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Veröffentlicht am 29.5.2020, aktualisiert am 24.6.2024
Chelsea Manning und Julian Assange haben gemeinsam für die Veröffentlichung einer Vielzahl US-amerikanischer Geheimdokumente gesorgt. Chelsea Manning als Quelle der „Leaks“ übermittelte die Dokumente an die von Julian Assange gegründete Online-Plattform Wikileaks, wo sie veröffentlicht wurden. Die geleakten Dokumente offenbarten mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Manning wurde wegen der Veröffentlichung der geheimen Dokumente verurteilt, auch Assange jahrelang durch die US-Behörden verfolgt, die seine Auslieferung forderten.
Ohne Julian Assange und Chelsea Manning wären die mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Doch welche Folgen hatten die aufgedeckten Verbrechen für die Täter? Was genau haben Chelsea Manning und Julian Assange eigentlich enthüllt? Und welche juristischen Folgen hatten die Enthüllungen für die Verantwortlichen in der US-Armee und der US-Regierung?
>> Was genau haben Julian Assange und Chelsea Manning getan und warum verfolgen sie die US-Behörden?
>> Was haben Julian Assange und Chelsea Manning mit ihren Leaks aufgedeckt?
>> Welchen Folgen hatten die Veröffentlichung der Dokumente für Assange und Chelsea Manning?
>> Welche Folgen hatten die Enthüllungen für die Verantwortlichen in US-Armee und US-Regierung?
Chelsea Manning war Angehörige der US-Streitkräfte und als IT-Spezialistin tätig. 2010 lud Manning 400.000 den Irakkrieg betreffende Dokumente, 91.000 Dokumente zu Afghanistan, sowie ein Video von der Bordkamera eines amerikanischen Kampfhubschraubers herunter, das später unter dem Titel „Collateral Murder“ veröffentlicht werden sollte. Manning übergab alle diese Dokumente der Plattform Wikileaks von Julian Assange.
Einige der von Manning durchgesickerten Materialien, die von Wikileaks veröffentlicht wurden, wiesen auf mögliche Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch US-Truppen im Ausland, durch irakische und afghanische Streitkräfte, die an der Seite von US-Streitkräften operieren, und durch militärische Auftragnehmer hin.
Am 5. April 2010 wurden Videoaufnahmen eines Kampfhubschraubers von Wikileaks unter dem Titel „Collateral Murder“ veröffentlicht. Das Video zeigt den Beschuss und Tod irakischer Zivilist*innen und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters am 12. Juli 2007 in Bagdad. "Schau dir diese toten Bastarde an!" – "Hübsch." So kommentierten zwei Piloten des US-Kampfhubschraubers 2007, was nach ihrem Angriff aus der Luft am Boden zu sehen war: Zwölf Menschen starben, darunter die zwei Reuters-Reporter. Zwei Kinder wurden schwer verletzt.
In den von Manning an Wikileaks weitergegebenen Irak-Dokumenten finden sich u.a. 303 Fälle von Folter durch US- und andere Koalitionstruppen im Irak im Jahr 2010. Weiterhin kam es im November 2010 und im April 2011 zur Veröffentlichungen von Informationen über das Gefangenenlager Guantánamo, die ebenfalls auf den Leak von Chelsea Manning zurück gehen. Presseauswertungen des Materials ergaben, dass in Guantánamo mindestens 150 Häftlinge unschuldig festgehalten wurden und nur 220 von insgesamt 779 als gefährliche Extremisten eingestuft wurden. Sowohl ein 14-Jähriger als auch ein 89-jähriger Demenzkranker seien z.B. fälschlicherweise inhaftiert worden.
Chelsea Manning wurde 2010 wegen der Weitergabe geheimer US-Dokumente festgenommen und unter anderem wegen Spionage angeklagt. Sie wurde in 19 von 21 Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt. Im Januar 2017 begnadigte sie Präsident Barack Obama kurz vor Ende seiner Amtszeit, Chelsea Manning wurde im Mai 2017 frei gelassen. Im März 2018 kam Manning in Beugehaft, nachdem sie sich geweigert hatte, vor einer Grand Jury über Wikileaks und Julian Assange auszusagen. Manning erklärte, sie würde eher verhungern, als ihre Überzeugung in diesem Punkt zu ändern und auszusagen. Im März 2020 unternahm sie einen Suizidversuch. Kurz darauf wurde sie auf Anordnung eines Gerichts aus der Beugehaft entlassen.
Gegen Julian Assange wurde in den USA eine Anklage mit 18 Anklagepunkten vorbereitet, von denen 17 unter das Gesetz gegen Spionage fallen. Assange flüchtete 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragte dort politisches Asyl, weil er fürchtete, an die USA ausgeliefert zu werden. 2019 widerrief Ecuador das Asyl, Assange wurde festgenommen und sitzt nun in Haft.
Im Leben bekommt man selten die Chance, wirklich etwas zu verändern. Ab und zu stößt man doch auf eine wichtige Entscheidung. Willst du dich wirklich 10 oder 20 Jahre später fragen, ob du mehr hättest tun können? Das sind die Art von Fragen, die ich mir nicht stellen wollte.
Chelsea Manning nach ihrer Freilassung über ihre Entscheidung, geheime US-Regierungsdokumente Wikileaks zuzuspielen
In London wird vor Gericht über seine Auslieferung in die USA entschieden werden. In den USA drohen Assange 175 Jahre Haft. Amnesty International fordert die USA auf, die Klage gegen Assange fallen zu lassen, da sie einen gefährlichen Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung darstellt. Die Klage gegen Assange bezieht sich ausschließlich auf die Veröffentlichung von Dokumenten im Rahmen seiner Arbeit mit Wikileaks – Aktivitäten, die per se nicht unter Strafe gestellt werden dürfen!
So hoch das Strafmaß für Chelsea Manning war, so glimpflich kamen die Piloten der beiden US-Kampfhubschrauber davon, die für den Tod von 12 Zivilisten und zwei Reuters-Reportern verantwortlich sind. Die US-Armee untersuchte den Vorfall, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass das Verhalten der Piloten und der Angriff konform mit den Einsatzregeln des US-Militärs im Irak seien. Ein Gerichtsverfahren gab es deshalb nicht.
Brigadegeneral Janis Karpinski, die zeitweise Kommandantin von Abu Ghraib war, wurde 2005 zum Oberst degradiert. Ein Prozess hat nie stattgefunden. Die Soldat*innen, die Folter im Gefängnis von Abu Ghraib begangen haben, wurden meist zu drei bis zehn Jahren Gefängnis verurteilt, viele jedoch bereits vorzeitig aus der Haft entlassen. Gegen die unzähligen CIA-Agenten, die in Guantánamo und Abu Graib sogenannte „erweiterte Verhörtechniken“ einsetzten, die der Folter von Gefangenen des "Kriegs gegen den Terror" gleichkamen, gab es keine Strafverfolgung.
Auch von politischer Seite der US-Regierung im Weißen Haus, Pentagon oder der CIA wurde nie jemand für die Menschrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen – oder hat die Verantwortung übernommen. Die Behörden haben darin versagt, die Verantwortlichen auf allen Ebenen zur Rechenschaft zu ziehen. Irakischen Opfern der Menschenrechtsverletzungen durch die USA wird die Möglichkeit der Erhebung
einer Klage bei US-Gerichten verweigert.
Die Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo, dessen Schließung bereits 2009 vom damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden angekündigt wurde, halten an: Noch immer werden in dem Gefangenenlager 40 Menschen festgehalten. Amnesty fordert weiterhin, die unzähligen unter internationalem Recht begangenen Straftaten während der letzten 19 Jahre vollständig aufzuklären und das Gefangenenlager zu schließen (mehr dazu im Amnesty Bericht vom Jänner 2021: USA, Right the Wrong: Decision Time on Guantánamo). Für Joe Biden sollte in seiner Amtszeit als US-Präsident nun der Zeitpunkt kommen, alte Versprechen endlich einzulösen.
Die Soldatin jedoch, die ohne Furcht vor den Konsequenzen die geheime Informationen veröffentlichte, und so auf mögliche Menschenrechtsverletzungen durch das US-Militär im Irak und in Afghanistan hinwies, wurde zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Es scheint klar, dass dieses Urteil nur dem Zweck diente, ein Exempel an einer Soldatin zu statuieren, die die wahren Kosten des Krieges aufzeigen wollte.
„Die Behandlung von Chelsea Manning ist besonders abstoßend angesichts der Tatsache, dass niemand für die mutmaßlichen Verbrechen verantwortlich gemacht wurde, die sie ans Licht gebracht hat. Wir werden weiterhin darauf drängen, dass eine unabhängige Untersuchung zu den mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen stattfindet, die sie öffentlich gemacht hat. Zudem verlangen wir, dass Schutzmechanismen eingesetzt werden, die sicherstellen, dass Whistleblower*innen wie Chelsea Manning nie wieder so entsetzlich behandelt werden“, sagte Margaret Huang, Direktorin von Amnesty USA.