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Veröffentlicht am 2.5.2024, aktualisiert am 28.6.2024
Das Ausmaß der Menschenrechtskrise in Ägypten ist erheblich – die internationale Gemeinschaft darf nicht ignorieren, was im Land geschieht. Die gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen umfassen rechtswidrige Tötungen, willkürliche Verhaftungen und die Einschränkung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Beim Massaker von Rabaa am 14. August 2013 töteten Sicherheitskräfte über 900 Menschen bei der Auflösung von Sitzstreiks in Kairo. Seitdem hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten dramatisch verschlechtert – die ägyptischen Behörden verfolgen eine erbarmungslose Null-Toleranz-Politik gegen Andersdenkende. Folter, Unterdrückung und willkürliche Verhaftungen von Regierungsgegner*innen nahmen seitdem zu. Auch die Rechte von Frauen, LGBTQIA+ Personen, Geflüchteten und Angehörigen religiöser Minderheiten werden stark eingeschränkt.
Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht von Ägyptens Versuchen täuschen lassen, das Ausmaß der Menschenrechtskrise in dem Land zu verbergen. Sie muss stattdessen Druck ausüben, damit die ägyptischen Behörden den Kreislauf von Missbrauch und Straflosigkeit beenden.
Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International
> Überblick über die aktuelle Menschenrechtssituation in Ägypten
> Welche Folgen hatte das Massaker von Rabaa für die Menschenrechte in Ägypten?
> Ägypten und die Politik der Europäischen Union
> Unmenschliche Behandlung von Geflüchteten
> Willkürliche Inhaftierung: Die Fälle Badr Mohamed, Alla Abdel Fattah und Ahmed Samir Santawy
Die Behörden ließen im Jahr 2023 834 aus politischen Gründen inhaftierte Personen frei, verhafteten zugleich aber mehr als dreimal so viele. Tausende tatsächliche oder vermeintliche Regierungskritiker*innen sind willkürlich inhaftiert bzw. wurden zu Unrecht strafrechtlich verfolgt. Fälle von Verschwindenlassen, Folter und anderen Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Gerichte verhängten Todesurteile nach grob unfairen Verfahren.
Die ägyptische Präsidentschaftswahl im Dezember 2023 fand in einem repressiven Umfeld statt. Wirkliche Oppositionskandidat*innen wurden an einer Kandidatur gehindert, und die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden massiv unterdrückt.
Schwere Menschenrechtsverletzungen, die in den letzten Jahren begangen wurden, blieben straflos. Frauen und Mädchen, religiöse Minderheiten und LGBTQIA+ Personen sind Diskriminierung, Gewalt und Strafverfolgung ausgesetzt.
Auch im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ist die Situation prekär: Die Behörden haben nichts unternommen, um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Menschen im Land zu stärken, die durch eine schwere Wirtschaftskrise beeinträchtigt werden. Sie sind ebenfalls untätig, wenn es darum geht, Beschäftigte gegen ungerechtfertigte Entlassungen durch Privatunternehmen zu schützen. In informellen Siedlungen kommt es zu rechtswidrigen Zwangsräumungen. Zehntausende Bewohner*innen des Nordsinai dürfen nicht in ihre Häuser zurückkehren.
In Ägypten sind auch die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen nicht gesichert. Sie sind durch willkürliche Inhaftierungen bedroht oder ihnen wird die Einreise verweigert. Mehr dazu weiter unten im Abschnitt: Unmenschliche Behandlung von Geflüchteten
Die Unterdrückung abweichender Meinungen und der Zivilgesellschaft ist Alltag in Ägypten. Betroffen sind Oppositionspolitiker*innen und ihre Anhänger*innen, Angehörige von Dissident*innen im Ausland, Gewerkschafter*innen, Rechtsanwält*innen und generell Personen, die die Menschenrechtslage, den Umgang der Behörden mit der Wirtschaftskrise und die Rolle des Militärs kritisieren. Immer wieder werden Menschen in grob unfairen Gerichtsverfahren zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt, darunter auch Personen, die zum Zeitpunkt der angeblichen Straftaten noch minderjährig waren. Besonders harte Urteile werden im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Regierung im September 2019 gesprochen.
