Deine Spende wird heute verdoppelt
Jede Spende bis zum 31. Dezember wird verdoppelt. So entfaltet dein Beitrag doppelte Wirkung und schützt weltweit die Rechte von Menschen in Gefahr.
Zuletzt aktualisiert am 5.11.2021
Nach der Präsidentschaftswahl in Belarus im August 2020 gingen Hunderttausende Menschen auf die Straßen, um gegen Präsident Alexander Lukaschenko zu demonstrieren. Die Polizei versuchte monatelang, die Proteste niederzuschlagen und ging brutal gegen friedlich Demonstrierende vor. Tausende Menschen wurden festgenommen.
Amnesty liegen Berichte über Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen vor. Auch Journalist*innen, die versuchen über die Proteste in Belarus zu berichten, werden von den Behörden verfolgt.
Den belarussischen Behörden ist es trotz massiver Gewaltanwendung lange nicht gelungen, die Proteste zu unterdrücken. Weite Teile der Bevölkerung unterstützen die Demokratiebewegung.
Wie kam es zu den Massenprotesten? Wie ist die menschenrechtliche Lage in Belarus? Und wie können wir die Menschen in Belarus schützen und ihren Kampf für Freiheit unterstützen? Ein Überblick.
Proteste gegen Präsident Lukaschenko und sein Regime gab es auch bereits vor den Päsidentschaftswahlen. Nach den Wahlen im August 2020 entwickelten sich die Proteste jedoch zu Massendemonstrationen. Alexander Lukaschenko war mit 79 Prozent der Stimmen zum Sieger der Wahl erklärt worden. Die in der Bevölkerung sehr populäre Oppositionskandidatin Svetlana Tichanowskaja habe nur 6,9 Prozent der Stimmen erhalten, so die belarussische Wahlkommission. Unabhängige Wahlbeoabachter*innen und die Europäische Union sehen das Wahlergebnis als gefälscht an.
In der Vergangenheit ist es in Belarus, vor allem nach Wahlen, regelmäßig zu großen Protesten gekommen. Der Vorwurf der Wahlfälschung löste etwa in den Jahren 2006 und 2010 ebenfalls große Proteste nach den Präsidentschaftswahlen aus. Aber Präsident Lukaschenko konnte sie jedes Mal unterdrücken. Friedlicher Protest wurde mit hohen Geldstrafen geahndet und mit willkürlicher Inhaftierung beantwortet. Demonstrierende wurden, oft unter Anwendung übermäßiger Gewalt, verhaftet.
Seit dem Beginn des Wahlkampfes im Mai 2020 hat Amnesty International eine dramatische Zunahme bei der Verfolgung von Oppositionellen, Medienschaffenden und Protestierenden in Belarus beobachtet. Dennoch war die Unterstützung für Oppositionskandidat*innen und die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft im öffentlichen Raum so hoch wie seit Jahren nicht.
Auch der Umgang der Regierung Lukaschenkos mit der Covid-19-Pandemie dürfte diesmal dazu beigetragen haben, dass die Proteste dieses Jahr stärker ausfallen als in der Vergangenheit. „Vor der Pandemie war man, sofern man sich loyal zu Lukaschenko verhielt, relativ sicher: Sicher vor dem Gefängnis oder vor dem Verlust des Arbeitsplatzes“, sagt Olga Karatsch, Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der lokalen Menschenrechtsorganisation "Nash Dom", und sagt weiter: „Während der Pandemie mussten aber genau jene loyalen Bediensteten weiterarbeiten. Sie waren daher am meisten von den Ansteckungen betroffen. Alle, die Lukaschenko kritisch gegenüberstehen, haben sich selbst zuhause isoliert, um sich zu schützen. Das Resultat war, dass vor allem viele Menschen erkrankten, die im staatlichen Sektor arbeiten. Lukaschenko verschärfte die Situation und Empörung noch, weil er zahlreiche Massenveranstaltungen abhielt. Er machte sich außerdem über die Erkrankten lustig und sagte, sie seien an Fettleibigkeit oder Altersschwäche gestorben.“
79%
der Stimmen soll Lukaschenko bei der Präsidentschaftswahl 2020 erhalten haben
26 Jahre
ist Alexander Lukaschenko bereits an der Macht
100.000
Menschen gingen nach den Präsidentschaftswahlen auf die Straße
Präsident Alexander Lukaschenko ist seit 1994 Staatsoberhaupt der Republik Belarus (Weißrussland). Wegen seines autoritären Regierungsstils gilt er als letzter Diktator Europas. Seit 26 Jahren regiert Lukaschenko die ehemalige Sowjetrepublik mit eiserner Hand. Seine Regierung ist von der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und jeglicher kritischer Stimmen geprägt. Um im Amt zu bleiben, setzt Lukaschenko auf Gewalt. Aufgrund des Verdachts der Wahlfälschung bei der Wahl im August 2020, erkennen die EU und andere Staaten wie die USA, Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten an.
