Gesetzesentwurf zur Whistleblower*innen-Richtlinie: Für umfassenden Schutz sind Verbesserungen nötig
23. Juni 2022Zusammenfassung
- Österreichischer Gesetzesentwurf geht kaum über die Mindeststandards der EU hinaus
- Schutz muss breiter ausgelegt und auf nationales Recht ausgeweitet werden
- Verwaltungsstrafen für falsche Hinweise könnten abschreckenden Effekt auf potentielle Hinweisgeber*innen haben
Am 3.6.2022, mehr als fünf Monate nach Ende der von der EU-Kommission vorgegebenen Deadline zur Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie, hat Arbeitsminister Kocher den österreichischen Gesetzentwurf vorgestellt. Amnesty International begrüßt grundsätzlich, dass die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie nun umgesetzt wird. Damit Whistleblower*innen in Österreich künftig ausreichend und menschenrechtskonform geschützt werden, braucht es aber dringend weitere Verbesserungen.
Einige Forderungen von Amnesty International sind bereits in der EU-Richtlinie als Mindeststandards vorgegeben: So die Wahrung der Vertraulichkeit und Anonymität von Hinweisgeber*innen und die Möglichkeit, sich auch an externe Meldestellen zu wenden. Durch das neue Gesetz werden Hinweise über korruptes Verhalten im öffentlichen und privaten Bereich in Zukunft endlich unter Schutz gestellt.
Während die von der EU vorgegebenen Mindeststandards im Gesetzesentwurf eingehalten wurden, und wir auch endlich einen besseren Schutz bei Hinweisen über Verstöße gegen einige österreichische Gesetze in den Bereichen des Korruptionsstrafrechts, des Umweltschutzes oder des öffentlichen Auftragswesens erwarten können, sind für einen umfassenden und menschenrechtskonformen Whistleblower*innenschutz die folgenden Verbesserungen dringend notwendig:
- Der Gesetzesentwurf sieht keine generelle Ausweitung des Schutzes auf nationales Recht vor. Die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie schützt Hinweise über Verstöße gegen EU-Rechtsnormen, aber nicht generelle Hinweise über Verstöße gegen österreichische Gesetze. Dies kann für viele Hinweisgeber*innen eine Hürde darstellen, da es die Einschätzung, ob ein Hinweis nun durch das neue Gesetz geschützt wird oder nicht, enorm erschwert.
- Hinweise über Menschenrechtsverletzungen, Straftatbestände außerhalb des Korruptionsstrafrechts, die öffentliche Sicherheit oder Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht werden nicht geschützt. Für einen umfassenden und menschenrechtskonformen Schutz wäre das aber unbedingt notwendig!
- Der Entwurf sieht vor, dass Hinweisgeber*innen bei Abgabe eines Hinweises davon ausgehen müssen, dass dieser wahr ist, und, dass er einen Rechtsbereich betrifft, der durch das neue Gesetz geregelt wird. Sonst gibt es keinen Schutz. Bei einer wissentlichen Falschmeldung drohen sogar hohe Verwaltungsstrafen bis zu 20.000, im Wiederholungsfall sogar 40.000 Euro. Die Beweislast liegt hier bei dem*der Whistleblower*in. Die Höhe dieser Strafen ist unverhältnismäßig und kann eine abschreckende Wirkung entfalten, bei Unsicherheit überhaupt einen Hinweis abzugeben.
Warum Whistleblower*innen für den Schutz unserer Menschenrechte so wichtig sind
Whistleblowing ist oftmals die einzige Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu bringen, die der Öffentlichkeit sonst verborgen bleiben würden. Prominente Beispiele dafür sind etwa Edward Snowden, der die Massenüberwachung von Millionen Menschen enthüllte oder Chelsea Manning, die Informationen zu Folter und Tötungen durch die US-Armee weitergab. In vielen Fällen werden jedoch nicht diejenigen verfolgt, die Menschenrechte verletzt haben, sondern jene, die diese menschenrechtswidrigen Handlungen enthüllten. Deshalb ist der Schutz von Whistleblower*innen für unser aller Menschenrechte von großer Bedeutung.
Für einen umfassenden Schutz von Whistleblower*innen braucht es mehr als nur Mindeststandards. Eine generelle Ausweitung des Schutzes auf nationales Recht wäre notwendig. Außerdem darf der Schutz nicht davon abhängig sein, aus welchen Motiven heraus jemand relevante Informationen liefert.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich