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Am 27. Februar 2020 kündigte die Türkei an, Menschen auf der Flucht nicht mehr länger daran zu hindern, über die türkisch-griechische Grenze nach Europa einzureisen – eine Grenze, die seit 2016 geschlossen war.
Die Türkei hat bereits 3,6 Millionen syrische Geflüchtete aufgenommen, mehr als jedes andere Land. Seit Dezember 2019 sind in der syrischen Provinz Idlib weitere Hunderttausende Menschen in Richtung der geschlossenen türkischen Grenze geflohen, da die syrische Regierung Luftangriffe gegen Zivilist*innen in Idlib fliegt.
Länder in Europa und anderswo sind bisher ihrer Verantwortung zur Aufnahme von Frauen, Männern und Kindern, die aus Syrien fliehen mussten, nicht nachgekommen. Die Türkei gibt an, der großen Zahl der aufgenommenen Geflüchteten nicht mehr gewachsen zu sein.
Unweigerlich führte die Ankündigung der türkischen Regierung dazu, dass viele der Menschen, die seit mindestens 2016 in der Türkei festsitzen, zu den neu geöffneten Grenzübergängen eilten – die jedoch nur auf türkischer Seite offen waren. Auf griechischer Seite wurden sie von schwer bewaffneten Grenzposten mit Tränengas, Gummigeschossen und Stacheldraht empfangen.
Griechenland hat mit zahlreichen unmenschlichen Maßnahmen reagiert, die gegen EU-Recht und das Völkerrecht verstoßen. Die Sicherheitskräfte schießen mit Tränengas und versuchen, Boote von der Landung auf griechischem Boden abzuhalten.
Die Regierung hat außerdem die Registrierung von Asylanträgen ausgesetzt und angekündigt, Menschen, die ohne offizielle Erlaubnis nach Griechenland einreisen, ohne Einzelfallprüfung abzuschieben. Damit verstößt das Land gegen seine Verpflichtungen unter der Genfer Flüchtlingskonvention.
Im März 2016 einigten sich die EU und die Türkei darauf, dass Asylsuchende, die auf den griechischen Inseln eintreffen, in die Türkei zurückgebracht werden. Die Türkei verpflichtete sich zudem, Geflüchtete an der Weiterreise nach Europa zu hindern. Im Gegenzug erhielt die türkische Regierung Milliardensummen von der EU.
Dieses Abkommen beruht jedoch auf der falschen Prämisse, dass die Türkei ein sicheres Land für Asylsuchende ist. Dennoch haben die griechischen Asylbehörden in einigen Fällen entschieden, dass die Türkei ein sicherer Drittstaat ist und syrischen Geflüchteten wirksamen Schutz bietet. In der Folge wurden viele Menschen auf der Flucht in die Türkei zurückgeführt.
Tausende Frauen, Männer und Kinder sitzen nach wie vor auf den griechischen Inseln fest, da noch nicht über ihren Asylantrag entschieden worden ist. Viele von ihnen leben unter unsicheren Bedingungen und auch bei kalter Witterung in Zelten.
Die EU-Spitze hat offen ihre Unterstützung für den menschenfeindlichen Ansatz der griechischen Regierung geäußert. Die Präsidentin der Europäischen Kommission beschrieb Griechenland als den „europäischen Schutzschild“ und sicherte finanzielle und materielle Unterstützung sowie den Einsatz europäischer Grenzposten zu.
Hierbei handelt es sich um eine verdrehte Darstellung der Tatsachen. Europa muss nicht vor Menschen geschützt werden, die selbst Schutz suchen. Menschen auf der Flucht und Migrant*innen an der Grenze benötigen Hilfe. Hilfe, auf die sie gemäß EU-Recht und Völkerrecht einen Anspruch haben.
Menschen auf der Flucht haben es in der Türkei extrem schwer. Zunächst einmal hält sich die Türkei nicht in vollem Umfang an das internationale Flüchtlingsrecht. So haben in der Türkei beispielsweise nur Staatsangehörige europäischer Staaten Anspruch auf den Flüchtlingsstatus. Alle anderen erhalten nur eingeschränkten oder bedingten Schutz und können keinen sicheren Rechtsstatus erwerben.
Und es gibt noch viele weitere Probleme. Nur 1,5% aller syrischen Geflüchteten im arbeitsfähigen Alter verfügen über eine Arbeitserlaubnis. Dies bedeutet, dass die Mehrheit der Geflüchteten entweder arbeitslos ist oder unter der Hand arbeitet und somit oft ausgebeutet wird. Viele syrische Staatsangehörige haben nicht die Möglichkeit, sich für grundlegende Sozialleistungen zu registrieren und diese in Anspruch zu nehmen. Viele Provinzen haben die Registrierung vollständig eingestellt, darunter auch Istanbul.