Auch Journalist*innen geraten immer wieder ins Visier der Sicherheitskräfte. Die Vorwürfe lauten auf „Verbreitung falscher Nachrichten“, Zugehörigkeit zu einer „terroristischen“ Gruppe oder „Missbrauch sozialer Medien“. Hunderte Nachrichten-, Menschenrechts- und andere Websites sind blockiert.
Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung werden Menschenrechte verletzt und die Rechtsstaatlichkeit untergraben. Menschenrechtsverteidiger*innen, Gewerkschafter*innen und Journalist*innen werden ohne ordnungsgemäße Verfahren auf die „Terrorliste“ der Regierung gesetzt. Dadurch werden ihnen ihre bürgerlichen und politischen Rechte vorenthalten. NGOs müssen sich laut einem drakonischen Gesetz bei den Behörden registrieren lassen, andernfalls droht ihnen die Schließung.
Oppositionelle und Regierungskritiker*innen sind ständig der Gefahr von willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt. In politisch motivierten Verfahren werden die Standards für faire Gerichtsverfahren systematisch verletzt. So verurteilte beispielsweise im März 2023 ein Staatssicherheitsgericht 30 Personen, darunter den Gründer der Menschenrechtsorganisation Egyptian Coordination for Rights and Freedoms, nach einem unfairen Verfahren zu Gefängnisstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Die haltlosen Anschuldigungen bezogen sich auf ihre Menschenrechtsarbeit und ihre friedlich geäußerten kritischen Ansichten.
Zudem weigern sich die Sicherheitskräfte immer wieder, Inhaftierte freizulassen, die von Staatsanwaltschaften oder Gerichten freigesprochen oder vorläufig freigelassen wurden oder die ihre Haftstrafen bereits verbüßt haben.
Im Juni 2023 bezeichnete Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi Inhaftierungen als „Rettung Ägyptens”.
Gerichte und die für Staatssicherheit zuständige Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft verlängern routinemäßig die Untersuchungshaft von Inhaftierten und verweigern ihnen die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Haft wirksam anzufechten.
Angehörige des Nationalen Geheimdiensts (National Security Agency – NSA) und andere Sicherheitskräfte lassen Andersdenkende verschwinden. Nach Angaben der Kampagne Stop Enforced Disappearances der Egyptian Commission for Rights and Freedoms wurden mindestens 70 im Jahr 2023 festgenommene Personen Opfer des Verschwindenlassens.
In Gefängnissen, Polizeistationen und Einrichtungen des NSA sind Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung.
Die Haftbedingungen in ägyptischen Gefängnissen verstoßen gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen. Inhaftierten wird die medizinische Versorgung verweigert, sie müssen lange Zeit in Isolationshaft verbringen, werden grellem Licht ausgesetzt und rund um die Uhr mit Kameras überwacht. Auch Familienbesuche werden den Inhaftierten verweigert.
In Ägypten wird weiterhin die Todesstrafe vollzogen. Die für Terrorismus zuständigen Kammern der Strafgerichte sowie Militärgerichte und andere Gerichte verhängten Todesurteile nach unfairen Prozessen. Im Jänner 2023 verurteilte ein Kairoer Strafgericht mehrere Männer wegen „Terrorismus” zum Tode. Das Verfahren war überschattet von Vorwürfen, die Angeklagten seien dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen und „Geständnisse” seien unter Folter erpresst worden.
Rechtswidrige Tötungen, Folter, Verschwindenlassen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen bleiben zumeist straflos. Für das Massaker von Rabaa mit mehr als 900 Todesopfern sind auch zehn Jahre später immer noch keine Staatsbediensteten zur Rechenschaft gezogen worden.