Amnesty International war seit Beginn der Proteste vor Ort und hat das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die friedlich demonstrierende Bevölkerung von Belarus dokumentiert.
In den ersten drei Tagen der Proteste nach den Wahlen in Belarus, vom 9. bis 12. August 2020, reagierten die Behörden mit Massenverhaftungen, Schikanen und Einschüchterungen. Die Polizei setzte Gummigeschosse, Stuntgranaten, Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstrant*innen ein. Im Laufe dieser drei Tage wurden mehr als 6.700 Menschen festgenommen. Mehere Hundert der Inhaftierten berichteten über Folterungen und andere Misshandlungen in Polizeistationen und Haftanstalten.
Die Welle der Gewalt und Unterdrückung, mit der die Behörden auf die friedlichen Proteste reagierten, schienen nur noch mehr Menschen auf die Straßen zu treiben: Am 30. August 2020 fand in Belarus eine der größten Protestkundgebungen in der modernen Geschichte des Landes statt. In Minsk und anderen Städten nahmen mindestens 100.000 Menschen an den Demonstrationen teil, die den Rücktritt des Präsidenten und die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen forderten. Am 30. August alleine selbst wurden mindestens 140 friedliche Demonstrant*innen festgenommen. Mehrere hochrangige Mitglieder des Koordinierungsrates der Opposition wurden wegen dubioser strafrechtlicher Vorwürfe verhaftet.
Seit dem Beginn der Proteste sind mindestens zwei Todesfälle bestätigt. Der erste Protestteilnehmer starb am 11. August, als die Polizei in Minsk mit Blendgranaten und Tränengas in die Menge feuerte. Am 12. August starb ein 25-jähriger Mann in der Haft in Brest. Am selben Tag schoss in Brest die Polizei mit scharfer Munition auf Protestierende. Zuvor war am 9. August der Tod einer weiteren Person gemeldet worden, die, wie eine Videoaufnahme bestätigte, in Minsk von einem Polizeiauto überfahren wurde und leblos auf dem Boden lag, während die Polizei weiterfuhr. Bis heute ist nicht geklärt, was mit dem Opfer bzw. dem Leichnam geschehen ist.
Im Herbst 2020 reißen weder der Protest noch die Polizeigewalt in Belarus ab. Amnesty International fordert die Behörden in Belarus dazu auf, die Polizeigewalt unverzüglich einzustellen und die schweren Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. "Die belarussischen Behörden haben sich bisher geweigert, mit den Demonstrant*innen in einen Dialog zu treten und sie haben bisher auch noch nichts unternommen, um die schweren Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, die von der Polizei begangen wurden", sagt Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International.
Bemerkenswert bei den Protesten in Belarus ist das hohe Maß an Zurückhaltung, dass die friedlich Demonstrierenden an den Tag legen. Im Gegensatz zu denen, die sie regieren, haben die Menschen in Belarus außergewöhnliche Zurückhaltung gezeigt und einzigartig friedliche Kundgebungen abgehalten. Zehntausende Demonstrierende, die durch die Hauptstadt Minsk und andere Städte marschierten, räumten sogar den Müll von den Straßen auf und zogen ihre Schuhe aus, als sie auf Bänke kletterten.
