Beispiel: Arbeiter*innen in der sogenannten “Gig Economy”
Die Digitalisierung bedeutet für viele von uns weitreichende Veränderungen für die Art, wie wir arbeiten. Neben mehr Flexibilität und örtlicher Unabhängigkeit bringt sie auch bedrohliche Entwicklungen, etwa durch die so genannte “Gig Economy”, in der digitale Plattformen durch Scheinselbstständigkeit die Rechte ihrer Mitarbeiter*innen untergraben. In der Gig Economy werden Aufträge kurzfristig und oft via App am Smartphone vergeben. Ausgeführt werden die Aufträge nicht von Angestellten des Unternehmens, sondern von selbstständigen Auftragnehmer*innen. Fahrer*innen bei Uber oder Zustell-"Rider" bei Lieferdiensten wie Glovo oder Deliveroo – die Firmen sind darauf bedacht, ihre Arbeiter*innen, die offiziell selbstständig sind, per Auftrag zu bezahlen. Die Unternehmen werben mit flexiblen Arbeitszeiten, dafür erhalten die selbstständigen "Gigworker" weder bezahlten Urlaub noch Krankenstand. Wartezeiten zwischen Aufträgen – zum Beispiel zwischen den Fahrten von Uber-Fahrer*innen – werden vom Unternehmen nicht bezahlt.
Obwohl Uber und andere Plattformunternehmen, die auf Technologie setzen, ein Phänomen des 21. Jahrhunderts sind, ist die Gig Economy nicht neu. Sie existiert in verschiedenen Formen seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als Jazzmusiker unregelmäßig und für jeden ihrer "Gigs" eine Gage erhielten. Die heutigen Gig-Arbeiter sind oft Migrant*innen oder Menschen, die ihre Arbeit in anderen Branchen verloren haben. Es wäre kurzsichtig, die Verbindung zwischen den prekären Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen und dem Geschäftsmodell der digitalen Plattformunternehmen zu übersehen.
Im März 2021 kündigte Uber an, dass seine Fahrer*innen zukünftig als Arbeitnehmer*innen behandelt werden und ihnen ein Mindestlohn und bezahlter Urlaub garantiert wird. Das geschah nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs, der entschied, dass Uber-Fahrer*innen nach geltendem Recht Arbeitnehmer*innen sind und daher Anspruch auf den Mindestlohn, bezahlten Urlaub und weitere Arbeitsrechte haben.
Dank der Mobilisierung der „Gig workers“ und ihrer Erfolge auch vor Gerichten in Spanien, Italien, Frankreich und den Niederlanden sind sowohl Regierungen als auch EU-Institutionen zunehmend bereit, anzuerkennen, dass Arbeiter*innen besser geschützt werden müssen. Nun müssen sie dringend die rechtlichen Schlupflöcher schließen, die es digitalen Plattformunternehmen ermöglichen, auf "unabhängige Auftragnehmer*innen" ohne Arbeits- und Sozialversicherungsrechte zurückzugreifen.
In Spanien und im Schweizer Kanton Genf wurden bereits einige ermutigende gesetzgeberische Schritte in diese Richtung unternommen. In einer am 24. Februar 2021 gestarteten Konsultation zur Gig-Economy weist die Europäische Kommission darauf hin, dass bestimmte Arten von Plattformarbeit mit prekären Arbeitsbedingungen verbunden sind und, dass es den vertraglichen Vereinbarungen an Transparenz und Vorhersehbarkeit mangelt. Die Konsultation spricht außerdem Probleme im Bereich Gesundheit und Sicherheit an sowie den unzureichenden Zugang zu sozialem Schutz für Plattform-Arbeiter*innen.
Die Internationale Arbeitsorganisation stellte in ihrem letzten Bericht fest, dass in Ermangelung eines angemessenen Rechtsrahmens der Schutz der Arbeitnehmer*innenrechte in der Gig Economy teilweise durch Gerichtsurteile erreicht werden könnte. Doch das Beispiel Uber, das Fahrer*innen bereits 2016 vor ein Arbeitsgericht gebracht hatten, zeigt, wie zeit- und ressourcenaufwendig diese Strategie ist.
Flexibilität in der Arbeitswelt ist wichtig, aber sie darf nicht durch prekäre Arbeitsverhältnisse erzielt werden. Menschen dürfen nicht vor die Wahl gestellt werden – zwischen flexibler Arbeit und ihren Rechten. Auch flexible Arbeit erfordert die Einhaltung des internationalen Rechts und der geltenden Standards für Arbeitnehmer*innenrechte. Es ist Zeit, dass Unternehmen diese respektieren und Regierungen dafür sorgen, dass sie ausnahmslos von allen Unternehmen eingehalten werden.