In Ägypten werden Frauen per Gesetz und im täglichen Leben diskriminiert, unter anderem in Bezug auf Heirat, Scheidung, Sorgerecht und den Zugang zu politischen Ämtern.
Der Staat bleibt tatenlos und unternimmts nichts, um geschlechtsspezifische Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteur*innen wirkungsvoll zu verhindern. Frauen müssen mit Strafverfolgung rechnen, wenn sie zum Beispiel sexualisierte Gewalt anprangern oder ihnen „Sittenlosigkeit” vorgeworfen wird.
Die Behörden schikanieren und verfolgen Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Betroffene berichten über Schläge und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam.
Menschen christlichen Glaubens werden in Ägypten durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert. Der Bau und die Sanierung von Kirchen sind durch ein Gesetz aus dem Jahr 2016 eingeschränkt, das eine Genehmigung durch die Sicherheitsbehörden und andere staatliche Stellen vorschreibt.
Auch Angehörige anderer religiöser Minderheiten, Atheist*innen sowie Angehörige anderer Gruppen, die keine staatlich anerkannten religiösen Überzeugungen vertreten, werden bedroht und schikaniert, teilweise auch in ihren Bildungseinrichtungen oder im Internet.
Das Massaker von Rabaa im Jahr 2013 war ein einschneidendes Ereignis in der jüngeren Geschichte Ägyptens: Es handelt sich um eine straflos gebliebene Massentötung von über 900 Menschen am 14. August 2013. Militär- und Sicherheitskräfte lösten Sitzstreiks von Anhänger*innen der Muslimbruderschaft und dem gestürzten Präsidenten Muhammed Mursi auf dem al-Nahda-Platz und dem Rabaa al-Adawiya-Platz in Kairo gewaltsam auf. Dabei töteten sie mehr als 900 Menschen. Mehr als ein Jahrzehnt später warten die Angehörigen immer noch auf Gerechtigkeit. Die Behörden unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi haben nicht einen einzigen Beamten für die Massentötung zur Rechenschaft gezogen, im Gegenteil: Das Massaker führte zu einem umfassenden Angriff auf friedlichen Dissens. Jegliche Garantien für ein faires Gerichtsverfahren im Strafjustizsystem wurden ausgehöhlt. Es kam zu unaussprechlicher Grausamkeit in Gefängnissen.
„Seither wurden unzählige Kritiker*innen und Oppositionelle bei Straßenprotesten getötet, ins Gefängnis gesteckt oder genötigt, ins Exil zu gehen“, so Philip Luther, Direktor des Bereichs Recherche und Lobbyarbeit für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
Die Liste der Symptome, die die Verschlechterung der Menschenrechtslage in Ägypten seit dem Rabaa-Massaker belegt, ist lang: Straßenproteste werden mit drakonischen Gesetzen und Gewaltanwendung unterdrückt. Die Gerichte verhängten im letzten Jahrzehnt tausende von Todesurteilen, mehr als 400 Menschen wurden zwischen 2013 und 2023 hingerichtet. Journalist*innen und die Zivilgesellschaft sind enormer Repression ausgesetzt, ganz generell ist das Recht auf freie Meinungsäußerung unter massivem Beschuss.
Anfang 2024 hat die EU-Kommission ein Partnerschaftsabkommen mit Ägypten beschlossen, dass dem Land Kredite und Investitionen in Milliardenhöhe bringt. Am 17. März 2024 unterzeichneten die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, der belgische Premierminister Alexander De Croo, der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer und der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis anlässlich eines Spitzentreffens von EU-Vertreter*innen mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi das Abkommen zur Strategischen Partnerschaft EU-Ägypten. Damit kann Ägypten bis Ende 2027 auf EU-Finanzhilfen in Höhe von rund 7,4 Milliarden Euro hoffen, die in Form von Krediten und Zuschüssen erfolgen sollen.