Im krassen Gegensatz dazu steht das gewaltätige und maßlose Vorgehen der Polizei, der Sondereinsatzkräfte OMON und der belarussischen Behörden gegen die friedlichen Demonstrierenden, das von einer Kultur der Straflosigkeit innerhalb der belarussichen Polizei begünstigt wird: "Unseren Informationen zufolge wurde kein einziges Strafverfahren gegen die Polizei eröffnet, die Hunderte friedlich Demonstrierende gefoltert hat. Gleichzeitig wurden Dutzende Strafverfahren gegen Demonstrierende eingeleitet, oft ohne glaubwürdige Beweise für ihr Fehlverhalten. Die Menschen in Belarus fordern auf friedlichem Wege Rechenschaft, um diese gefährliche Kultur der Straflosigkeit zu beenden“ sagt Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International.
Im Oktober 2020 drohte der Innenminister von Belarus den Demonstrierenden mit scharfer Munition. Die Drohung konnte Zehntausende, und teils sogar mehr als 100.000 Demonstrierende, nicht davon abhalten, erneut auf die Straße zu gehen.
Bei Protesten am 1. November 2020 wurden erneut mehrere Hundert Menschen festgenommen, die friedlich gegen Staatschef Alexander Lukaschenko protestiert hatten. Die Behörden leiteten gegen 231 von ihnen ein Massenverfahren ein – den Betroffenen drohen bis zu drei Jahren Haft. Sie werden beschuldigt, „Aktivitäten organisiert oder vorbereitet zu haben, die die öffentliche Ordnung massiv stören“. Den Ermittlungen zufolge nahmen die Betroffenen an einer „unerlaubten Aktion“ teil, die „Schäden an städtischen Einrichtungen und an einem Polizeifahrzeug“ verursacht sowie „den öffentlichen Verkehr und die Arbeit von Organisationen behindert“ haben soll.
Amnesty hat Folter und andere schwere Misshandlungen gegen friedlich Demonstrierende in Haft in Belarus dokumentiert. Amnesty und lokale Menschenrechtsorganisationen haben mit Menschen im Land gesprochen, die an Protesten teilgenommen und dafür in Hafteinrichtungen gefoltert oder anderweitig misshandelt wurden. Betroffene berichteten beispielsweise, geschlagen oder mit Vergewaltigung bedroht worden zu sein, oder dass man sie gezwungen habe, sich auszuziehen.
Alles deutet darauf hin, dass die Behörden in Belarus gezielt und großflächig Gebrauch von Folter und anderen Formen der Misshandlung machen, um die Proteste um jeden Preis zu unterdrücken. Demonstrierende, die sich vor einer Hafteinrichtung in Minsk versammelt hatten, sagten, sie konnten die Schreie der Folteropfer bis nach draußen hören. Videoaufnahmen bestätigen ihre Aussagen.
Die Recherchen von Amnesty International machen deutlich, dass die brutalen Szenen in den Straßen von Belarus lediglich die Spitze des Eisbergs sind. Personen, die in Haft waren, gaben an, dass die Hafteinrichtungen Folterkammern gleichen, in denen Protestierende auf dem Boden liegen müssen, während sie von Sicherheitskräften getreten und mit Schlagstöcken malträtiert werden. Sie beschrieben, wie sie sich ausziehen mussten und dann auf sadistische Weise geschlagen wurden, während sie die Schreie anderer Betroffener hören konnten. Es handelt sich hierbei um Menschen, deren einziges "Vergehen" es ist, sich an friedlichen Protesten zu beteiligen.
Die Menschenrechtsorganisation Viasna hat Nachweise dafür gesammelt, dass sich Gefangene auf manchen Polizeistationen mehrere Stunden lang mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen oder gegen eine Wand stellen mussten, und bei der kleinsten Bewegung geschlagen wurden. Die Aussagen zahlreicher Menschen sowie nach draußen geschmuggelte Videoaufnahmen bestätigen das.
Aus dem ganzen Land liegen unzählige Folterberichte vor, die durch Video- und Bildaufnahmen in den Sozialen Medien belegt werden. Es deutet daher alles darauf hin, dass dieser Ansatz von höchster Stelle angeordnet wurde.
