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Die österreichische Politik versagt weitgehend im Tun, vergreift sich zu oft im Ton, wenn es um geflüchtete Menschen geht – im Inland, wie auch im internationalen Kontext. Das gefährdet langfristig Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte für alle Menschen in Österreich. Mit dieser massiven Kritik am Umgang der österreichischen Regierung mit den Themen Asyl und Migration meldeten sich bei einem Pressegespräch zivilgesellschaftliche Initiativen am Weltflüchtlingstag zu Wort. Amnesty International, Asylkoordination, Courage-Mut zur Menschlichkeit, Menschen.Würde.Österreich und Train of Hope kritisieren strukturelles Versagen von Politik und Verwaltung, unverantwortliche populistische Wortmeldungen und fehlende internationale Solidarität.
Dem steht das Engagement von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Einzelpersonen entgegen. „Die Zivilgesellschaft handelt – wo die Politik Worte spendet, vernebelnde PR-Botschaften absetzt und damit grundsätzlich versagt – Österreich, Balkan, Griechenland, Afghanistan, Syrien, Libanon - die Zivilgesellschaft schaut hin – wo die Politik wegschaut – und wer die Ärmel hochkrempelt ist auch eindeutig, “ so Ferry Maier, Mitinitiator der Allianz „Menschen.Würde.Österreich“, er war 2015/16 gemeinsam mit Christian Konrad Flüchtlingskoordinator im Auftrag der Bundesregierung.
Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination beschreibt die österreichische Asyl- und Migrationspolitik der letzten Jahre „als gescheitert: Die Placebopolitik der 'fremdenrechtlichen Knaller' hat Österreich ins menschenrechtliche Schmuddeleck gestellt".
Zu lange hatten medial hochgekochte PR-Botschaften wie „2015 dürfe sich nicht wiederholen, die Balkanroute müsse geschlossen werden und Pullfaktoren reduziert werden, die Lufthoheit im Diskurs“, erinnert Gahleitner. „Mit dem russischen Angriffskrieg ist da einiges zerbröselt: Wir haben Mitte des Jahres 2022 mehr Schutzsuchende als am Ende des Jahres 2015, am Balkan sehen wir die hässliche Fratze einer höchstgerichtlich bestätigten illegalen Pushbackroute unter Beteiligung des österreichischen Innenministeriums. Das Grundversorgungssystem wurde - um vermeintliche Pullfaktoren zu reduzieren - zu einem Schikanierungssystem Schutzsuchender umgebaut mit der Folge, dass die vom Innenminister ausgegebene Losung ‚unbürokratisch und rasch Hilfe zu leisten‘ nicht umsetzbar ist.“
Kritik, die auch von „Train of Hope“ untermauert wird. Manuela Ertl – 2015 am Hauptbahnhof und jetzt im Ankunftszentrum für Vertriebene aus der Ukraine in Wien im Einsatz: „Während die Politik den Eindruck vermittelt, dass die Versorgung von Ukrainer*innen in Österreich bestens gelingt, zeigt sich in der Realität ein ganz anderes Bild. Die politische Entscheidung, aus der Ukraine geflüchteten Menschen nur Grundversorgung zu gewähren und den Zugang zu Sozialleistungen zu verwehren, führt zu einer immensen materiellen Not. Verzweifelte Mütter, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen und Familien, die von Hilfsorganisation zu Hilfsorganisation ziehen, um sich mit dem nötigsten zu versorgen – das ist die traurige Realität tausender ukrainischer Familien in Österreich.“
Das Resümee ist ernüchternd. „Ohne das Engagement der Zivilgesellschaft wäre die Situation der Ukrainer*innen in Österreich noch weitaus prekärer. Erneut war es die Zivilgesellschaft, die bei der Versorgung von Schutzsuchenden einsprang und dies auch nach 3,5 Monaten noch tut. Wenn es darum geht, das Versagen der zuständigen Stellen zu kompensieren, kommt zivilgesellschaftliches Engagement gerade recht. Doch weder Politik noch Verwaltung haben in den letzten sieben Jahren gelernt, die Potenziale der Zivilgesellschaft zu nutzen und deren Bedeutung anzuerkennen.“
