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Die litauischen Behörden halten Tausende von Menschen willkürlich in Haftzentren fest, wo sie unmenschlichen Bedingungen, Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sind, so Amnesty International heute.
In einem neuen Bericht dokumentiert die Organisation, wie Geflüchtete und Migrant*nnen monatelang in heruntergekommenen, gefängnisähnlichen Einrichtungen in Litauen festgehalten werden. Sie sind dort schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt und der Zugang zu fairen Asylverfahren wird ihnen verwehrt. Dies geschieht in der Absicht, dass die Betroffenen "freiwillig" in die Länder zurückkehren, aus denen sie geflohen sind.
Diese Behandlung steht in extremem Gegensatz zu dem Wohlwollen, mit dem die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, in der EU empfangen werden.
Amnesty International besuchte zwei litauische Haftzentren (so genannte Ausländerregistrierungszentren) in Kybartai und Medininkai und sprach mit 31 Personen aus Ländern wie Kamerun, der Demokratischen Republik Kongo, Irak, Nigeria, Syrien und Sri Lanka, die dort rechtswidrig inhaftiert sind.
Viele von ihnen berichteten, dass sie Schikanen durch das Wachpersonal ausgesetzt waren, darunter Schläge, Beleidigungen und rassistisch motivierte Einschüchterungen. Zudem fehlt es in den stark gesicherten Haftanstalten an sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung.
„Im Irak hören wir von Menschen- und Frauenrechten in Europa. Aber hier gibt es keine Rechte“, so eine jesidische Frau, die in der Hafteinrichtung von Medininkai nah der Grenze zu Belarus festgehalten wird.
Alle Menschen, die Schutz suchen, sollten gleich und mit Respekt behandelt werden. Aber die Menschen, mit denen wir in Litauen gesprochen haben, wurden seit Monaten unter entsetzlichen Bedingungen rechtswidrig festgehalten und waren physischem und psychischem Missbrauch und anderen Formen herabwürdigender Behandlung ausgesetzt. Alle Menschen in diesen Hafteinrichtungen müssen unverzüglich freigelassen werden und Zugang zu fairen Asylverfahren erhalten.
Nils Muižnieks, Direktor für Europa bei Amnesty International
„Während Litauen Zehntausenden Geflüchteten aus der Ukraine zu Recht einen herzlichen Empfang bereitet hat, könnte die Erfahrung der Inhaftierten, mit denen wir gesprochen haben, nicht unterschiedlicher sein. Dies gibt Anlass zu ernster Sorge über institutionellen Rassismus im litauischen Migrationssystem.“
Vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl an Personen, die an Litauens Grenze zu Belarus eintreffen, verabschiedete das litauische Parlament im Juli 2021 eine neue Gesetzgebung. Sie sieht eine automatische Inhaftierung von Menschen vor, die die Grenze nach Litauen ohne Einreiseerlaubnis überqueren.
Dies hatte zur Folge, dass Tausende von Menschen, darunter viele, die internationalen Schutz benötigen, über einen längeren Zeitraum festgehalten wurden. Zahlreichen Personen wurde zudem monatelang jegliche Möglichkeit vorenthalten, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung von den Justizbehörden kontrollieren zu lassen. Bei vielen Menschen wurde der Antrag auf Asyl nie geprüft. Tausende weitere Personen wurden gewaltsam über die Grenze nach Belarus zurückgedrängt, wo sie keine Möglichkeit haben, um Schutz zu ersuchen.
Hunderte weitere Personen werden in der Hafteinrichtung Medininkai festgehalten, wo sie in Containern auf einem Fußballplatz schlafen. Um die Toiletten aufzusuchen, müssen sie nach draußen gehen und im strengen litauischen Winter durch den Schnee laufen. Die Häftlinge, mit denen Amnesty International gesprochen hat, waren wegen des aggressiven Verhaltens des Wachpersonals in der Hafteinrichtung stark verängstigt.
Es gab zahlreiche Berichte über Misshandlungen, von denen einige den Tatbestand der Folter erfüllten, sowie über unverhältnismäßige Gewaltanwendung, einschließlich des Einsatzes von Pfefferspray und anderer Spezialausrüstung.
Außerdem wurden Häftlinge in Isolationshaft gesteckt und von Hunden gebissen, wenn sie zu fliehen versuchten. Gegen eine*n in der Einrichtung tätige*n Psychologen*in laufen derzeit Ermittlungen wegen angeblicher sexualisierter Gewalt gegen Inhaftierte in seiner*ihrer Obhut.
Darüber hinaus hat Amnesty International auch Fälle dokumentiert, in denen Häftlinge, insbesondere Schwarze Männer und Frauen, zutiefst beleidigenden und rassistischen Bemerkungen ausgesetzt waren.
Die Europäische Union hat in den letzten Monaten die Entwicklung eines Zwei-Klassen-Systems zugelassen. Während ukrainische Staatsangehörige in der EU Schutz genießen und mit dem ihnen gebührenden Mitgefühl behandelt werden, werden Menschen, die aus anderen Ländern fliehen, eingesperrt und in einem System, das in beschämender Weise von Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung geprägt ist, mit unzähligen Hindernissen konfrontiert.
Die Reaktionen der Europäischen Kommission auf den Versuch Litauens, Push-Backs, automatische Inhaftierung und die Verweigerung von Asyl mittels seiner nationalen Gesetzgebung zu „legalisieren“, reichten von offenem Lob bis zu stillschweigendem Einverständnis.
Die Führung der Kommission erklärte den Mitgliedern des Europäischen Parlaments zwar, Push-Backs seien eindeutig rechtswidrig, meinte aber, es lägen keine konkreten Beweise vor, dass diese auch durchgeführt würden. Der heute veröffentlichte Bericht von Amnesty International liefert mehr als genug Beweise, und auch andere internationale Organisationen und lokale Gruppen haben dies bereits im letzten Jahr belegt.
Die Europäische Kommission hat bisher noch kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Litauen eingeleitet, dessen Gesetzgebung, Politik und Vorgehensweisen eklatant gegen das Völkerrecht und EU-Recht verstoßen. In der Zwischenzeit leisten Angehörige der Europäischen Grenz- und Küstenwache (Frontex) den litauischen Grenzposten weiterhin Unterstützung, und das auch bei Grenzkontrollen und anderen Aktivitäten, die zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können.
Ein Jahr nach Litauens Versuch, eine Rechtswidrigkeit zu Recht zu machen, hat die Europäische Kommission noch immer nichts unternommen, um die litauische Gesetzgebung mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. Solange die Europäische Kommission untätig bleibt, lautet ihre Botschaft an die Mitgliedstaaten, dass EU-Gesetze ungestraft verletzt werden können.
Nils Muižnieks, Direktor für Europa bei Amnesty International