Demonstrierende, die bei Protesten festgenommen wurden, sind nach ihrer Inhaftierung verschwunden. Menschen, die friedlich demonstriert haben, und auch Passant*innen werden ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, was einen Verstoß gegen grundlegende Verfahrensvorschriften und die vollkommene Missachtung ihrer Menschenrechte darstellt. In zahlreichen Fällen waren Menschen tagelang verschwunden, was Verschwindenlassen entspricht, einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Familienangehörige und Rechtsbeistände von Dutzenden Gefangenen haben erfolglos versucht, deren Verbleib in Erfahrung zu bringen. Am 12. August ging die Einsatzpolizei mit Gewalt gegen ca. 200 Verwandte von Inhaftierten vor, die sich friedlich vor der Hafteinrichtung Akrestsyna versammelt hatten.
Frauen spielen bei den Demonstrationen in Minsk und anderen belarussischen Städten eine zentrale Rolle: Bei den Protesten sind mehr Frauen als in den letzten Jahren vertreten und sie übernehmen eine aktivere Rolle in der Organisation der Demonstrationen. Die Repressionen der belarussischen Behörden richten sich auch überproportional oft gegen Frauen, die sich politisch betätigen oder die Angehörige von politischen Aktivist*innen sind. So liegen Amnesty International Berichte vor, nach denen politisch engagierten Frauen sexuelle Gewalt oder der Entzug der Kinder unter Nutzung eines Präsidialdekretes zum "Schutz von Kindern aus benachteiligten Familien" angedroht wurde.
Die Repressionen halten die Frauen in Belarus aber nicht davon ab, bei den Protesten in Belarus ihre Stimme zu erheben. Als "Marsch der Solidarität" fand ab Sommer 2020 immer samstags eine Frauendemo statt, die auch zur Unterstützung der Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja dient. Bilder von Frauen, die mit Blumen demonstrieren, gingen um die Welt, und ebenso die Polizeigewalt, auf die stoßen. Im September 2020 wurden hunderte Frauen während eines friedlichen Protests festgenommen.
Eines der der bekanntesten weiblichen Gesichter des Protests in Belarus ist Nina Baginskaya, die ebenfalls im September 2020 verhaftet wurde. Mit 73 Jahren geht die Pensionistin aus Minsk auf die Straße und stellt sich vermummten Polizeikräften und ihren Schlagstöcken entgegen. Durch ihren unerschrockenen Kampf gegen die Regierung Lukaschenko wurde Nina Baginskaya zur Ikone der derzeitigen Protestbewegung. Aktivist*in ist sie bereits seit den 1980er Jahren.
Journalist*innen, die versuchen über die Proteste in Belarus zu berichten, riskieren für ihre Arbeit ins Gefängnis zu kommen. Sie werden eingeschüchtert und verfolgt. Journalist*innen wurden verhaftet, geschlagen und mit Gummigeschossen beschossen. Auch Kameras wurden zerschlagen und Filmmaterial gelöscht.
Laut dem belarussischen Journalist*innenverband wurden mindestens 55 Journalist*innen festgenommen (Stand 12. August 2020). Dabei wurden sowohl lokale als auch internationale Journalist*innen ins Visier genommen: Am Abend des 11. August 2020 griffen Sicherheitskräfte in Minsk ein Fernsehteam des russischen Dienstes der BBC an. Die Journalist*innen trugen alle Ausweiswesten und hatten offizielle Akkreditierungskarten. Mehrere Männer in unmarkierten schwarzen Uniformen verlangten Einsicht in die Akkreditierung der Journalist*innen. Ein Mann riss einer Korrespondentin die Karte vom Hals, entriss ihr die Kamera und versuchte, sie zu beschädigen. Die Männer schlugen daraufhin einen anderen BBC-Journalist und schlugen ebenfalls mehrmals auf seine Kamera ein. In diesem Fall wurden die Journalist*innen nicht festgenommen.
Am ersten Tag der Proteste schossen Männer in Tarnuniformen ein Gummigeschoss auf Natalja Lubneuskaya, eine Reporterin von Nascha Niva, und verwundeten sie am Bein. Nascha Niva ist eine der wenigen unabhängigen Medien in Belarus. Ihre Mitarbeiter*innen sind seit Jahren den Schikanen der Behörden ausgesetzt.
