmals keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, einschließlich Impfstoffen.
Bei allen Entscheidungen über die Bereitstellung von Impfstoffen müssen Risiko- und Gefährdungsfaktoren wie Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Zugang zu sanitären Einrichtungen sorgfältig berücksichtigt werden. Zu eng gefasste Definitionen von Risikofaktoren könnten dazu führen, dass gerade jene Menschen, die den Impfstoff am dringendsten benötigen, ihn nicht erhalten.
Die möglichst frühzeitige Bereitstellung von Impfstoffen an Gesundheitspersonal muss alle Menschen berücksichtigen, die im Gesundheitssektor arbeiten – also neben Ärzt*innen und Krankenpflegekräfte auch Fahrer*innen, Verwaltungspersonal, Pflegepersonal und viele mehr.
Nach internationalen Menschenrechtsbestimmungen sind Länder verpflichtet, im Kampf gegen die Pandemie zusammenzuarbeiten. Wohlhabendere Staaten tragen eine besondere Verantwortung, Staaten mit weniger Ressourcen zu unterstützen. Aber einige Regierungen haben sehr schnell einen "Wir zuerst"-Ansatz eingeschlagen, der die Wirksamkeit von Impfstoffen untergraben könnte.
Untersuchungen von Oxfam haben gezeigt, dass reiche Nationen, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, bereits mehr als die Hälfte der in naher Zukunft verfügbaren Impfstoffe aufgekauft haben. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der versprochenen Dosen der fünf führenden Impfstoffe bereits vergeben sind. Im November 2020 waren bereits mehr als 80 % der für 2021 geplanten Impfstofflieferungen von Pfizer-BioNTech und Moderna an reiche Länder verkauft worden.
1,5%
Der von den 3 größten Pharmafirmen produzierte Impfstoff reicht nur für 1,5% der Weltbevölkerung.
80%
Bereits im November 2020 waren mehr als 80 % der für 2021 geplanten Impfstofflieferungen von Pfizer-BioNTech und Moderna an reiche Länder verkauft.
50%
Mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung kann sich heute keine grundlegende Gesundheitsversorgung leisten.
Quellen von oben nach unten: 1) Oxfam 2) Global Justice Now 3) World Economic Forum
Abgesehen davon, dass damit die Rechte von Millionen von Menschen verletzt werden, ist der "Impfstoff-Nationalismus" alarmierend kurzsichtig. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass wir etwa 70 % der Weltbevölkerung impfen müssen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Das Horten von Impfstoffen für einige wenige Privilegierte wird diese Pandemie nicht beenden.
Die Staaten müssen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Menschen Zugang zu Impfstoffen erhalten. Das bedeutet, dass wohlhabendere Staaten darauf verzichten sollten, große bilaterale Verträge mit Pharmaunternehmen abzuschließen. Stattdessen sollten sie sich globalen Initiativen anschließen, die darauf abzielen, einen fairen Impfstoffzugang für alle Länder zu gewährleisten – dazu zählt zum Beispiel das COVAX-Programm der WHO.
"Impfstoff-Nationalismus" ist kurzsichtig. Die WHO schätzt, dass wir etwa 70 % der Weltbevölkerung impfen müssen, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Das Horten von Impfstoffen wird diese Pandemie nicht beenden, sondern globale Zusammenarbeit.
Die Initiative COVAX ist eine Möglichkeit für Länder, ihre Ressourcen zu bündeln, in möglichst viele Impfstoffe zu investieren, um sie dann fair und gerecht zu verteilen. Bislang beteiligen sich 178 Länder an COVAX – bemerkenswerte Ausnahmen sind die USA und Russland.
Es bleiben Fragen offen, wie COVAX sein Ziel einer fairen und gerechten Verteilung erreichen wird. Das System wurde kritisiert, weil es wohlhabenderen Ländern erlaubt, Dosen anzufordern, mit denen 50 % ihrer Bevölkerung geimpft werden können, während ärmere Länder bisher nur 20 % anfordern können. Reichere Länder können auch einen höheren Preis im Voraus zahlen, um jene Impfstoffe auszuwählen, die sie bevorzugen.
Dadurch ist ein Zwei-Klassen-System entstanden, das das Ziel von COVAX – Impfstoffe für alle Menschen zugänglich zu machen – gefährden könnte.
Staaten, die COVAX beitreten, müssen eine sinnvolle Beteiligung der Zivilgesellschaft und ärmerer Länder an der Entscheidungsfindung einfordern und den Prinzipien der Transparenz und Rechenschaftspflicht folgen.
Wenn neue Medikamente entwickelt werden, erhält in der Regel jenes Unternehmen, das sie herstellt, die geistigen Eigentumsrechte. Das bedeutet, dass für einen bestimmten Zeitraum nur dieses Unternehmen allein das Medikament produzieren darf. Dem Unternehmen obliegt auch die Entscheidung, wie viel das Medikament kosten soll. Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums (Patente) können auch die Weitergabe von Daten aus der Forschung und Entwicklung einschränken – wenn also ein Pharmaunternehmen einen erfolgreichen COVID-19-Impfstoff gefunden hat, hätte es das Recht, diese Informationen für sich zu behalten.
