24-Stunden-Betreuung: Offener Brief an Bundesminister Rauch und Kocher
25. Juli 2022Amnesty International, IG24 und CuraFAIR (Volkshilfe) rufen gemeinsam zum Handeln auf:
Rechtliche Rahmenbedingungen müssen angepasst werden, verpflichtende Agenturen-Zertifizierung soll Qualität für alle sichern.
Die 24-Stunden-Betreuung ist eine zentrale Säule des österreichischen Pflegesystems. Einiges hat man in den vergangenen Monaten darüber gehört, dass sich etwas in dem Bereich ändern soll, aber konkrete Vorschläge liegen noch nicht auf dem Tisch. In einem offenen Brief an Sozialminister Johannes Rauch und Arbeitsminister Martin Kocher fordern nun Amnesty International, IG24 und CuraFAIR im Zuge der Pflegereform auch dringend notwendige Maßnahmen bei der 24-Stunden-Betreuung umzusetzen. Zeitgleich übergab Amnesty International eine Petition mit rund 19.000 Unterschriften an Minister Rauch, um der Forderung Nachdruck zu verleihen.
Menschenrechtskampagne für die 24-Stunden-Betreuung
Die Petitionsübergabe ist der Höhepunkt und Abschluss einer Kampagne, mit der Amnesty auf die teils dramatische Situation von Betreuer*innen aufmerksam gemacht hat. Die Forderungen basieren auf einem umfangreichen Bericht der Menschenrechtsorganisation, laut dem das rechtliche Rahmenwerk in Österreich die Ausbeutung von Betreuer*innen im großen Stil zulässt. Zu deren Arbeitsalltag gehören zum Teil schockierend schlechte Bezahlung und übermäßig lange Arbeitszeiten, während ein gesicherter arbeitsrechtlicher Schutz oder Zugang zu sozialen Leistungen wie Krankenversicherung meist fehlen. „Die Betreuer*innen stellen eine wichtige Säule des heimischen Pflegesystems dar. Es wird Zeit, dass wir sie entsprechend rechtlich absichern und die für Herbst angekündigten Maßnahmen nun tatsächlich auf den Boden gebracht werden”, so Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
Änderung der Scheinselbstständigkeit: „lose-lose-Situation muss aufhören“
Ähnliches verlautet die Interessensgemeinschaft der 24-Stunden-Betreuer*innen IG24: „Es braucht dringend eine soziale Absicherung der Betreuer*innen“. Problematisch sei laut Anna Leder, dass die Betreuer*innen meist offiziell als selbstständig gelten, aber in Wahrheit keine Autonomie in der Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes, der Arbeitszeiten oder der Bezahlung haben – wie auch in dem Bericht von Amnesty International festgestellt wird. „Diese Scheinselbstständigkeit führt zu einer lose-lose-Situation für die Betreuer*innen“, so Annemarie Schlack. „Sie kommen nicht in den Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten, können aber in ihrer Selbstständigkeit auch nicht frei über ihre Arbeitsbedingungen entscheiden.“
Die Betreuer*innen stellen eine wichtige Säule des heimischen Pflegesystems dar. Es wird Zeit, dass wir sie entsprechend rechtlich absichern und die für Herbst angekündigten Maßnahmen nun tatsächlich auf den Boden gebracht werden.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Qualitätssicherung durch verpflichtende Zertifizierungen für Vermittlungsagenturen
Die unterzeichnenden Organisationen fordern abseits der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen auch eine verpflichtende Zertifizierung von Vermittlungsagenturen. Das derzeitige Modell basiert nämlich auf Freiwilligkeit, mit dem Ergebnis, dass nur fünf Prozent der Agenturen zertifiziert sind, wie Annemarie Schlack kritisiert. Dazu Christian Leitner von CuraFAIR, der Anlaufstelle für 24-Stunden-Betreuer*innen der Volkshilfe: „Es gehören unbedingt Mindeststandards erarbeitet und die Zertifizierungen ausgeweitet. Nur so können wir Qualität und Sicherheit für die Betreuer*innen, aber auch für die betreuten Personen und Angehörigen garantieren.“ So sieht es auch die IG24: „Maßnahmen, die Qualität und Transparenz im Arbeitsverhältnis zwischen Agenturen und Betreuer*innen sicherstellen, müssen ein integrierter Bestandteil des Zertifizierungsprogramms sein.”
Ausbeutung verhindern: Betreuer*innen sind nicht rund um die Uhr verfügbar
Last but not least regen die Organisationen zu größerer Achtsamkeit an: “Solange wir von 24-Stunden-Betreuung sprechen, solange werden manche Menschen denken, dass die Betreuer*innen rund um die Uhr arbeiten und verfügbar sein müssen”, so Anna Leder von IG24. „Worte schaffen Fakten”, betont auch Annemarie Schlack von Amnesty International. Ein Umdenken bei den zuständigen Ministerien und in der Öffentlichkeit und eine Anpassung der entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Pausenregelungen seien daher dringend erforderlich, so Anna Leder.
Zusammenfassend fordert Amnesty International gemeinsam mit der IG24 und CuraFAIR, dass die Situation der Betreuer*innen in Österreich nachhaltig und langfristig verbessert wird, in dem unter anderem
- die Menschenrechte auf angemessene Arbeitsbedingungen, einschließlich fairer Bezahlung und soziale Sicherheit der Betreuer*innen, unabhängig ihres arbeitsrechtlichen Status, geschützt werden.
- strukturelle Änderungen des rechtlichen Rahmenwerkes für die Betreuung zuhause umgesetzt werden.
- die angekündigten Maßnahmen im Rahmen der Pflegereform unter wirksamer Einbindung aller relevanten Akteur*innen, insbesondere der Interessens- und Selbstvertretungsorganisationen der Betreuer*innen, angegangen und umgesetzt werden.