Weitere Journalist*innen und Medien, die über Angriffe berichtet haben, sind: Vadzim Zamirouski, Darya Burakina und Usevalad Zarubin von Tut.by, der meistgesehenen belarussischen Nachrichtenseite; der Associated Press-Fotograf Syarhei Hryts; die Nasha Niva-Reporterin Nadzeya Buzhan; die Onlinereporter Uladzislau Barysavich und Syarhei Ptushka sowie die Belsat-Reporter Pavel Patapau und Ivan Murauyou.
Journalist*innen in Belarus leisten heldenhafte Arbeit, um sicherzustellen, dass die Welt von der brutalen Unterdrückung der Proteste durch die Behörden erfährt. Es ist erschreckend zu sehen, wie weit die Regierung geht, um diese Informationen zu unterdrücken.
Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International
Als die Proteste in Belarus im August 2020 begannen, war das mobile Internet drei Tage lang beinahe komplett lahmgelegt. Während am Morgen des 9. August 2020 in Belarus die Wahllokale öffneten, waren immer mehr Webseiten nicht erreichbar. Mittags kamen die Social-Media-Dienste hinzu. Am Abend betrafen die Störungen das ganze Land. Im Internet in Belarus ging das Licht aus. Seither gibt es immer wieder Störungen des Netzes.
Es wird vermutet, dass die Regierung den Zugang zum Internet absichtlich blockiert und die Arbeit von Telekommunikationsunternehmen beeinträchtigt. Das hindert die Menschen in Belarus daran, ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung auszuüben. Die Menschen haben außerdem weniger Möglichkeiten, Informationen zu beschaffen, zu erhalten und weiterzugeben.
Für staatliche Eingriffe in Menschenrechte – dazu gehört der Internetzugang als Teil der Meinungs- und Informationsfreiheit – gibt es völkerrechtliche Regeln. Sie müssen notwendig und verhältnismäßig zum Erreichen eines legitimen Zieles sein. Ein Shutdown des Internets insgesamt oder großer Teile davon wird nie zu rechtfertigen sein.
Bereits vor Ausbruch der Proteste im Herbst 2020 berichteten Menschenrechtsverteidiger*innen in Belarus Amnesty International von Überwachung ihrer digitalen Kommunikation. Aufgrund der umfassenden Überwachung ihrer digitalen Geräte und Wohnungen träfen sie sich für wichtigen Informationsaustausch draußen. Selbst Treffpunkt und Zeiten für solche Treffen würden ebenfalls im öffentlichen Raum besprochen, da sie die Erfahrung gemacht hätten, dass die Polizei aufgrund der Kommunikationsüberwachung sonst bereits am Treffpunkt warte.
Belarus ist das einzige Land in Europa und auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, in dem die Todesstrafe noch verhängt und vollstreckt wird. 2019 ergingen drei Todesurteile und mindestens drei Gefangene wurden hingerichtet. Daten zur Todesstrafe werden in Belarus als Staatsgeheimnis gehandhabt.
Die Meinungsfreiheit in Belarus ist per Gesetz und in der Praxis stark eingeschränkt. Regierungskritiker*innen und andere abweichende Stimmen sind Schikanen und anderen Repressalien seitens der Behörden ausgesetzt, auch in Verwaltungs- und Strafverfahren gehören. Kürzliche Gesetzesänderungen, die die Rechte auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit weiter einschränkten, zielten vor allem auf Online- und Medienaktivitäten und auf das Demonstrationsrecht ab. Die Änderungen des Gesetzes über die Massenmedien, die im Dezember 2018 in Kraft getreten waren, verschärften die staatliche Kontrolle über Online-Medien erheblich. So wurden registrierte und nicht registrierte Online-Medien verpflichtet, die Namen der Personen, die Kommentare abgeben,
aufzuzeichnen und den Behörden auf Anfrage die entsprechenden Informationen zur Verfügung zu stellen. Außerdem wurden die Eigentümer*innen von registrierten Online-Medien für den Inhalt von Kommentaren verantwortlich gemacht. Journalist*innen werden bei ihrer Arbeit behindert. Behörden verhängten etwa hohe Geldstrafen gegen freiberufliche Journalist*innen, die mit internationalen Medien zusammenarbeiteten. Nicht beim Außenministerium akkreditierte Journalis*innen, die Inhalte an ausländische Medien lieferten, wurden gemäß Artikel 22, Absatz 9 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ("rechtswidrige Erstellung und Verbreitung von Massenmedienprodukten") zur Verantwortung gezogen.
