"Viele Mitgliedsstaaten des Menschenrechtsrates haben das langjährige Schweigen der ehemaligen Hochkommissarin dazu genutzt, ihr eigenes Schweigen zu rechtfertigen“, sagt Agnès Callamard, die Generalsekretärin von Amnesty International, und sagt weiter:
„Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat bestätigt, dass die dokumentierten Gräueltaten möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen und die sofortige Aufmerksamkeit der Staatengemeinschaft erfordern. Der Rat muss eine Antwort geben, die dem Ausmaß und der Schwere der Verstöße angemessen ist.“
Amnesty International fordert die Mitglieder des Rates auf, konkrete Schritte zu unternehmen, um den Menschenrechtsverstößen der chinesischen Behörden Einhalt zu gebieten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Menschenrechtsrat muss in dieser Session eine Resolution vorlegen und einen unabhängigen internationalen Mechanismus mit der Untersuchung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang beauftragen. Damit sollen die Rechenschaftspflicht für Verbrechen sichergestellt und mutmaßliche Täter*innen identifiziert werden.
Die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats müssen außerdem unverzüglich und unmissverständlich von der chinesischen Regierung verlangen, dass sie alle willkürlich in Internierungslagern, Gefängnissen oder anderen Einrichtungen festgehaltenen Personen freilässt. Zudem sollen sich die Staaten verpflichten, niemanden nach China zurückzuschicken, der von Verfolgung oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen bedroht ist.
Chinas Versuche, Gräueltaten zu vertuschen
Die chinesischen Behörden haben versucht, die Untersuchungen des UN-Hochkommissariats zu blockieren, und die UNO-Mitgliedstaaten unter Druck gesetzt, die vorliegenden Beweise herunterzuspielen oder zu ignorieren. Infolgedessen durften UN-Ermittler*innen nicht nach Xinjiang reisen und der Umfang der Untersuchung der UN-Hochkommissarin war begrenzt.
Menschen, die in Xinjiang leben oder familiäre Bindungen zur Region haben, riskieren für sich und ihre Familienangehörigen Verhaftung, Inhaftierung, Folter und Verschwindenlassen, wenn sie mit UN-Vertreter*innen, anderen Ermittler*innen oder Medienschaffenden sprechen.
„Im Inneren wendet China weiterhin schwere Gewalt und Einschüchterung an, während es gleichzeitig auf der Weltbühne diplomatische Druckmittel einsetzt, um seine Gräueltaten in Xinjiang zu vertuschen. Die Ratsmitglieder müssen die Versuche Chinas, die Ergebnisse des Berichts zu delegitimieren, als das erkennen, was sie sind – nichts weniger als ein Versuch, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verbergen und Kritik abzuschrecken“, sagt Agnès Callamard und sagt weiter:
„Wenn die Ratsmitglieder jetzt nicht handeln, machen sie sich mitschuldig an der Vertuschung der Gräueltaten durch die chinesische Regierung. Dies wäre ein unverzeihlicher Verrat an den Millionen von Opfern, Überlebenden und ihren Familienangehörigen.“
Angst vor Repressalien bei Geflüchteten
Amnesty International hat zwischen Januar und Juni 2022 in Zentralasien und in der Türkei Personen befragt, die kürzlich aus Xinjiang geflohen sind. Zudem wurden Interviews mit Familienangehörigen von Inhaftierten geführt.
Die meisten der kürzlich Geflüchteten waren zu verängstigt, um offen über ihre Erfahrungen zu sprechen, da sie Vergeltungsmaßnahmen gegen Familienmitglieder befürchteten, die sich noch in Xinjiang aufhielten. Nur wenige erklärten sich bereit, unter Bedingung der Anonymität mit Amnesty International zu sprechen.
Sie beschrieben die anhaltende Unterdrückung und Verfolgung überwiegend muslimischer Gruppen in Xinjiang. Ihre Berichte bezeugen schwerwiegende Verletzungen der Rechte auf Freiheit und Sicherheit der Person, auf Privatsphäre, auf Freizügigkeit, auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit, auf Teilnahme am kulturellen Leben, auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung sowie auf Freiheit von Zwangsarbeit.
Im Rahmen der Kampagne Free Xinjiang Detainees hat Amnesty International 126 Fälle von Inhaftierten dokumentiert. Sie gehören zu den mutmaßlich Hundertausenden von Menschen, die willkürlich in Internierungslagern und Gefängnissen in Xinjiang inhaftiert sind.