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© Amnesty International/Samos Volunteers

Presse © Amnesty International/Samos Volunteers

Griechenland: Rechtswidrige Inhaftierung von Geflüchteten darf nicht Vorbild für EU werden

30. Juli 2024

Griechenland muss dringend die gesetzlichen Regelungen aufheben, mit denen Asylsuchende in dem von der EU finanzierten „Closed Controlled Access Centre“ auf der Insel Samos systematisch und rechtswidrig inhaftiert werden, so Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Organisation fordert die EU auf, Griechenland für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen und sicherzustellen, dass dieses Modell nicht als Blaupause für den kürzlich verabschiedeten Migrations- und Asylpakt dient.

Der Bericht Samos: „We Feel in Prison on the Island“ deckt die unrechtmäßige Inhaftierung und die minderwertigen Bedingungen in einem von der EU finanzierten Geflüchtetenzentrum auf. Unter dem Vorwand der Registrierung werden Geflüchtete von den griechischen Behörden de facto bei ihrer Ankunft rechtswidrig festgehalten, so Amnesty. All dies geschieht in einer von der EU finanzierten Einrichtung, die den europäischen Standards entsprechen soll.

Griechenland ist seit langem ein Testgebiet für die EU-Migrationspolitik, die auf der rassistisch motivierten Ausgrenzung von Menschen auf der Flucht an den Grenzen der EU beruht. Die Zustände auf Samos zeigen, wie strafend, kostspielig und anfällig für Missbrauch dieses Modell ist.

Deprose Muchena, Leitender Direktor, Regional Human Rights Impact bei Amnesty International

„Ein dystopischer Albtraum“, finanziert von der EU

Nachdem Brände im Jahr 2020 das Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos verwüstet hatten, stellte die Europäische Kommission 276 Millionen Euro an EU-Mitteln für neue „Mehrzweck“-Zentren zur Verfügung und versprach „bessere Bedingungen“. Die Zentren sollten Aufnahme- und Abschiebehafteinrichtungen umfassen. Das Zentrum auf Samos war das erste und wurde 2021 eröffnet.

Infolge der wachsenden Zahl an ankommenden Geflüchteten kam es zwischen Juni 2023 und Jänner 2024 zu einer Überbelegung des Zentrums, mit einem Höchststand von 4.850 Personen im Oktober 2023. Dies führte dazu, dass die Menschen etwa in Küchen und Klassenzimmern sowie in Containern unter unzureichenden Bedingungen untergebracht wurden. Ursprünglich war die Kapazität der Einrichtung auf 2.040 Personen begrenzt, doch die Behörden änderten sie im September 2023 auf 3.650 Personen, ohne dass sie offensichtlich die Unterbringungsmöglichkeiten erhöhten.

Die EU versprach, dass diese Zentren 'europäischen Standards' entsprechen würden. Stattdessen fanden wir einen dystopischen Albtraum vor: ein hochgesichertes Lager, dem es an der grundlegendsten Infrastruktur fehlt.

Deprose Muchena, Leitender Direktor, Regional Human Rights Impact bei Amnesty International

„Sicherheitskameras und Stacheldraht umzäunen das Zentrum und schaffen eine 'gefängnisähnliche' Umgebung. Die Menschen hatten nicht genügend Wasser, keine angemessene medizinische Versorgung und in einigen Fällen nicht einmal ein Bett. Dabei konnten sie das Zentrum wochen-, manchmal monatelang nicht verlassen“, so Deprose Muchena, Leitender Direktor, Regional Human Rights Impact bei Amnesty International.

Systematische, willkürliche und ungesetzliche Inhaftierung

Die Bewohner*innen werden systematisch „Freiheitsbeschränkungen“ unterworfen und bis zu 25 Tage nach ihrer Einreise im Zentrum festgehalten. Diese Beschränkungen gehen über die legitimen „Einschränkungen der Bewegungsfreiheit“ hinaus und kommen einer unrechtmäßigen Inhaftierung gleich, kritisiert Amnesty scharf. Sie werden überwiegend auf Neuankömmlinge angewandt, ohne die individuellen Umstände der Menschen zu berücksichtigen, was gegen internationales Recht und Standards verstößt. Demnach ist eine Inhaftierung ausschließlich aufgrund des Migrationsstatus nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig.

Amnesty International hat auch Beweise dafür gefunden, dass die Menschen zum Teil über die zulässige Höchstdauer von 25 Tagen hinaus inhaftiert werden, oft ohne schriftliche Entscheidung oder auf der Grundlage einer rückwirkenden Entscheidung. Darüber hinaus waren die Bewohner*innen insbesondere in Zeiten der Überbelegung des Zentrums mit unwürdigen Lebensbedingungen konfrontiert, die möglicherweise gegen das Verbot der Misshandlung verstoßen.

Wir sind mit psychischen Gesundheitsproblemen konfrontiert. Ich bin vor dem Krieg geflohen. Wir haben Syrien verlassen, um eine bessere Zukunft zu haben [...] und nicht, um hier in unsicheren, unsauberen [Bedingungen] zu leben, die wegen vielen Gründen schwierig sind. Ich habe meine Familie zu Hause zurückgelassen und fühle mich jetzt hier bestraft.

Nabil*, ein Mann aus Syrien, der im Anhaltezentrum lebt

Die Unterstützung der Europäischen Kommission für die Einrichtung und den Betrieb des Anhaltezentrums erhöht ihre Verantwortung für alle daraus resultierenden Menschenrechtsverstöße. Wie alle neuen von der EU finanzierten Zentren ist auch das Zentrum auf Samos so konzipiert, dass es den Grundsätzen des EU-Migrations- und Asylpakts entspricht, einer Sammlung kürzlich verabschiedeter Reformen des EU-Asylrechts. Amnesty International hat immer wieder die Befürchtung geäußert, dass der Pakt den Zugang zu Asyl verschlechtern und das Risiko von Menschenrechtsverletzungen und faktischer Inhaftierung erhöhen würde, insbesondere durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Migrant*innen während der Überprüfung und der Asyl- und Rückführungsverfahren an den Grenzen.


„Die EU muss sicherstellen, dass die Anwendung restriktiver Maßnahmen während der Migrationsverfahren nicht zu einer weit verbreiteten unrechtmäßigen Inhaftierung und anderen Missbräuchen führt, wie wir sie auf Samos beobachten. Andernfalls würden nicht nur die EU-Grundrechtsstandards radikal untergraben, sondern auch menschliches Trauma und Leid an den Grenzen drastisch vergrößert“, sagte Deprose Muchena.

Hintergrund: Kunstwerke begleiteten Amnesty Untersuchung

Die Untersuchung wurde zwischen Dezember 2023 und Juli 2024 durchgeführt und stützt sich auf Treffen, Interviews und den Austausch mit Bewohnern des Lagers, Vertreter*innen der griechischen Behörden, Organisationen der Zivilgesellschaft und UN-Einrichtungen. Die Untersuchung wird auch von Kunstwerken der Bewohner*innen begleitet, die ihre Gefühle und Erfahrungen mit dem Leben in dem Zentrum visuell darstellen. Die Kunstwerke wurden in Workshops in Zusammenarbeit mit Samos Volunteers erstellt. Eine Online-Galerie ist hier verfügbar.

*Name geändert