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Der neue Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarates beschreibt marode Zustände in österreichischen Haftanstalten. Damit bestätigt der Bericht Beobachtungen von Amnesty International und anderen Organisationen, die wiederholt Kritik an den Zuständen in österreichischen Gefängnissen geäußert haben. Angesichts dieser Erkenntnisse fordert Amnesty grundlegende Reformen und sofortige Maßnahmen, um menschenrechtliche Missstände in Österreichs Haftanstalten zu beenden.
„Die Bedingungen in einigen österreichischen Haftanstalten sind mitunter erniedrigend. Der Bericht des Europarates bestätigt zahlreiche Missstände, vor denen die österreichische Regierung nicht länger die Augen verschließen kann“, sagt Stephan Handl, Researcher bei Amnesty International Österreich.
Inhaftierte sind Menschen mit Rechten. Wie allen Menschen dürfen auch ihnen ihre Menschenrechte nicht abgesprochen werden. Es ist zutiefst beunruhigend, dass die österreichischen Behörden trotz wiederholter Warnrufe von Amnesty International und anderen Organisationen es versäumt haben, die systemischen Probleme endlich anzugehen.
Stephan Handl, Researcher bei Amnesty International Österreich
Die österreichische Regierung muss unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Inhaftierten mit Würde und Respekt behandelt werden und dass die Bedingungen in den Gefängnissen internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen, so Amnesty International. So muss allen voran sichergestellt werden, dass Patient*innen des Maßnahmenvollzugs nicht länger in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht werden.
Eine Delegation des Europarats (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) untersuchte zwischen November und Dezember 2021 die Haftbedingungen in verschiedenen österreichischen Gefängnissen sowie die Situation von Inhaftierten in Schubhaft, Justizanstalten, Maßnahmenvollzug und Polizeigewahrsam.
Die Delegation des Europarates besuchte dabei die Justizanstalten in Göllersdorf, Innsbruck, Leoben, Stein (Maßnahmenvollzug) und Wien Josefstadt, sowie die Polizeidienststellen in Amstetten, Innsbruck, Kematen/Ypps, Leoben, Wien Leopoldsgasse, das Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel und das Krankenhaus Mauer. Zuvor hat der Europarat Österreich zum letzten Mal 2014 besucht.
Der heute veröffentlichte Bericht beklagt insbesondere den teilweise katastrophalen Zustand von Zellen und Sanitäranlagen, unverhältnismäßige Isolation in Schubhaft sowie die mangelnde Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen im Rahmen des Maßnahmenvollzugs in herkömmlichen Gefängnissen. Wie bereits beim letzten Besuch des Europarates im Jahr 2014, betonte das Komitee die Notwendigkeit unabhängiger Untersuchungen aller Beschwerden über Misshandlungen gegen Polizeibeamt*innen.
Amnesty International beklagt die maroden und teilweise erniedrigenden Bedingungen für Inhaftierte in Schubhaft. Die Menschenrechtsorganisation erhält immer wieder Berichte über unverhältnismäßige Gewaltanwendung, willkürliche Disziplinierungsmaßnahmen, katastrophale hygienische Bedingungen und erhebliche Mängel bei der psychiatrischen und psychologischen Betreuung von Schubhäftlingen.
Nach Angaben des Anti-Folter-Komitees ist das Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel in Wien in einem katastrophalen Zustand. Die Zellen, in denen bis zu acht Inhaftierte festgehalten werden, und die sanitären Anlagen sind stark verfallen, baufällig und schmutzig. Diese Bedingungen sind dem Gutachten des Anti-Folter-Komitees zufolge nicht geeignet, um Menschen über einen längeren Zeitraum in Haft zu halten. Die Gefangenen können zudem oft keinen Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen, da sie nicht kostenlos telefonieren oder ihre eigenen Mobiltelefone benutzen dürfen.
Besonders besorgniserregend sind die “Sicherheitszellen” im PAZ Hernalser Gürtel, in denen Personen untergebracht sind, die eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellen. In diesen Zellen fehlt es ihnen an angemessener Überwachung und menschlichem Kontakt und die Insassen werden oft tagelang in Isolation gehalten. Außerdem wird ihnen der Zugang zu frischer Luft, Duschen, Decken und Kissen verwehrt, und sie sind ständiger künstlicher Beleuchtung ausgesetzt, was ihren natürlichen Schlafrhythmus stören und gesundheitliche Probleme verursachen kann. Bei Leibesvisitationen werden die Gefangenen außerdem häufig gezwungen, sich vollständig zu entkleiden, was eine invasive und potenziell erniedrigende Maßnahme darstellt.
Amnesty International fordert im Einklang mit den Empfehlungen des Anti-Folter-Komitees, die Haftdauer im PAZ Wien-Hernalser Gürtel auf maximal zwei Wochen zu verkürzen und den Inhaftierten deutlich mehr Zeit außerhalb der Zellen zu ermöglichen. Die Unterbringung von Schubhäftlingen im offenen Vollzug sollte die Regel sein, der geschlossene Vollzug die Ausnahme.
