Deine Spende wird heute verdoppelt
Jede Spende bis zum 31. Dezember wird verdoppelt. So entfaltet dein Beitrag doppelte Wirkung und schützt weltweit die Rechte von Menschen in Gefahr.
Veröffentlicht am 14.4.2023, zuletzt aktualisiert am 30.9.2024
Seit 2022 verschwinden in Österreich 16.328 Kinder und die Politik sieht weg. Wie ist das möglich? Der folgende Text gibt dir einen Überblick über die menschenrechtliche Situation unbegleiteter geflüchteter Kinder in Österreich und zeigt auf, wie wir gemeinsam für positive Veränderung sorgen können.
> Was bedeutet der Begriff umF?
> Wie ist es möglich, dass mehr als 16.000 Kinder einfach verschwinden?
> Wie sieht die Situation unbegleiteter geflüchteter Kinder derzeit in Österreich aus?
> Warum erhalten die Kinder keine kindgerechte Betreuung?
> Wie werden die Menschenrechte geflüchtete Kinder derzeit in Österreich verletzt?
> Wie könnte eine Lösung der Problematik aussehen?
> Was fordert Amnesty International von den politischen Entscheidungsträger*innen?
> Was kannst du tun, um die Situation unbegleiteter geflüchteter Kinder in Österreich zu verbessern?
Der Begriff Unbegleitete minderjährige Fremde (umF), häufig auch Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Fluchtwaisen oder auch unbegleitete Flüchtlinge bezeichnet Kinder, die ohne Begleitung ihrer Eltern nach Österreich geflohen sind und in Österreich Asyl beantragt haben.
Seit 2022 sind in Österreich mehr als 16.000 Kinder verschwunden. Das entspricht ungefähr der Einwohner*innenzahl der burgenländischen Landeshauptstadt Eisenstadt. Eine unglaubliche Zahl, für die es allerdings eine Erklärung gibt: Wenn unbegleitete geflüchtete Kinder in Österreich ankommen, werden sie in großen und für Kinder nicht geeigneten Bundesbetreuungseinrichtungen (wie z.B. die Betreuungsstelle Ost in Traiskirchen) untergebracht und sind dort zunächst auf sich allein gestellt. Niemand übernimmt die Obsorge für diese Kinder, solange sie nicht in eine Betreuungseinrichtung der Bundesländer überstellt werden. Das bedeutet: Monatelang ist niemand dafür zuständig, sich um die Pflege und Erziehung der Kinder zu kümmern. Dieser Missstand trägt dazu bei, dass viele geflüchtete Kinder in der Zwischenzeit verschwinden. Niemand weiß, was mit den Kindern passiert ist, da niemand sich verantwortlich fühlt.
Vor der Überstellung in eine Betreuungseinrichtung der Bundesländer, sind die Kinder in großen Bundesbetreuungseinrichtungen wie z.B. die Betreuungsstelle Ost in Traiskirchen untergebracht. Die sogenannte Bezugsbetreuung und die gesetzliche Vertretung im Asylverfahren erfolgt durch die BBU (Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen). Doch gibt es in dieser Zeit keine Obsorgeberechtigten für die Kinder, die für ihre Pflege und Erziehung zuständig sind. Dieser Zustand kann Monate andauern. Dadurch sind die Kinder mitunter monatelang in Bundeseinrichtungen untergebracht, wo sie keinen Zugang zu kindgerechter Betreuung, Information und Bildung erhalten. Das steigert außerdem die Gefahr für Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch der Kinder. Wenn niemand für die Kinder verantwortlich ist, kann auch die Gefahr von Menschenhandel nicht ausgeschlossen werden.
Derzeit gibt es zu wenig Plätze in den Betreuungseinrichtungen der Bundesländer. Denn die dafür von der Bundesregierung bereitgestellten Mittel sind viel zu niedrig. Dadurch weigern sich die Bundesländer, die Verantwortung für diese Kinder zu übernehmen, und stellen zu wenig Quartiere zur Verfügung.