Die Hilfe der österreichischen Bevölkerung ist beeindruckend, wird betont: 2/3 der schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine (80% davon Frauen, Kinder und Jugendliche) sind privat untergebracht, die Zivilgesellschaft verschafft durch beherztes Anpacken dem Staat Zeit, die staatlichen Strukturen hochzufahren. Dieser kommt aber leider viel zu langsam in die Gänge. Lukas Gahleitner: „Die wahren Herausforderungen liegen noch vor uns. Dazu braucht es eine realistische und schonungslose Fehleranalyse der Verwaltung, politische Entscheidungen, die lange hinausgezögert wurden und die Unterstützung der Zivilgesellschaft.“
Den Blick über die Grenzen Österreichs hinaus weitet Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. „Menschen in Gefahr zu schützen ist nicht nur eine menschenrechtliche, sondern auch eine menschliche Pflicht Österreichs und aller EU-Regierungen. Seit Jahren dokumentiert Amnesty International allerdings das Gegenteil: an den Land- und Seegrenzen der EU-Länder finden illegale Pushbacks, Folter und Misshandlungen statt. Vor kurzem hat die britische Regierung versucht, irregulär eingereiste Asylsuchende im Gegenzug für Zahlungen nach Ruanda auszufliegen.“ Und Schlack ortet auch Versagen von Österreich auf internationaler Ebene. „Österreich beteiligt sich seit 2017 gar nicht mehr an Resettlement Programmen. Wenn Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren Teil der europäischen Flüchtlingspolitik werden, läuft die EU und auch Österreich Gefahr, gerade selbst das Fundament, auf dem sie gebaut sind, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, zu untergraben.“
Österreich beteiligt sich seit 2017 gar nicht mehr an Resettlement Programmen. Wenn Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren Teil der europäischen Flüchtlingspolitik werden, läuft die EU und auch Österreich Gefahr, gerade selbst das Fundament, auf dem sie gebaut sind, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, zu untergraben.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Am Beispiel der Situation der Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern wird deutlich, dass es auch anders gehen könnte, erinnert Cornelius Obonya, gemeinsam mit Katharina Stemberger und Judith Kohlenberger prägender Proponent von „Courage – Mut zur Menschlichkeit“: „Österreich hätte es in der Hand, einen Beitrag zu leisten, um diese unhaltbaren Zustände zu verbessern. Rund 5.000 Menschen wurden seit 2020 im Rahmen eines freiwilligen Relocation-Programms in anderen Europäischen Ländern aufgenommen (Stand: 10. Juni 2022, Quelle: UNHCR). Österreich hat sich nicht daran beteiligt. Diese Politik ist ein Teil des Problems und nicht der Lösung. Sie untergräbt die „Europäische Solidarität“. Sie missachtet die Menschenrechte. Und sie muss daher beendet werden.“
Für Obonya sind die Informationen über den unmenschlichen und gegen internationales Recht verstoßenden Umgang mit flüchtenden Menschen an der Außengrenze der EU auch Anlass an die Geschichte Österreichs zu erinnern. „Gerade hierzulande sollten wir eigentlich gelernt haben, dass das Vergessen und Verdrängen, oder präziser: das Verleugnen solcher Missstände sich früher oder später rächt. Darum appellieren wir an die österreichische Politik und insbesondere an die ÖVP: Beenden Sie das Verleugnen und beginnen Sie die Verantwortung zu übernehmen, an der die Geschichte sie messen wird.“
Der Weltflüchtlingstag wäre ein guter Tag für Politik und Verwaltung, um zivilgesellschaftliches Engagement endlich als wichtigen Pfeiler der Flüchtlingshilfe- und Integrationsarbeit anzuerkennen, sich einem partnerschaftlichen Umgang mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu verpflichten und das notwendige zivilgesellschaftliche Engagement finanziell abzusichern.