Amnesty-Stellungnahme zur Änderung des Versammlungsrechts
12. April 2017Eine bürgerlich-liberale Errungenschaft wird zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Störfaktor
Das hart erkämpfte Recht, sich öffentlich friedlich zu versammeln, gerät immer mehr unter Beschuss, stellt Amnesty anlässlich eines aktuellen Gesetzesentwurfes fest. Amnesty hat die geplanten Regelungen, deren Begutachtungsfrist morgen endet, im Detail geprüft und die Stellungnahme Versammlungsgesetz verfasst.
Amnesty lehnt den Gesetzesentwurf, der Einschränkungen der Versammlungsfreiheit vorsieht, aus formalen, aber auch grundrechtlichen Erwägungen entschieden ab. Insbesondere der neue Abschnitt zur „Untersagung von Versammlungen, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dienen“, sieht Eingriffe in Grundrechte vor, die völlig unangemessen sind.
Mit dieser unangebrachten Anlassgesetzgebung tritt die Regierung die Versammlungsfreiheit mit Füßen. Sie beschädigt damit nicht nur den Ruf eines hart erkämpften Grundrechts. Sie schafft damit auch ein menschenrechtlich höchst bedenkliches Gesetz, das auf schwammigen Begriffen mit hohem Missbrauchspotential basiert und antiquierte Rechtsnormen wieder zum Leben erweckt, die in einem modernen Rechtsstaat und in einer wehrhaften Demokratie nichts zu suchen haben.
Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich
Beispiellose Anlassgesetzgebung
Laut dem vorliegenden Entwurf sollen Behörden künftig die Möglichkeit haben, unter bestimmten Voraussetzungen Versammlungen zu verbieten – und zwar wenn sie der „politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dienen“ und den „außenpolitischen Interessen, anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten, oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich zuwiderläuft“.
Dieser Abschnitt ist offensichtlich der Versuch, eine Art „Lex Erdogan“ zu schaffen – eine unpassende Anlassgesetzgebung, um die Auftritte von Vertreterinnen und Vertretern der türkischen Regierung in Österreich zu verbieten.
Tatsächlich kann laut Europäischer Menschenrechtskonvention die politische Tätigkeit von Ausländerinnen und Ausländern unter bestimmten Bedingungen beschränkt werden. Doch diese Bestimmung gilt in der Literatur als „völlig antiquiert“ und „anachronistisch“. Die Regierung würde mit diesem Gesetz also eine längst überholte Rechtsnorm wiederbeleben.
„Die Tendenz, bestimmte Grundrechte zu nationalisieren, ist extrem gefährlich: In Russland oder Ungarn können wir das schon länger beobachten – und nun soll auch in Österreich ein Gesetz geschaffen werden, mit dem de facto jedes menschenrechtspolitische Anliegen mit Auslandsbezug untersagt werden kann. Dieser Tendenz gilt es entschieden entgegenzutreten“, sagt Patzelt.
Unklare Begriffe
Abgesehen davon ist völlig unklar, wann eine Versammlung den „politischen Interessen von Drittstaatsangehörigen“ dient und wann sie den „demokratischen Grundwerten Österreichs zuwiderläuft". Außenpolitische Interessen eines Landes sind von vielen Variablen abhängig und daher schwer zu fassen bzw. zu definieren. Nach welchen Kriterien die Behörden dieses Gesetz anwenden sollen, ist aufgrund der schwammigen Formulierung völlig unklar. Amnesty warnt vor solchen unbestimmten Begriffen, denn sie bergen ein enormes Missbrauchspotential.
Bisherige Bestimmungen ausreichend
Die österreichischen Behörden haben bereits jetzt die Möglichkeit, Versammlungen zu verbieten, wenn sie gegen das Strafrecht verstoßen oder die öffentliche Sicherheit gefährden. Diese bestehenden Beschränkungen sind völlig ausreichend.
Das Recht auf Versammlungen ist hart erkämpft und ein wichtiger Grundpfeiler unserer Demokratie, um die politische Meinung außerhalb der Wahlzelle kundzutun. Der Staat muss dafür sorgen, dass seine Bevölkerung – auch jene, die nicht den österreichischen Pass besitzen – dieses Recht ausüben kann. Amnesty appelliert daher an die Regierung, gegen die Einschränkung und gegen die öffentliche Abwertung von Versammlungen entschieden entgegenzutreten.