Die Betreuungseinrichtungen werden über sogenannte Tagsätze finanziert. Diese sind derzeit für unbegleitete geflüchtete Kinder (umF) zu niedrig. Der Tagsatz für unbegleitete geflüchtete Kinder liegt bei maximal 95 Euro pro Kind. Zum Vergleich: Für österreichische fremduntergebrachte Kinder liegt er bei durchschnittlich 170 Euro pro Kind. Die letzte Anhebung der umF-Tagsätze war im Jahr 2016. Eine kostendeckende Finanzierung von Betreuungseinrichtungen ist dadurch schwierig bis unmöglich.
Im Herbst 2022 wurde von der österreichischen Bundesregierung die Einführung eines “transparenten Realkostenmodells” angekündigt, bei dem die tatsächlichen Kosten der Betreuungseinrichtungen abgedeckt und eine den Bedürfnissen entsprechende Betreuung sichergestellt werden soll. Auch die Bundesländer haben einer Ressourcenerhöhung für unbegleitete geflüchtete Kinder grundsätzlich zugestimmt.
Am 12. Dezember 2023 haben die österreichische Bundesregierung und das Land Wien das "transparente Realkostenmodell" beschlossen. Das Finanzierungsmodell ermöglicht, dass die tatsächlichen Kosten der Betreuungseinrichtungen abgedeckt werden und somit eine bessere Betreuung von unbegleiteten geflüchteten Kinder gewährleistet werden kann.
Außerhalb Wiens ist eine kostendeckende Finanzierung von Betreuungseinrichtungen zurzeit nur durch die zusätzliche Verwendung von Spendengeldern möglich. Viele Einrichtungen sind von der Schließung bedroht. Schließungen würden bedeuten, dass noch mehr unbegleitete geflüchtete Kinder in ungeeigneten, nicht kindgerechten Bundesbetreuungseinrichtungen untergebracht werden müssten.
Nach den Grundsätzen der Kinderrechtskonvention haben Kinder, die von ihren Familien getrennt sind, ein Recht auf besonderen Schutz und Unterstützung durch den Staat, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Status. Kinderrechte sind keine unverbindlichen Empfehlungen, sondern menschenrechtliche Verpflichtungen des Staates.
In der aktuellen Situation werden unbegleitete geflüchtete Kinder in Österreich weder bestmöglich geschützt noch betreut. Sie sind außerdem von der Ausbildungspflicht ausgeschlossen, die seit 1. Juli 2017 in Österreich bis 18 Jahre gilt. Demnach müssen sich alle jungen Menschen in Österreich nach der Pflichtschule bis 18 in irgendeiner Art von Ausbildung befinden. Doch gilt dies nur für Jugendliche, die sich „nicht nur vorübergehend in Österreich aufhalten“. Damit sind zahlreiche unbegleitete geflüchtete Kinder im Alter von 15 bis 18 Jahren von der Ausbildungspflicht ausgenommen. Unbegleitete geflüchtete Kinder werden daran gehindert, ihr Potenzial zu entfalten und aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen. Außerdem haben unbegleitete geflüchtete Kinder durch mangelnde Informationsangebote und Desinformation oftmals zu wenig Wissen über ihre Chancen und Rechte.
[...] Können die Eltern oder andere Familienangehörige nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind [...] derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist.
UN-Kinderrechtskonvention, Art. 22 (2) zu Kindern auf der Flucht
Vor und während des Asylverfahrens haben geflüchtete Kinder oft eingeschränkten Zugang zur Schul- und Berufsausbildung. Doch im Jahr 2022 erhielten 80% der unbegleiteten geflüchteten Kinder, die in Österreich ein Asylverfahren abgeschlossen haben, einen Aufenthaltsstatus. Das bedeutet, dass diese Kinder langfristig in Österreich bleiben können. Eine frühzeitige Investition in ihre Bildung und Betreuung ermöglicht ihnen, ihr Potential zu entfalten und sich eine eigenständige Zukunft aufzubauen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung sowohl für die Kinder als auch für die positive Entwicklung unserer Gesellschaft, das Recht auf Bildung für alle Kinder in Österreich zu garantieren.