Amnesty hat zudem dokumentiert, wie die türkischen Behörden Menschen zur Rückkehr nach Syrien gezwungen haben – mit Schlägen oder durch Erzwingung einer Unterschrift unter Dokumenten, die die Rückkehr als „freiwillig“ auswiesen.
Angesichts der drohenden Gefahr, in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt zu werden, versuchen Geflüchtete natürlich, aus der Türkei in ein sichereres Land weiterzureisen.
Nein. Es handelt sich um Menschen aus unterschiedlichen Ländern, die sich in der Türkei aufhalten bzw. durch die Türkei gereist sind.
Die meisten in der Türkei lebenden Geflüchteten kommen aus Syrien, viele stammen jedoch auch aus Ländern wie Afghanistan, Irak oder Iran. Es gibt viele Gründe dafür, dass sie die Türkei verlassen und nach Europa weiterreisen möchten. Sie haben vielleicht Familie in anderen Ländern oder wollen sich irgendwo niederlassen, wo sie sicher und legal arbeiten können.
Die Reaktion auf die Krise in Syrien bedeutet, dass für Menschen auf der Flucht in der Türkei weniger Mittel zur Verfügung stehen. So dürfen Geflüchtete, die nicht aus Syrien kommen, sich nicht in den größten Städten der Türkei wie Istanbul, Ankara und Izmir niederlassen. Die Organisation Refugees International äußerte sich 2019 sehr besorgt darüber, wie schwierig es für afghanische Geflüchtete in der Türkei ist, die nötigen Papiere für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu grundlegenden Leistungen wie Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Bildung zu erhalten.
Diese Menschen haben ihr gesamtes Leben hinter sich gelassen – Haus, Familie, Freunde und Bekannte –, um in einem anderen Land neu anzufangen. Die Reise dorthin war lebensgefährlich und die Ankunft nicht garantiert. Niemand trifft eine solche Entscheidung leichtfertig, und sie ist mit sehr viel Mut und Entschlossenheit verbunden.
Egal, was der Grund dafür ist, dass Menschen ihre Heimat verlassen – alle verdienen es, mitfühlend und würdevoll behandelt zu werden. Auch wenn Asylsuchende nicht aus einem Kriegsgebiet kommen, haben sie möglicherweise Verfolgung erfahren, zum Beispiel aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Ansichten oder Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe.
Die Medien und rechtsgerichtete Politiker*innen greifen gerne auf das toxische Narrativ des gewünschten „einfachen Lebens“ in Europa zurück. In Wirklichkeit haben Regierungen in ganz Europa sehr strenge Maßnahmen zur Abschreckung von Migrant*innen und Geflüchteten ergriffen, was in vielen Fällen ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen zuwiderläuft.
Um Menschen daran zu hindern, aus Nordafrika und der Türkei nach Europa zu gelangen, wurden Rettungsschiffe beschlagnahmt und ehrenamtliche humanitäre Helfer*innen festgenommen. Grenzen wurden geschlossen, was dazu führte, dass viele Geflüchtete unter entsetzlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln festsitzen oder in libyschen Hafteinrichtungen Folter ausgesetzt sind.
Europa wird seiner Verantwortung gegenüber den Geflüchteten nicht auf angemessene Weise gerecht. Stattdessen hat man eine Festung gebaut, um Menschen abzuwehren, die lediglich Sicherheit oder ein besseres Leben anstreben. Doch Mauern werden Menschen nicht daran hindern, ihre Heimat zu verlassen. Sie führen nur zu mehr Elend und Menschenrechtsverletzungen.
Amnesty fordert die europäischen Regierungen auf, das Völkerrecht zu respektieren und dafür zu sorgen, dass alle Asylsuchenden Zugang zu fairen und wirksamen Asylverfahren haben. Zudem müssen rechtswidrige Grenzkontrollpraktiken eingestellt werden, wie zum Beispiel Push-Backs, Sammelabschiebungen und rechtswidrige Rückführungen.
Die europäischen Länder sollten umgehend ihren Beitrag dazu leisten, dass Asylsuchende aus Griechenland aus- und nach Europa weiterreisen können, z. B. indem sie Familienvisa und humanitäre Visa ausstellen.
Titelbild: Eine Frau trägt ihr Kind im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos, Griechenland. Die Lebensbedingungen im überfüllten Lager von Moria sind extrem schwierig.