© BURAK KARA
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presse

Leid an der türkisch-griechischen Grenze: „Konsequenz einer kalkulierten Angstpolitik“

3. März 2020

Zusammenfassung

  • Amnesty International kritisiert die menschenverachtenden Methoden, mit denen die griechischen Behörden geflüchtete Menschen an der Einreise hindern wollen
  • Europäische Politik muss sich auf ihr Fundament – die Menschenrechte – besinnen und international humanitäre Lösungen vorantreiben, darunter Resettlement-Programme und ein menschenwürdiges Krisenmanagement auf beiden Seiten der Grenze

"Das Leid an der türkisch-griechischen Grenze ist vor allem eines: Die traurige Konsequenz einer kalkulierten Angstpolitik, die Politiker*innen jahrelang vorangetrieben haben“, sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, und sagt weiter:  

Was es jetzt braucht, ist eine europäische Politik, die sich auf ihr Fundament besinnt: die Menschenrechte. Wir müssen gemeinsam auf internationaler Ebene humanitäre Lösungen vorantreiben.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

"Das bedeutet Hilfe vor Ort genauso wie ein umfassendes Resettlement-Programm, an dem sich ausnahmslos jeder europäische Staat beteiligt, sowie ein gutes, menschenwürdiges Krisenmanagement für Menschen auf beiden Seiten der Grenze. Stattdessen haben europäische Regierungschefs – darunter auch der österreichische Kanzler Sebastian Kurz – Lösungen verschlafen. Sie haben jahrelang fahrlässig diese Herausforderungen für eine unmenschliche Politik der Hetze und Ausgrenzung genutzt, um sich immer wieder als vermeintliche Retter*innen präsentieren zu können. Dabei haben sie auf das Wesentlichste vergessen – die Menschlichkeit", sagt Annemarie Schlack.

Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats kündigten die griechischen Behörden an, dass das Land vorübergehend keine neuen Asylanträge annehmen werde. Diese Maßnahme soll zudem mit der sofortigen Abschiebung von Neuankömmlingen ohne deren Registrierung gekoppelt werden – sofern eine Rückführung in das Herkunftsland möglich sei. Es bleibt jedoch unklar, was die griechischen Behörden in diesem Zusammenhang für „möglich“ halten.

Amnesty International kritisiert die menschenverachtenden Methoden, mit denen die griechischen Behörden geflüchtete Menschen an der Einreise hindern wollen: Menschen ohne ordnungsgemäßes Verfahren abzuschieben könnte bedeuten, sie in die Schrecken eines Krieges zurückzuschicken oder sie schweren Menschenrechtsverletzungen auszusetzen. Dies verstößt gegen das Grundprinzip der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement). Das Vorgehen Griechenlands gefährdet Menschenleben und ist ein eklatanter Bruch des EU- und des Völkerrechts.

Scharfe Munition – Berichte über Zusammenstöße

Die griechische Armee hat angekündigt, in der Nähe des Grenzflusses Evros Militärmanöver mit scharfer Munition durchzuführen, auch Übungen der Marine in der Ägäis sind geplant.

Seit die Türkei am 28. Februar ankündigte, dass sie niemanden mehr am Grenzübertritt Richtung EU hindern werde, kommen immer mehr Menschen an den Land- und Seegrenzen zu Griechenland und Bulgarien an. Berichten zufolge sitzen an der Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland Tausende Menschen fest. Seit Donnerstag werden von dort Zusammenstöße zwischen Geflüchteten und griechischen Polizeikräften gemeldet. Die Polizei soll unverhältnismäßige Gewalt eingesetzt und wahllos Tränengas in die versammelte Menge geschossen haben, um diese am Grenzübertritt nach Griechenland zu hindern.

Unterdessen kommen auch auf den griechischen Inseln immer mehr Menschen an. Gestern sollen Anwohner*innen von Lesbos das Anlegen von Flüchtlingsbooten verhindert haben. Außerdem griffen sie Aktivist*innen und die Autos von Journalist*innen und freiwilligen Helfer*innen an. Amnesty International fordert die griechischen Behörden auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sowohl die Neuankömmlinge als auch die Organisationen und Einzelpersonen zu schützen, die ihnen vor Ort helfen.

„Griechenland muss den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt unterbinden und sicherstellen, dass Such- und Rettungsaktionen auf See durchgeführt werden können. Denjenigen, die in Griechenland um Asyl bitten, sollte geholfen werden, statt sie wie Kriminelle zu behandeln, die ein Sicherheitsrisiko darstellen“, sagte Eve Geddie, Direktorin des EU-Büros von Amnesty International, und sagt weiter:

„Auch die anderen EU-Mitgliedstaaten müssen viel mehr tun, um die Verantwortung für die Asylsuchenden zu teilen, die in der Türkei ankommen – durch finanzielle Unterstützung, aber auch durch die Gewährleistung sicherer Einreisewege nach Europa. Die Europäische Kommission muss dringend die für Griechenland und Bulgarien erforderliche Unterstützung koordinieren, damit Asylsuchende Zugang zu angemessenen Aufnahme- und Asylverfahren bekommen.“