Zudem müssen Sicherheitszellen angemessen belüftet werden, künstliches Licht nachts angemessen gedimmt wird und dass die Gefangenen Decken, Kissen, Zugang zu Trinkwasser und regelmäßige Duschmöglichkeiten erhalten. Darüber hinaus sollten Leibesvisitationen in einer menschenwürdigen Weise durchgeführt werden, indem die Personen sich nur von der Taille aufwärts entkleiden müssen.
Ein Aufenthalt im Polizeigewahrsam Hernalser Gürtel ist eine schreckliche Erfahrung. Es ist nicht hinnehmbar, dass Schubhäftlinge unter so schlechten Bedingungen festgehalten werden, zumal ihre Inhaftierung in vielen Fällen Wochen oder sogar mehrere Monate dauert.
Stephan Handl, Researcher bei Amnesty International Österreich
Amnesty International kritisiert außerdem die Abschaffung der Schubhaftbetreuung und den damit einhergehenden Mangel an psychiatrischer und psychologischer Betreuung von Inhaftierten – ein Umstand, auf den auch schon der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft aufmerksam gemacht hat.
“Eine unzureichende Betreuung kann schnell zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung führen und damit gegen Artikel 3 der EMRK verstoßen”, erklärt Handl. „Das Innenministerium ist in der Pflicht, menschenrechtliche Mindeststandards bei der Betreuung von Schubhäftlingen einzuhalten. Es braucht daher eine Wiedereinführung der Schubhaftbetreuung, um eine bessere psychosoziale Betreuung und Beratung zu gewährleisten und dadurch körperliche und psychische Probleme im Vorfeld zu verhindern.”
Amnesty International ist besonders besorgt über die Situation Menschen mit psychischen Erkrankungen in Gefängnissen, insbesondere im Hinblick auf die Unterbringung in regulären Gefängnissen, sowie den Zugang zu psychosozialer Betreuung und medizinischer Behandlung.
So sieht der Europarat dringenden Handlungsbedarf im Maßnahmenvollzug und fordert ebenso wie Amnesty, dass Patient*innen im Maßnahmenvollzug nicht länger in gewöhnlichen Gefängnissen wie der Justizvollzugsanstalt Stein untergebracht werden, sondern in geeigneten Therapiezentren, die den psychiatrischen Bedürfnissen der Patient*innen besser gerecht werden.
Einrichtungen wie die Justizvollzugsanstalt Stein, in denen Beamt*innen Waffen tragen, sind für den Maßnahmenvollzug ungeeignet. Weiters berichtet das Komitee anlässlich des Besuchs über die unzureichende psychiatrische Versorgung in der Justizanstalt Stein. Anfang 2022 standen nur ein*e Psychiater*in für acht Stunden pro Woche zur Verfügung, um die rund 800 Inhaftierten, darunter mehr als 100 im Maßnahmenvollzug, zu betreuen. Seitdem wurde in Stein nur eine zusätzliche Psychiater*in für zehn Stunden pro Woche angestellt.
Obwohl der Maßnahmenvollzug jährlich gerichtlich überprüft werden soll, ist die Qualität der psychiatrischen Beurteilungen, die dabei eine zentrale Rolle spielen, häufig mangelhaft. Das Recht auf Unterstützung durch eine*n Anwält*in während dieser Prüfung bleibt oft rein theoretisch, da sich viele keine private Rechtvertretung leisten können. So empfiehlt das Komitee, regelmäßige und unabhängige psychiatrische Gutachten sowie eine anwaltliche Vertretung für alle Patient*innen.
Auch Amnesty International fordert seit vielen Jahren eine grundlegende Verbesserung der Qualität der psychiatrischen Gutachten, die den präventiven freiheitseinschränkenden Maßnahmen zugrunde liegen.
Erste Reformen des Maßnahmenvollzugs wurden erfreulicherweise im Dezember 2022 beschlossen. Dazu gehören beispielsweise Verbesserungen bei der Unterbringung von Jugendlichen im Maßnahmenvollzug. Grundlegende Reformen stehen jedoch weiterhin aus, insbesondere hinsichtlich der Unterbringung von Menschen mit psychischer Erkrankung in Justizanstalten.
Es kann nicht unsere Lösung als Gesellschaft sein, Menschen mit psychischen Erkrankungen in Gefängnissen wegzusperren. Wir fordern seit Jahren eine grundlegende Reform des Maßnahmenvollzugs in Österreich. Oberstes Ziel muss sein, menschenwürdige Bedingungen zu gewährleisten und den Personen langfristig eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen.
Stephan Handl, Researcher bei Amnesty International Österreich
Amnesty International beklagt außerdem im Einklang mit dem Komitee das mangelhafte Freizeitangebot für die überwiegende Mehrheit der Untersuchungshäftlinge in den drei besuchten Justizanstalten.
Die einzigen Aktivitäten außerhalb der Zelle, die den Inhaftierten angeboten wurden, sind eine Stunde Bewegung im Freien und ein oder zwei 60- bis 90-minütige Sportstunden pro Woche. Folglich sind die betroffenen Insass*innen oft bis zu 23 Stunden pro Tag in ihren Zellen eingeschlossen. Erst vor wenigen Wochen wurde berichtet, dass vielen inhaftierten Frauen in der Justizanstalt Josefstadt wichtige Aktivitäten wie Sport und Bewegung im Freien verwehrt werden.
