Deine Spende wird heute verdoppelt
Jede Spende bis zum 31. Dezember wird verdoppelt. So entfaltet dein Beitrag doppelte Wirkung und schützt weltweit die Rechte von Menschen in Gefahr.
Ein durchgesickerter Entwurf des ersten schriftlichen saudi-arabischen Strafgesetzbuches entspricht in keiner Weise den universellen Menschenrechtsstandards und entlarvt die Scheinheiligkeit der Versprechungen von Kronprinz Mohammad bin Salman, seine Regierung als fortschrittlich und integrativ darzustellen, so Amnesty International in einem neu veröffentlichten Bericht. Anstatt einen Beitrag dazu zu leisten, die desolate Menschenrechtsbilanz des Landes zu verbessern, verstößt das geplante Strafgesetzbuch gegen internationales Recht und schreibt die bestehenden repressiven Praktiken fest.
Der Gesetzesentwurf kriminalisiert das Recht auf freie Meinungsäußerung, Gedanken- und Religionsfreiheit und missachtet das Recht auf Versammlungsfreiheit, so Amnesty International in seiner Analyse. Ferner werden "uneheliche" einvernehmliche sexuelle Beziehungen, Homosexualität und Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert, sowie Frauen und Mädchen nicht vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt. Der Entwurf schreibt auch die Todesstrafe als eine der grundlegenden Strafen fest und erlaubt weiterhin körperliche Strafen wie die Auspeitschung.
Mit einem ersten schriftlichen Strafgesetzbuch hätten die saudischen Behörden die Chance gehabt, der Welt zu zeigen, dass ihre Reformversprechen mehr als Worthülsen sind. Unsere Analyse des durchgesickerten Gesetzesentwurfs zeigt jedoch, dass es sich im Wesentlichen um ein Instrument zur Unterdrückung handelt, das Menschenrechtsverletzungen fortschreibt und die massive Einschränkung von Freiheiten festigt.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Frauen und Mädchen werden in Saudi-Arabien systematisch diskriminiert und unzureichend vor häuslicher Gewalt geschützt. Alarmierend ist, dass der Entwurf des Strafgesetzbuchs keine Strafverfolgung von Personen vorsieht, die im "Namen der Ehre" Handlungen begehen, wozu auch Körperverletzung oder Mord gehören können, was den Täter*innen Straffreiheit verschaffen würde.
Der Entwurf des Strafgesetzbuches kriminalisiert auch „illegitime“ einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen unverheirateten Personen, einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Männern, das Begehen „unanständigen Verhaltens“ und das „Imitieren eines anderen Geschlechts durch Kleidung und Erscheinung“.
Solche Bestimmungen würden die Verfolgung und Belästigung von Mitgliedern der LGBTQIA+-Gemeinschaft ermöglichen. Während Amnesty International Fälle dokumentiert hat, in denen Einzelpersonen für diese Handlungen verurteilt wurden, waren diese Verurteilungen und Strafen im Ermessen des Richters und sind nicht als strafbare Handlungen im bestehenden saudi-arabischen Recht kodifiziert. Die im Entwurf des Strafgesetzbuches vorgesehenen Strafen für diese Handlungen sind jedoch schwerwiegender als die heute von Richtern verhängten Strafen.
Trotz der Versprechen von Kronprinz Mohammad bin Salman, die Todesstrafe auf die schwersten Verbrechen gemäß der Scharia zu beschränken, gab es unter seiner Herrschaft einen erschreckenden Anstieg von Hinrichtungen, darunter eine der größten Massenhinrichtungen der letzten Jahrzehnte von 81 Personen im März 2022.
Das saudi-arabische Strafgesetzbuch sieht die Todesstrafe als Hauptstrafe für eine Vielzahl von Verbrechen vor, von Mord über Vergewaltigung bis hin zu nichtgewalttätigen Straftaten wie Gotteslästerung. Der Entwurf des Strafgesetzbuches erlaubt es, dass jugendliche Straftäter für bestimmte Verbrechen hingerichtet werden, und setzt das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit schockierend niedrig auf sieben Jahre fest.
Der Entwurf des Strafgesetzbuches erlaubt auch weiterhin rückwärtsgewandte körperliche Bestrafungen wie Auspeitschungen und die Amputation von Händen für Verbrechen wie Ehebruch und Diebstahl.
In den letzten zehn Jahren haben die saudi-arabischen Behörden die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt, indem sie eine Vielzahl von abweichenden Stimmen – von Menschenrechtsverteidiger*innen über Journalist*innen bis hin zu Geistlichen und Frauenrechtsaktivist*innen – durch Inhaftierung, Verbannung oder bedingte Freilassungen mit Reiseverboten ins Visier genommen haben. Die Behörden haben Bestimmungen zur Bekämpfung von Terrorismus und Cyberkriminalität genutzt, um kritische Äußerungen und unabhängiges Denken zum Schweigen zu bringen.
Der Entwurf des Strafgesetzbuches würde diese repressiven Maßnahmen verstärken, indem er Verleumdung, Beleidigung und die Infragestellung der Justiz unter vagen Begriffen kriminalisiert und somit weitere Einschränkungen der individuellen Freiheiten riskiert und die Unterdrückung abweichender Meinungen fortsetzt.
In Abwesenheit eines Strafgesetzbuches in Saudi-Arabien verwenden Richter derzeit ihre Interpretation des islamischen Rechts (Scharia) und der Rechtsprechung, um festzustellen, was ein Verbrechen darstellt und welche Strafen verhängt werden sollen. Solche Praktiken geben Richtern einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung über Fälle und lassen Verbrechen und Strafen vage definiert.
Der 116-seitige Entwurf des Strafgesetzbuches wurde erstmals im Juli 2022 veröffentlicht. Mehrere saudische Rechtsexpert*innen, darunter ein Mitglied der Anwaltskammer und zwei saudische Anwaltskanzleien, haben den Entwurf für 2022 öffentlich kommentiert und seine Echtheit bestätigt.
Amnesty International hat an den Ministerrat von Saudi-Arabien und die saudi-arabische Menschenrechtskommission geschrieben, um die Analyse von Amnesty International sowie Fragen zum Entwurf des Strafgesetzbuches zu teilen.
Diese bestritt die Authentizität des Entwurfs und erklärte, dass ein Entwurf derzeit einer gesetzlichen Überprüfung unterzogen werde. Amnesty International lädt die saudischen Behörden ein, die neueste Version des Entwurfs für unabhängiges Feedback der Zivilgesellschaft zu veröffentlichen.
Zusätzlich zu dem Bericht startet Amnesty International eine globale Kampagne, um die Freilassung von unrechtmäßig Inhaftierten oder zum Tode verurteilten Personen zu fordern, die ihre Rechte auf Meinungsfreiheit im Rahmen des repressiven Vorgehens der Behörden ausgeübt haben.