COVID-19: Pfizer stellt weiterhin Profit vor faire Impfstoffverteilung
11. November 2021Der Pharmakonzern Pfizer macht irreführende Angaben über sein Engagement für eine faire Impfstoffverteilung. Sein Bekenntnis zu Impfgerechtigkeit und Wissensaustausch entpuppt sich als PR-Maßnahme, während das Unternehmen weiterhin einen Großteil der Impfdosen an reichere Länder liefert. Dies geht aus einem neuen Bericht von Amnesty International hervor.
„Pfizer beteuert seine Verpflichtung, Impfdosen an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu liefern, aber die Zahlen sagen etwas anderes. Tatsache ist, dass der Konzern immer noch den Profit in den Vordergrund stellt“, kritisiert Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. Das Unternehmen setzt sich in einer weltweiten Kampagne für eine globale Impfstoffgerechtigkeit ein und möchte auch in Österreich aufzuzeigen, dass die Profitgier von einigen Unternehmen Hunderttausende Menschenleben kostet.
Wir befinden uns immer noch mitten in einer beispiellosen globalen Gesundheits- und Menschenrechtskrise. Es ist daher wichtig, dass alle Länder der Welt so schnell wie möglich Zugang zu Impfstoffen haben.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Geschönte Formulierungen
Das Management von Pfizer hat wiederholt behauptet, dass der Konzern bis Ende des Jahres mindestens eine Milliarde Dosen an «Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen» geliefert haben wird. Doch die Formulierung ist irreführend: Anders als die Weltbank, die Volkswirtschaften zu Analysezwecken in vier Einkommensgruppen (niedriges, unteres mittleres, oberes mittleres und hohes Einkommen) einteilt, hat Pfizer in seinen Erklärungen Länder mit niedrigem, unterem und oberem mittleren Einkommen – über 84 Prozent der Weltbevölkerung – zu einer einzigen Gruppe zusammengefasst und sie als „niedriges und mittleres Einkommen“ bezeichnet. Innerhalb dieser sehr weit gefassten Kategorie ging der Großteil der Impfdosen von Pfizer an Länder mit einem „oberen mittleren“ Einkommen wie Malaysia, Mexiko und Thailand.
Nur 15 Millionen Dosen an die ärmsten Länder
Pfizer erklärte, bis Ende September insgesamt zwei Milliarden Dosen weltweit verschickt zu haben. In einem Schreiben an Amnesty International vom November gab das Unternehmen jedoch zu, dass davon nur 154 Millionen Dosen – weniger als acht Prozent der Gesamtmenge – 42 Länder mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen erreicht hatten. Davon wiederum wurden laut Pfizer weniger als 10 Prozent (d.h. 15,4 Millionen) an Länder mit niedrigem Einkommen verteilt.
So sehr das Unternehmen die Tatsachen schönreden will, die Zahlen sind eindeutig – der Großteil der Dosen geht immer noch in die reicheren Teile der Welt.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Verhinderung von Technologietransfer und Wissensaustausch
Auch die Behauptung von Pfizer seine „wissenschaftlichen Instrumente und Erkenntnisse zu teilen“, entspricht nicht der Wahrheit. Sie steht in krassem Gegensatz zu der Tatsache, dass das Unternehmen sich nicht am COVID-19 Technology Access Pool (CTAP) beteiligt, der Daten und Wissen weltweit bündelt. Auch der WHO-Drehscheibe für den Technologietransfer von mRNA-Impfstoffen in Südafrika blieb Pfizer bislang fern und verzögert damit die Entwicklung von Produktionsstätten in Afrika. Pfizer hat sich auch aktiv gegen die TRIPS-Ausnahmeregelung der Welthandelsorganisation eingesetzt, die eine vorübergehende Aussetzung der Patentrechte vorsieht und eine Ausweitung der weltweiten Produktionskapazitäten für COVID-19-Impfstoffe ermöglichen würde. Auch die anderen europäischen und US-amerikanischen Hersteller von COVID-19-Impfstoffen, BioNTech, Moderna, Johnson & Johnson und AstraZeneca, haben die gemeinsame Nutzung von Technologien blockiert und Lobbyarbeit gegen die vorgeschlagene TRIPS-Ausnahmeregelung geleistet.
Hunderttausende von Menschenleben stehen auf dem Spiel
Amnesty International unterstützt mit der Kampagne 100 Tage Countdown: 2 Milliarden Impfstoffe jetzt! das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, bis Ende des Jahres 40 Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen zu impfen. Laut Amnesty kann dieses Ziel erreicht werden, wenn die Pharmaunternehmen die Hälfte der zwischen dem 21. September und dem 31. Dezember 2021 produzierten Impfstoffe an 82 Länder mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen liefern, wenn die Staaten die Millionen überschüssiger Impfstoffe, die sich derzeit in ihren Beständen befinden, umverteilen und wenn Staaten und Pharmaunternehmen die weltweite Versorgung mit COVID-19-Impfstoffen durch den Austausch von Wissen und Technologie rasch erhöhen.
Noch sei es für die Pharmaunternehmen nicht zu spät, das Blatt zu wenden, meint auch Annemarie Schlack: „Wenn sie jetzt handeln, könnten sie dazu beitragen, dass bis Ende des Jahres 1,2 Milliarden Menschen in Ländern mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen zusätzlich geimpft werden – und mindestens 2 Millionen* Leben retten.“
HinweisE
- * Das Analyseunternehmen Airfinity schätzt, dass pro 100 Millionen gelieferter Impfdosen zwischen 100.000 und 225.000 Menschenleben gerettet werden können. Falls das Ziel 1,2 Milliarden Menschen in Ländern mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen zusätzlich zu impfen, erreicht wird, könnten demnach mindestens 2 Millionen Menschenleben gerettet werden.
- In seiner Antwort an Amnesty International sagte Pfizer: „Wir erkennen an und sind besorgt über das relativ geringe Tempo, mit dem die Impfstoffe die Länder mit niedrigem Einkommen erreicht haben, aber es ist auch wichtig, anzuerkennen, dass sich etwa zwei Drittel der 1,3 Milliarden in Armut lebenden Menschen in Ländern mit mittlerem Einkommen befinden. In den Ländern mit unterem mittlerem und oberen mittlerem Einkommen leben derzeit 75 Prozent der Weltbevölkerung und 62 Prozent der Armen der Welt. Nichtsdestotrotz gehen wir davon aus, dass es bis zum Jahresende zu einem erheblichen Anstieg der Dosislieferungen kommen wird, wobei der Schwerpunkt auf den Ländern mit niedrigem und unterem mittlerem Einkommen liegt, die von den globalen Zielen weiter entfernt sind.“
- Zur Frage der geistigen Eigentumsrechte fügte Pfizer hinzu, dass „der Rahmen für geistiges Eigentum Innovationen schützt und einen sicheren Transfer von technischem Wissen ermöglicht“ und dass das Unternehmen „weiterhin Möglichkeiten aufgreifen wird, neue Partner in sein Lieferkettennetzwerk einzubinden, um den Zugang zum COVID-19-Impfstoff weiter zu beschleunigen.“