Im Vorfeld hat Amnesty International dazu aufgerufen, die Achtung der Menschenrechte in den Mittelpunkt aller Beziehungen zwischen der EU und Ägypten zu stellen. Politische Beobachter*innen sehen in dem Abkommen vor allem den Versuch, die angeschlagene ägyptische Wirtschaft zu stabilisieren, was wiederum das autokratische System von Präsident al-Sisi festigt. Amnesty International und 15 ägyptische und internationale Menschenrechtsorganisationen haben der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten einen drei-Punkte-Leitfaden vorgestellt. Dieser soll gewährleisten, dass die Verantwortlichen das Völkerrecht und das EU-Recht einhalten und sicherstellen, dass die im Rahmen der EU-Verordnungen gewährte Makrofinanzhilfe für konkrete, messbare, strukturelle und zeitlich terminierte Fortschritte und Reformen im Bereich der Menschenrechte im Lande sorgt.
Der Leitfaden enthält einen Fahrplan für Strukturreformen mit öffentlichen, klaren, spezifischen und zeitlich terminierten Indikatoren, Zielvorgaben und Meilensteinen, damit Ägypten seine Menschenrechtsverpflichtungen erfüllen kann. Darin wird Ägypten aufgefordert, all diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die lediglich wegen der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte, einschließlich der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, inhaftiert sind. Außerdem werden die ägyptischen Behörden dazu aufgefordert, den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft zu erweitern, indem sie die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit respektieren – auch vor, während und nach den Parlamentswahlen 2025.
„Während die Staats- und Regierungschefs der EU versuchen, ihre Beziehungen zu Ägypten zu stärken, dürfen sie nicht riskieren, sich an den anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen im Land zu beteiligen. Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen sind nach wie vor von Verhaftungen, Zensur, Reiseverboten, dem Einfrieren von Vermögenswerten und anderen Schikanen betroffen", kommentiert Eve Geddie, die Leiterin des Büros der europäischen Institutionen von Amnesty International, das Abkommen.
Tausende Menschen, darunter Journalist*innen, Kritiker*innen, Oppositionelle, friedliche Demonstrierende und Menschenrechtsverteidiger*innen, sitzen zu Unrecht unter erbärmlichen Bedingungen in ägyptischen Gefängnissen, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Die EU muss sicherstellen, dass Ägypten die willkürlich inhaftierten Menschen freilässt, bevor sie das geplante Abkommen weiter verhandelt.
Eve Geddie, die Leiterin des Büros der europäischen Institutionen von Amnesty International
Insbesondere auch die Zusammenarbeit im Bereich Migration ist aus menschenrechtlicher Sicht zu kritisieren (siehe nächster Abschnitt: Unmenschliche Behandlung von Geflüchteten). Die Staats- und Regierungschefs der EU dürfen diese Verstöße nicht ignorieren. Stattdessen sollten sie sicherstellen, dass jedes Kooperationsabkommen und jede Maßnahme klare Garantien in Bezug auf die Menschenrechte enthält. Die EU sollte das bisher gescheiterte Modell der Abschiebung von Menschen in Länder, in denen ihre Rechte gefährdet sind, aufgeben und eine weitere Komplizenschaft bei Menschenrechtsverletzungen, wie sie in der Zusammenarbeit mit Libyen oder Tunesien zu beobachten ist, vermeiden.
Die ägyptischen Behörden nehmen routinemäßig Geflüchtete, Asylwerber*innen und Migrant*innen fest, inhaftieren sie willkürlich unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen und schieben sie unrechtmäßig in Länder ab, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
2023 nahmen die Sicherheitskräfte zahlreiche Geflüchtete und Asylsuchende aus Afghanistan, Syrien und afrikanischen Ländern südlich der Sahara sowie Uigur*innen aus China fest, die ohne die nötigen Dokumente nach Ägypten eingereist waren oder sich dort aufhielten. Einigen sudanesischen, eritreischen und syrischen Staatsangehörigen wurde die Einreise an der Grenze verweigert. Im Mai 2023 wurde der tschadische Geflüchtete Alfred Djasnan, ein Journalist und Präsident der African Refugees’ Rights Initiative, nach Ruanda abgeschoben. Er war festgenommen worden, nachdem Menschen aus Ländern südlich der Sahara vor dem Sitz des UNHCR gegen ihre schlechten Lebensbedingungen protestiert hatten.