Bereits laut dem österreichischen Regierungsprogramm 2020-2024 sollten eine schnelle Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge durch die Kinder- und Jugendhilfe und die Berücksichtigung des Kindeswohls im Asylverfahren sichergestellt werden.
Die politischen Entscheidungsträger*innen dürfen nicht länger wegsehen und müssen jetzt endlich Versprechen einlösen. Wenn Kinder bestmöglich geschützt und gefördert werden, können sie sich eine Zukunft aufbauen. Es liegt in unserer Verantwortung, es ihnen zu ermöglichen.
Daher braucht es jetzt politischen Willen und ausreichend finanzielle Mittel vom Bund, um die tatsächlichen Kosten für die Betreuung von unbegleiteten geflüchteten Kindern abzudecken und ihre kindgerechte Versorgung ab Tag 1 sicherzustellen. Nur so kann eine Situation geschaffen werden, in der die Kinder- und Jugendhilfen in den Bundesländern sich dazu bereit erklären, ab Tag 1 die Verantwortung und die Obsorge für unbegleitete geflüchtete Kinder zu übernehmen.
Alle fremdbetreuten Kinder in Betreuungseinrichtungen in Österreich müssen – den Kinderrechten entsprechend und unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – denselben Schutz und dieselbe Unterstützung erhalten, die es ihnen ermöglicht, in Sicherheit aufzuwachsen und ihre Potentiale zu entwickeln. Wir fordern daher die Bereitstellung ausreichender Mittel für die Obsorge und eine kindgerechte Betreuung ab Tag 1!
Dafür muss das Bundesministerium für Inneres:
Unterschreibe die Online-Aktion!
Gleiche Chancen und gleiche Rechte sind das Fundament unseres Zusammenlebens. Nur wenn wir sie für alle Kinder sicherstellen, kann sich unsere Gesellschaft positiv entwickeln. Nur so können alle Kinder in Österreich ihre Potentiale entfalten. Unterschreibe die Online-Aktion und fordere mit uns Obsorge ab Tag 1 für unbegleitete geflüchtete Kinder!
Sprich darüber!
Wir dürfen nicht zulassen, dass Angst und Hass unseren Umgang mit unbegleiteten geflüchteten Kindern bestimmt. Jedes Kind hat das Recht, in Sicherheit aufzuwachsen. Daher muss auch jedes Kind als Kind behandelt werden, nicht wie erwachsene Asylsuchende. Das ist aber in Österreich derzeit kaum der Fall: Unbegleitete geflüchtete Kinder werden in erster Linie als Asylsuchende, und nicht als hilfsbedürftige Kinder wahrgenommen. Wir alle können dazu beitragen, diesen Narrativ zu verändern und den Fokus auf das zu legen, worum es eigentlich gehen sollte: Das Wohl von Kindern, das immer Vorrang hat.
2
Mehr als jede zweite Person auf der Flucht ist ein Kind. Geflüchtete Kinder, insbesondere unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder, sind einem äußerst hohen Risiko von Missbrauch, Gewalt und Menschenhandel ausgesetzt.
16.328
Seit Anfang 2022 sind in Österreich 16.328 Kinder verschwunden und in den meisten Fällen nicht mehr auffindbar. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum haben 18.222 (2022: 13.276; 2023: 4.946) unbegleitete geflüchtete Kinder einen Asylantrag in Österreich gestellt.
95 Euro
Der Tagsatz, den Einrichtungen für die Betreuung unbegleiteter geflüchteter Kinder erhalten, liegt bei maximal 95 Euro pro Kind. Zum Vergleich: Für österreichische fremduntergebrachte Kinder liegt der Tagsatz bei durchschnittlich 170 Euro pro Kind.