Die internationalen Menschenrechtsnormen schützen das Recht auf Protest durch eine Reihe separater Bestimmungen, die in verschiedenen internationalen und regionalen Verträgen verankert sind und zusammengenommen einen umfassenden Schutz für Proteste bieten. Auch wenn das Recht auf Protest nicht als eigenständiges Recht in den Menschenrechtsverträgen verankert ist, üben Menschen, die sich individuell oder kollektiv an Protesten beteiligen, eine Vielzahl von Rechten aus, wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung oder auf friedliche Versammlung. Diese Rechte kommen mit der Unterdrückung von Protesten und zivilgesellschaftlichem Engagement immer weiter unter Druck.
Restriktive Gesetze, pauschale Verbote und Notstandsgesetze
Zahlreiche Regierungen reagieren mit verschärften Gesetzen auf die Protestbewegungen – Gesetze, die das Protestrecht in unzulässiger Weise einschränken. In Griechenland und Zypern gab es beispielsweise während der Corona-Pandemie ein Pauschalverbot von Demonstrationen. In Großbritannien verlieh ein neues Gesetz Polizeikräften weitreichende Befugnisse, unter anderem auch die Erlaubnis, „laute Proteste“ zu beenden. Im Senegal sind seit 2011 politische Demonstrationen im Stadtzentrum von Dakar verboten, was Proteste in der Nähe von Regierungsgebäuden unterbindet.
Verschiedene Regierungen nutzen immer öfter Notstandsgesetze als Vorwand, um gegen Andersdenkende vorzugehen. Dies war beispielsweise in Thailand auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie zu beobachten. In der Demokratischen Republik Kongo dagegen rief die Regierung im Mai 2021 einen „Belagerungszustand“ aus, der dem Militär und der Polizei weitreichende Befugnisse verschaffte, um Proteste in den Provinzen Ituri und Nord-Kivu niederzuschlagen.
Dämonisierung von Protestierenden
Regierungen in aller Welt rechtfertigen die von ihnen verfügten Einschränkungen mit dem Argument, dass Proteste eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellen. Sie stigmatisieren Protestierende und rücken sie in ein schlechtes Licht, indem sie sie als „Unruhestifter“, „Randalierer“ oder sogar „Terroristen“ bezeichnen. So verteidigen die Behörden ihre Null-Toleranz-Ansätze wie die Einführung und den Missbrauch von vagen und drakonischen Sicherheitsgesetzen, den Einsatz brutaler Polizeigewalt und präventiver Abschreckungsmaßnahmen.
Diese Vorgehensweise konnte man in Hongkong beobachten, wo das Gesetz über die Nationale Sicherheit und seine weit gefasste Definition von „nationaler Sicherheit“ willkürlich eingesetzt wurden, um Proteste einzuschränken.
Auch in Indien wird ein Antiterrorgesetz (Unlawful Prevention Activities Act, UAPA) und der Straftatbestand der „Aufwiegelung“ gegen friedlich Protestierende, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen eingesetzt.
Militarisierung der Polizei nimmt zu
Regierungen setzen schon seit langem auf aggressive Taktiken bei der Kontrolle von Protesten. Doch die Gewalt durch Sicherheitskräfte nimmt in den letzten Jahren weiter zu.
Sogenannte „weniger tödliche Waffen“ wie Schlagstöcke, Pfefferspray, Tränengas, Blendgranaten, Wasserwerfer und Gummigeschosse werden von Sicherheitskräften regelmäßig missbräuchlich eingesetzt. Seit Anfang der 2000er-Jahre dokumentiert Amnesty International einen Trend zur Militarisierung der staatlichen Reaktion auf Proteste, einschließlich des Einsatzes von Streitkräften und militärischer Ausrüstung. In Ländern wie Chile und Frankreich werden bei Protesten nicht nur Sicherheitskräfte in voller Kampfmontur eingesetzt, sondern darüber hinaus sind diese oft noch mit gepanzerten Fahrzeugen, Militärflugzeugen, Überwachungsdrohnen, Gewehren und Sturmwaffen, Blendgranaten sowie Schallkanonen ausgerüstet.
In Myanmar kam es 2021 nach dem Putsch zu Massenprotesten. Das Militär ging seit seiner Machtergreifung mit tödlicher Gewalt gegen die friedlich Protestierenden vor, wobei laut Beobachter*innen mehr als 2.000 Menschen getötet und mehr als 13.000 festgenommen wurden.
Ungleichbehandlung und Diskriminierung
Menschen, die aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Religion, Alter, Behinderung, Beruf oder aufgrund ihres sozialen, wirtschaftlichen oder Migrationsstatus diskriminiert werden, sind auch stärker in ihrem Recht auf Protest eingeschränkt und härteren Repressionen ausgesetzt.
Frauen, LGBTI+ und nicht geschlechtskonforme Menschen erleben beispielsweise unterschiedliche Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt und Ausgrenzung. Außerdem sind sie mit sozialen Normen und diskriminierenden Gesetzen konfrontiert. Im Sudan, in Kolumbien und Belarus erlebten Frauen beispielsweise sexualisierte Übergriffe, weil sie an Protesten teilnahmen und in der Türkei sind Pride-Paraden seit Jahren verboten.
„Das wertvolle Protestrecht wird in einer beängstigenden Geschwindigkeit eingeschränkt und wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um diese Entwicklung zu stoppen“, sagte Agnès Callamard. „Unzählige Demonstrierende wurden in den vergangenen Jahren getötet. Auch in ihrem Namen müssen wir jetzt unsere eigene Stimme erheben. Verteidigen wir unser Recht, den Machthabenden unsere Meinung zu sagen, ob durch Proteste auf der Straße oder online.“