Vor diesem Hintergrund fordert Amnesty International die österreichischen Behörden auf, das Angebot an Aktivitäten für die Gefangenen in den Justizanstalten Innsbruck, Leoben und Wien-Josefstadt zu verbessern. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Situation der Untersuchungshäftlinge gelegt werden. Wie das Komitee wiederholt betont hat, sollte sichergestellt werden, dass alle Gefangenen, einschließlich der Untersuchungshäftlinge, einen angemessenen Teil des Tages außerhalb ihrer Zellen verbringen können, um sich einer sinnvollen und abwechslungsreichen Tätigkeit zu widmen.
Besonders besorgniserregend ist auch, dass laut Bericht des Anti-Folter Komitee in der Justizanstalt Innsbruck Häftlinge, die in Einzelhaft untergebracht waren, in einigen Fällen über einen längeren Zeitraum und nach wiederholtem Klingeln und Rufen nicht mit Trinkwasser versorgt wurden, so dass sie aus der Toilette trinken mussten.
„Ein solcher Zustand ist nicht akzeptabel“, sagt Handl. „Wir fordern, dass die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Gefangene, die in besonders gesicherten Zellen in der Justizanstalt Innsbruck untergebracht sind, jederzeit Zugang zu Trinkwasser haben.“
Wie bereits im letzten Besuch des Europarates in Österreich im Jahr 2014, betonte das Komitee die Notwendigkeit unabhängiger Untersuchungen aller Beschwerden über Misshandlungen gegen Polizeibeamt*innen. Damit derartige Untersuchungen auch tatsächlich wirksam sind, müssen die Ermittlungsverfahren nicht nur unabhängig und unparteiisch sein, sondern auch von Betroffen als unabhängig und unparteiisch wahrgenommen werden.
Die derzeitige Regierungsvorlage zur Einrichtung einer unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen sieht deren organisatorische Ansiedelung im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), einer Einrichtung des Innenministeriums vor. Wie bereits beim Besuch des Europarates 2014 äußerte das Komitee Zweifel, ob derartige Ermittlungen im BAK auch wirklich als umfassend unabhängig und unparteiisch angesehen werden können.
Der Besuch des Anti-Folter-Komitees ist eine Momentaufnahme. Amnesty International beobachtet seit vielen Jahren Fälle von unangemessener Anwendung von Polizeigewalt im Polizeigewahrsam in Österreich und fordert wirksame und unabhängige Untersuchungen von Polizeigewalt.
Ein Beispiel ist der Fall eines Aktivisten der "Lobau bleibt"-Bewegung, dem im Februar 2022 im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände eine Rippe gebrochen wurde. Obwohl das Verwaltungsgericht Wien entschied, dass die angewandte Polizeigewalt unverhältnismäßig war, wurde das dem Verwaltungsverfahren vorangegangene Strafverfahren gegen die Polizeibeamten eingestellt. Amnesty International betont, dass dringend wirksame und unabhängige Untersuchungen von Polizeigewalt notwendig sind, um sicherzustellen, dass die Täter*innen nicht straflos bleiben.
Für ein Strafverfahren ist die Feststellung der individuellen Schuld ausschlaggebend. Dabei ist es wichtig, dass einzelne Polizeibeamt*innen individuell identifiziert werden können, damit sie in Strafverfahren zur Verantwortung gezogen werden können, z.B. durch sichtbare Identifikationsnummern auf Uniformen. Dies hätte laut Europarat auch eine präventive Wirkung gegen übermäßige Gewaltanwendung.
In Bezug auf den Polizeigewahrsam berichtet das Komitee von Vorwürfen, wonach Inhaftierte verspätet oder nur mündlich über ihre Rechte informiert wurden, z. B. über das Recht, Angehörige über ihre Inhaftierung zu informieren oder Zugang zu Rechtsbeistand oder medizinischer Versorgung zu erhalten. In manchen Fällen wurden sie sogar erst nach der ersten Befragung durch die Polizei informiert. Außerdem berichteten einige Inhaftierte, dass sie diese Informationen nicht in einer Sprache erhielten, die sie verstehen konnten.
Amnesty International fordert, dass die österreichischen Behörden sicherstellen, dass alle Inhaftierten umgehend über ihre Rechte informiert werden, und dass ihnen eine schriftliche Information in einer Sprache, die sie verstehen, zur Verfügung gestellt wird.
Auch sollte allen inhaftierten Personen, die sich eine Rechtsvertretung nicht leisten können, kostenlos ein Rechtsbeistand bei polizeilichen Vernehmungen zur Verfügung stehen. Positiv erwähnte das Komitee, dass während ihres Besuches entsprechend der geänderten Rechtslage, bei allen Einvernahmen von Jugendlichen eine anwaltliche Vertretung anwesend war. Das Komitee empfiehlt Österreich, wie auch anlässlich des letztens Besuches 2014, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, damit das Recht auf einen Rechtsbeistand während der polizeilichen Befragung niemals verweigert wird.