2024 zeigte Amnesty International in einem Bericht, wie in Ägypten Menschen, die vor dem Konflikt aus dem Sudan fliehen, in hohen Zahlen willkürlich festgenommen und rechtswidrig abgeschoben werden. Unter dem Titel “Handcuffed like dangerous criminals”: Arbitrary detention and forced returns of Sudanese refugees in Egypt wird aufgezeigt, dass Tausende sudanesische Geflüchtete willkürlich festgenommen und daraufhin kollektiv aus Ägypten in den Sudan abgeschoben werden, obwohl dort ein Konflikt tobt. Laut Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) waren es allein im September 2023 rund 3.000 Menschen. Die Betroffenen haben weder die Chance auf ein ordnungsgemäßes Verfahren noch die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Dies verstößt auf eklatante Weise gegen das Völkerrecht. Amnesty International dokumentierte auch die unmenschliche Unterbringung der sudanesischen Geflüchteten, darunter Kinder, die in schmutzigen Lagerhallen eingesperrt wurden – ohne angemessenem Zugang zu sanitären Anlagen und Tioletten, Ernährung und medizinischer Versorgung.
Der Welle von Massenfestnahmen und -abschiebungen ging ein Erlass des Premierministers vom August 2023 voraus, der von ausländischen Staatsangehörigen in Ägypten verlangte, ihren Status zu regeln. Gleichzeitig nahmen rassistische Äußerungen sowohl im Internet als auch in den Medien zu, und Regierungsvertreter*innen kritisierten immer offener die wirtschaftliche „Belastung“, die durch die Aufnahme von „Millionen“ Geflüchteter entstehe.
Es ist unfassbar, dass sudanesische Frauen, Männer und Kinder, die vor dem bewaffneten Konflikt in ihrem Land fliehen und sich über die Grenze nach Ägypten in Sicherheit bringen wollen, massenhaft zusammengetrieben und willkürlich unter elenden und unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden, bevor sie rechtswidrig abgeschoben werden.
Sara Hashash, stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International
Drei Beispiele für die willkürlichen Inhaftierungen, die in Ägypten seit Jahren geschehen, sind die Fälle von Badr Mohamed, Ahmed Samir und Alaa Abdel Fattah. Amnesty International setzt sich dafür ein, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt.
Jänner 2023: Nach einem grob unfairen Verfahren wegen Protestaktivitäten wird der 28-jährige Badr Mohamed zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Anklagen bezogen sich auf eine Protestveranstaltung vom 16. August 2013, die von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst wurde. Badr Mohamed war damals 17 Jahre alt. Amnesty International hat dokumentiert, dass die Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt gegen Protestierende und Unbeteiligte einsetzten, was zum Tod von 97 Personen führte.
Nach seiner Festnahme im August 2013 war Badr Mohamed bis November festgehalten und dann gegen Kaution freigelassen worden. Laut Angaben seiner Familie litt Badr Mohamed nach seiner Freilassung an einer posttraumatischen Belastungsstörung und tauchte unter, um einer weiteren Festnahme zu entgehen. Am 18. August 2017 wurde er in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Am 11. Mai 2020 wurde Badr Mohamed vor den Augen seiner Frau, einer Salzburgerin, die zu dieser Zeit ihr erstes Kind erwartete, und seiner Familie von Sicherheitskräften verhaftet. Sein Fall wurde anschließend vor der Terrorismusabteilung des Kairoer Strafgerichts neu verhandelt. Der Prozess verstieß gegen mehrere Verfahrensrechte wie z. B. die Rechte auf angemessene Verteidigung, auf Gehör und Fairness vor Gericht, auf ein Verfahren vor einem zuständigen und unparteiischen Gericht, und auf das Befragen und Aufrufen von Zeug*innen.