Wir wissen bereits, wie viel Schaden es anrichten kann, wenn Unternehmen Patente wichtiger sind als Menschen. Jahrelang wurde Menschen, die mit HIV leben, die Behandlung verwehrt, weil Pharmaunternehmen die notwendigen Medikamente künstlich knapp hielten und unangemessen hohe Preise verlangten. Während diese Unternehmen vom Verkauf ihrer Medikamente in einigen reichen Ländern profitierten, hatten Millionen von Menschen keinen Zugang zu lebensrettenden Behandlungen.
Die internationalen Menschenrechtsstandards sind hier eindeutig: Die öffentliche Gesundheit hat Vorrang vor dem Recht von Unternehmen, ihr geistiges Eigentum zu schützen.
Um Unternehmen zu ermutigen, ihr Know-how zu teilen, hat die WHO den COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP) eingerichtet, wo Unternehmen Daten und Patente zu ihren Innovationen teilen können. Wenn Unternehmen dem C-TAP beitreten, soll das den Umfang der öffentlich zugänglichen Forschung zu COVID-19-Impfstoffen enorm erhöhen, die Herstellung steigern und die Kosten für Impfstoffe senken.
Leider hat sich bis heute kein einziges Unternehmen C-TAP angeschlossen. Oxford/AstraZeneca ist die einzige Firma, die sich verpflichtet hat, ihren Impfstoff für die Dauer der Pandemie ohne Gewinn zu verkaufen. Andere Unternehmen müssen diesem Beispiel folgen, indem sie offene und nicht-exklusive Lizenzen vergeben und damit sicherstellen, dass die COVID-19-Impfstoffe so viele Menschen wie möglich erreichen.
Im Mai 2020 richtete die Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) den COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP) ein, der die Ressourcen verschiedener Unternehmen weltweit bündeln soll. Wenn die Entwickler*innen von Impfstoffen ihre Forschung teilen und Teil von C-TAP werden, können Impfstoffe rascher in verschiedenen Teilen der Welt produziert werden und die Menschen überall schneller und günstiger geimpft werden.
Bisher ist kein einziges Unternehmen C-TAP beigetreten.
Als Teil ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungenmüssen Regierungen Maßnahmen ergreifen, um jegliche finanzielle Hürden zu beseitigen, die Menschen bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Gesundheit behindern könnten.
Wie alle Unternehmen haben auch Pharmaunternehmen eine menschenrechtliche Verantwortung. Im Jahr 2008 haben die UN Richtlinien veröffentlicht, wie pharmazeutische Unternehmen dieser Verantwortung für das Recht auf Gesundheit nachkommen sollten, u. a. indem sie Möglichkeiten prüfen, ihre Produkte für so viele Menschen wie möglich erschwinglich zu machen.
Die Kosten können den Zugang zur Gesundheitsversorgung behindern, vor allem für benachteiligte Menschen, und mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung kann sich keine grundlegende Gesundheitsversorgung leisten. Das bedeutet, dass Impfstoffe wahrscheinlich für die Hälfte aller Menschen auf der Welt nicht zugänglich sind, es sei denn, sie sind am Behandlungsort kostenlos.
Regierungen müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Impfstoffe bereitzustellen. Die Investition ist es wert: Impfstoffe sind eine der kosteneffektivsten Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und COVID-19-Impfstoffe können die Übertragungskette zwischen Menschen früh unterbrechen und weitere gesundheitliche und sozioökonomische Auswirkungen verhindern.
Die WHO schätzte Ende 2020, dass eine der kollektiven Initiativen für einen weltweiten Zugang zu COVID-19-Gesundheitsprodukten mit 38 Milliarden Dollar vollständig finanziert werden könnte. Diese Summe könnte durch wirtschaftliche Aktivitäten "in weniger als 36 Stunden wiedergewonnen werden, sobald die globale Mobilität und der Handel wiederhergestellt sind."
Impfstoffe müssen den neuesten Standards der wissenschaftlichen Gemeinschaft hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit entsprechen – Sicherheit ist wichtiger als Schnelligkeit. Ebenso wichtig ist, dass die Impfpläne mit dem Schutz der Menschenrechte vereinbar sind. Besondere Aufmerksamkeit gilt der informierten Zustimmung.
Das bedeutet, dass Regierungen klar über den Nutzen von Impfungen kommunizieren, Fehlinformationen entgegenwirken und über alle Phasen der Impfstoffentwicklung transparent sein sollten. Wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Impfstoffen müssen für alle Menschen verständlich erklärt und verbreitet werden – in Sprachen, die sie verstehen, und in Formaten, zu denen sie Zugang haben.
Information und Transparenz sind ein wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Gesundheit und der Schlüssel zur Sicherstellung einer möglichst hohen Impfrate. Denn die Menschen können nur dann fundierte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen, wenn sie rechtzeitig korrekte Informationen erhalten.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich