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Während die russische Invasion der Ukraine in ihr zweites Jahr geht, sehen sich die Frauen im Kriegsgebiet schwerwiegenden Risiken, einer erhöhten Belastung durch Betreuungsaufgaben sowie immensem Stress und Härten ausgesetzt, erklärt Amnesty International anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März.
Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, sagt: „Immer wieder sind es Frauen, die unter der Brutalität des Krieges zu leiden haben. Häufig sind es sie, die an der vordersten Front des Konflikts stehen – sei es als Soldatinnen und Kämpferinnen, Ärztinnen und Krankenschwestern, Freiwillige, Friedensaktivistinnen, Betreuerinnen für ihre Gemeinden und Familien, Binnenvertriebene, Geflüchtete und allzu oft als Todesopfer und Überlebende.“
„Bei der russischen Invasion in der Ukraine ist es nicht anders. Frauen werden mit zunehmender sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt und gesundheitlichen Gefahren konfrontiert. Gleichzeitig sind sie gezwungen, für ihre Familien Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen. Dabei sind gerade Frauen häufig von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und ihre Rechte und Bedürfnisse bleiben ungeschützt und unerfüllt.“
Amnesty International fordert die internationale Gemeinschaft daher auf, Frauen zu unterstützen und sich mit ihnen zu solidarisieren, die inmitten des russischen Angriffskrieges in der Ukraine unter Menschenrechtsverletzungen leiden. Die Gewährleistung der Sicherheit der Zivilbevölkerung, insbesondere derjenigen, die in den Kriegsgebieten gefangen sind, sowie der Zugang zu finanzieller Hilfe und Dienstleistungen, einschließlich der Gesundheitsversorgung, ist in Kriegszeiten von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig müssen die Täter, die Verbrechen nach dem Völkerrecht begehen, zur Rechenschaft gezogen werden.
Amnesty International hat Kriegsverbrechen und mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentiert, die in der Ukraine begangen wurden, und hat erschütternde Berichte von Frauen in der Ukraine gesammelt, die die Auswirkungen der Invasion auf ihre Sicherheit, ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen detailliert beschreiben.
Obwohl viele Frauen in der Ukraine Widerstand gegen die russische Aggression leisten, liegt die Verantwortung für die Betreuung von Kindern und Familienangehörigen unverhältnismäßig oft bei den Frauen. Die Bewältigung dieser Betreuungsaufgaben ist unter den prekären Bedingungen des Konflikts besonders schwierig.
Tamara* lebt im Kriegsgebiet in der Oblast Donezk und berichtet Amnesty International, wie sich die russische Invasion auf sie als Mutter und Betreuerin ihrer Eltern ausgewirkt hat: „Alles hat sich zum Schlechten gewendet. Die Männer [der Familie] sind im Krieg, die Frauen bleiben allein zurück, viele mit kleinen Kindern und ohne jegliches Einkommen. Hilfe gibt es keine – weder materielle, noch finanzielle.“ Tamara war gezwungen, zwischen dem Verlassen ihrer Eltern und der Sicherheit ihrer Kinder zu wählen und stand damit vor einer unmöglichen Entscheidung.
Ich bin mit meinen Kindern ins Gefahrengebiet zurückgekehrt. Vielleicht war das ein Fehler, aber ich muss mich sowohl um meine Kinder als auch meine alten Eltern, die zuhause zurückgeblieben sind, kümmern — das ist meine Pflicht. Niemand außer mir kümmert sich um sie. Ich habe keine andere Wahl.
Tamara*
Für viele Frauen birgt die Reise in die Sicherheit eine erhebliche emotionale und körperliche Belastung. Maryna*, eine Binnenvertriebene, die mit ihren Kindern wegen der russischen Besetzung aus der Oblast Donezk geflohen ist, erklärt gegenüber Amnesty International:
„Es ist sehr schwer. Ich bin allein mit drei Kindern. Niemand hat daran geglaubt, dass der Krieg kommt. Als er kam, war es ein Schock, und es war furchterregend. Wir haben überall um uns herum die schweren Gefechte gehört. Die russischen Militärflugzeuge sind so niedrig geflogen, dass wir die Augen der Pilot*innen darin sehen konnten – das hatte große Auswirkungen auf die Kinder.“
„Von diesem Tag an haben wir fast einen Monat lang in einem Keller gewohnt, weil die Kinder zu große Angst hatten. Meine Tochter konnte nicht mehr im Haus schlafen. Meine Kinder leiden unter den schweren psychischen und emotionalen Belastungen. Wegen des Beschusses und der Luftangriffsalarme kann man sich nirgendwo mehr sicher fühlen,“ so Maryna*.
Russlands anhaltende Attacken auf die kritische zivile Infrastruktur, die Kriegsverbrechen gleichkommen, haben für die Bewohner*innen der Ukraine den Zugang zu Gesundheitsversorgung massiv untergraben.
Kateryna*, eine Binnenvertriebene, die zu Beginn der Invasion in der neunten Woche schwanger war und in der Oblast Donezk lebte, berichtete Amnesty International: „Ich wusste nicht, was mit uns geschehen würde. Es gab Gerüchte über Evakuierungen und darüber, dass Ärzt*innen die Region verlassen würden. Ich konnte die Ultraschalluntersuchung und all die anderen Untersuchungen nicht machen. Es war einfach nicht möglich. Das hat die Angst und die emotionale Anspannung noch verschärft.“
Nachdem sie nach Dnipro geflohen war, sah sich Kateryna anhaltenden Schwierigkeiten gegenüber, da sie ein Neugeborenes zu versorgen hatte und gleichzeitig im Kriegsgebiet arbeitete. „[Die] Frontlinie rückt immer näher an unsere Stadt heran. Die Ungewissheit ist das Beklemmendste. Wo wirst du morgen sein? Kannst du morgen noch nach Hause gehen? Ich bräuchte psychologische Hilfe, aber wegen meinem kleinen Kind habe ich nicht genug Zeit, um mit einer Psychologin zu sprechen, nicht einmal am Telefon. Aber ich spüre, dass ich das bräuchte.“
Menstruierende Personen sind aufgrund begrenzter Vorräte und gestiegener Preise für Produkte der Monatshygiene gezwungen, sich zwischen Lebensmitteln und Hygieneartikeln zu entscheiden.
„Es gibt Binden und Tampons zu kaufen, aber aufgrund der finanziellen Probleme muss ich mich entscheiden, ob ich Geld für Essen oder Binden ausgebe. Seit dem Beginn des Großangriffs benutze ich improvisierte Hilfsmittel“, sagte Tamara.
Yulia*, deren Zuhause durch russische Luftangriffe zerstört wurde, berichtete Amnesty International, dass sie in einem Hilfszentrum für Binnenvertriebene für sich und ihre Tochter Artikel für die Monatshygiene bekam.
In den vom Konflikt betroffenen Regionen verschlimmert und häuft sich für die dort Lebenden die geschlechtsspezifische Gewalt aus vielen Gründen. Dazu zählen der Mangel an Sicherheit, das Fehlen oder die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und die weit verbreitete Straflosigkeit für die Täter. Eine Rolle spielt auch das fehlende Vertrauen gegenüber den Besatzungsbehörden sowie das Stigma, das damit einhergeht, wenn man Erfahrungen mit sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt offenlegt.
Maryna*, die Mitarbeiterin einer humanitären Organisation, berichtete Amnesty International: „Sexueller Missbrauch ist ein gigantisches Problem für Frauen. Ich habe an einer Schulung teilgenommen, und man hat uns gesagt, dass es Fälle gibt, in denen [auch] Kinder nach der Evakuierung Anzeichen für sexuellen Missbrauch aufwiesen.“
Bei ihrer Arbeit in einer Sammelstelle für Binnenvertriebene wurde Maryna Zeugin von eskalierender häuslicher Gewalt. „60 Personen waren in einer Turnhalle untergebracht. Ich war schon vorher beruflich mit dem Thema beschäftigt, doch selbst ohne meine Erfahrung erkennt man [die Anzeichen für Gewaltanwendung] mit bloßem Auge. Ich habe dort viel davon gesehen.“
60 Personen waren in einer Turnhalle untergebracht. Ich war schon vorher beruflich mit dem Thema beschäftigt, doch selbst ohne meine Erfahrung erkennt man [die Anzeichen für Gewaltanwendung] mit bloßem Auge. Ich habe dort viel davon gesehen.
Maryna*, Mitarbeiterin einer humanitären Organisation
Kateryna sagte Amnesty International: „Ich fühle mich jetzt verletzlicher. Es gibt mehr Konflikte zuhause. Mein Mann hat seine Aggressionen an mir und meinem älteren Kind ausgelassen. Ich kann die Kinder wegen dieser Unsicherheit nicht tagsüber mit meinem Mann allein lassen. Er hat seine Arbeit verloren, und jetzt hat er seine Gefühle und seine Nerven nicht mehr im Griff.“
Für Tamara als Mutter sind diese Berichte über sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt sehr beunruhigend. „Ich höre ständig von Gewalt, und das macht mir Angst. Ich habe Töchter, es ist wirklich beklemmend. Meine älteren Kinder habe ich zum Lernen in ein sicheres Gebiet geschickt, aber ich mache mir trotzdem noch Sorgen um sie.“
Frauen müssen in der Lage sein, aktiv an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen teilzuhaben, um zu gewährleisten, dass ihre speziellen Bedürfnisse und Sichtweisen in Gesetzen, Politik und Praxis berücksichtigt und erfüllt werden.
Während dieser groß angelegte Angriff nun in sein zweites Jahr geht, wachsen Kinder in den für sie prägenden Jahren im Umfeld eines brutalen Angriffs auf. Frauen sind gezwungen, schwierige und gefährliche Reisen auf sich zu nehmen und gleichzeitig eine erhöhte Last an Care-Arbeit zu tragen.
Amnesty International ruft zu einer konzertierten Aktion vonseiten der internationalen Gemeinschaft auf, um die sinnvolle Teilhabe von Frauen an Entscheidungsprozessen zu gewährleisten, angefangen von internationalen Beratungen über Finanzhilfen, Entschädigungszahlungen und Wiederaufbaumaßnahmen bis hin zur Bereitstellung von humanitärer Hilfe und Gerichtsverfahren für Opfer und Überlebende des russischen Angriffskriegs. Nur durch die Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen können wir gewährleisten, dass die Bedürfnisse von Frauen erfüllt, gewahrt und priorisiert und die Rechte von Frauen respektiert, geschützt und umgesetzt werden.
*Namen zum Schutz der Identität geändert