Am 12. Jänner 2023 wurde Badr Mohamed unter anderem wegen "Teilnahme an einer illegalen Versammlung", "Gewaltanwendung in Verbindung mit vorsätzlichem Mord", "versuchtem Mord", "Zerstörung von öffentlichem Eigentum", "versuchtem Einsatz von Sprengstoff und Besitz von Schusswaffen und Messern" schließlich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Badr Mohamed wird im Badr-1-Gefängnis festgehalten, das für seine unmenschlichen Haftbedingungen bekannt ist. Er darf lediglich einmal im Monat kurze Familienbesuche erhalten, wodurch er kaum Zeit mit seiner kleinen Tochter verbringen kann, die während seiner Haft auf die Welt kam.
Fordere mit uns Badrs sofortige Freilassung und unterstütze den Online-Appell.
Der seit 2019 inhaftierte Aktivist und Menschenrechtsverteidiger Alaa Abdel Fattah ist ein gewaltloser politischer Gefangener. Mithilfe konstruierter Anklagen im Zusammenhang mit Terrorismus wird er unter unmenschlichen Bedingungen in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten und ist dort diskriminierender Behandlung und Strafmaßnahmen ausgesetzt.
Alaa Abdel Fattah wurde am 20. Dezember 2021 nach einem äußerst unfairen Verfahren von einem Sondergericht wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er war bereits einen Großteil der letzten zehn Jahre willkürlich inhaftiert und einer Fülle von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören Folter und andere Misshandlungen, eine verlängerte willkürliche Inhaftierung, ein unfaires Verfahren, das Untersagen von Familienbesuchen sowie die Haft unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen.
Unterstütze den Amnesty-Appell für die Freilassung von Alaa Abdel Fattah.
Ahmed Samir Santawy war als Masterstudent an der Central European University (CEU) in Wien eingeschrieben. Im Februar 2021 wurde er während eines Besuchs bei seiner Familie in Ägypten verhaftet, anschließend geschlagen und verhört. Nach einem unfairen Verfahren erhielt Ahmed Samir Santawy im Juni 2021 eine vierjährige Gefängnisstrafe. Die Verurteilung basierte allein auf Social-Media-Posts, in denen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten und der Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisiert wurden.
Amnesty International setzte sich gemeinsam mit zahlreichen Unterstützer*innen für die Freilassung von Ahmed Samir Santawy ein – mit Erfolg! Nach großem internationalem Druck wurde er am 30. Juli 2022 per Präsidentendekret freigelassen, nachdem er 18 Monate lang zu Unrecht im Gefängnis gesessen hatte.
Dennoch ist Ahmed Samir Santawy weiterhin in seiner Freiheit eingeschränkt: Mehrmals wurde er von Sicherheitskräften des Kairoer Flughafens daran gehindert, aus Ägypten auszureisen. Das willkürliche Reiseverbot verstößt nicht nur gegen Ahmeds Recht, das Land zu verlassen, sondern verletzt weitere grundlegende Menschenrechte wie z. B. sein Recht auf Bildung, Familienleben, Gesundheit, Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit. Amnesty International fordert weiterhin, dass das willkürliche Reiseverbot gegen Ahmed Samir Santawy unverzüglich aufgehoben wird!
Ägyptische Sicherheitskräfte verfügen über einen großen Ermessensspielraum, um Personen ohne Gerichtsbeschluss oder verfahrensrechtliche Garantien an der Ausreise zu hindern. In den meisten Fällen werden Personen, gegen die Reiseverbote verhängt werden, noch nicht einmal darüber informiert und bemerken es erst, wenn sie versuchen, ins Ausland zu reisen.