Die belarussische Staatsführung unter Alexander Lukaschenko duldet keine Meinung, die sie kritisiert. Friedliche Oppositionelle werden verfolgt und inhaftiert, unter dem Vorwand eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darzustellen. Vor der Präsidentschaftswahl am 9. August 2020 wurden Gegenkandidat*innen zum Amtsinhaber Alexander Lukaschenko verleumdet und inhaftiert. Ebenfalls im August 2020 leitete der belarussische Generalstaatsanwalt ein Strafverfahren gegen den Koordinierungsrat, ein neu formiertes Gremium von Anführer*innen der Opposition im Land, ein.
Es liegen glaubhafte Beweise vor, dass Tausende von Kindern und Jugendlichen wegen geringfügiger Drogendelikte zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Viele erhielten keine fairen Gerichtsverfahren, und gerade einmal 16-jährige Kinder wurden gemäß Artikel 328 des Strafgesetzbuches wegen illegalen Drogenhandels als Mitglieder krimineller "Gruppen" bis zu elf Jahren inhaftiert. In der Haft werden sie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet.
Schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen wie Roma sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intergeschlechtliche (LBGTI) sind in Belarus von Diskriminierung bedroht. Es herrscht ein Klima der Angst und Selbstzensur. Roma werden sozial benachteiligt, vor allem in den Bereichen Beschäftigung und Bildung. Im Mai 2019 führten die Behörden in Mahilyou nach dem mutmaßlichen Mord an einem Verkehrspolizisten in mehreren Roma-Gemeinschaften Razzien durch und nahmen Dutzende Menschen, auch Kinder, unter Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt fest. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intergeschlechtliche (LGBTI) sind Schikanen ausgesetzt, darunter auch diskriminierende und stigmatisierende Äußerungen von Staatsbeamt*innen.
Amnesty ist vor Ort, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Dazu sammeln wir Zeugenaussagen und verifizieren Material. Gleichzeitig sammeln wir überall auf der Welt Unterschriften, um Druck auf die belarussischen Behörden auszuüben, damit sie die Polizeigewalt und Repressionen beenden. Wir fordern, dass die Menschen und ihre Rechte in Belarus geschützt werden! Die Behörden müssen ihre Angriffe auf Demonstrierende und Journalist*innen unverzüglich stoppen. Amnesty International fordert die Behörden von Belarus außerdem auf, die Folterung und andere Misshandlung von Gefangenen sofort zu beenden und alle willkürlich inhaftierten Personen umgehend freizulassen.
Die Regierung muss die Pressefreiheit respektieren und Journalist*innen, die ausschließlich wegen der Ausübung ihres Berufs inhaftiert sind, unverzüglich und bedingungslos freilassen. Sie muss sicherstellen, dass die Rechte des belarussischen Volkes auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit uneingeschränkt geachtet werden. Die Behörden müssen alle friedlichen Demonstrierenden freilassen, die ausschließlich wegen der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit inhaftiert sind. Die rechtswidrige Gewalt der Polizei muss untersucht werden. Alle Personen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben oder daran beteiligt waren, müssen vor Gericht gestellt werden – angefangen vom Polizisten auf der Straße bis zu den Befehlshabenden, die Anordnungen gegeben oder Verstöße stillschweigend geduldet haben. Amnesty fordert Staats- und Regierungschef*innen auf, Druck auf die Regierung von Belarus auszuüben, um diese entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen zu stoppen.
DU ermöglichst unseren Einsatz für Menschenrechte!
Menschen wie du finanzieren unsere wichtige Arbeit für Menschen und ihre Rechte, indem sie uns regelmäßig kleine Beträge spenden. Nur so können wir uns unabhängig von Wirtschaftsinteressen und politischen Ideologien für gleiche Rechte für alle Menschen einsetzen. Jeder Beitrag, mit dem du uns unterstützen kannst, ist wichtig und schützt die Rechte von Menschen. Vielen Dank!