Amnesty-Bericht über Amazon-Lagerhäuser in Saudi-Arabien: Arbeitsmigrant*innen betrogen und ausgebeutet
11. Oktober 2023Leiharbeiter*innen, die in Amazon-Lagerhäusern in Saudi-Arabien beschäftigt waren, wurden von Personalvermittler*innen getäuscht, um ihren Verdienst betrogen und unter entsetzlichen Bedingungen untergebracht. Sie wurden außerdem daran gehindert, eine andere Beschäftigung zu finden oder das Land zu verlassen. Das zeigt Amnesty International im neuen Bericht mit dem Titel "Don't worry, it's a branch of Amazon" auf. Angesichts der Täuschung bei der Anwerbung und der Ausbeutung vor Ort steht auch der Vorwurf von Menschenhandel im Raum.
Amazon hat nichts unternommen, um die Leiharbeiter*innen in Saudi-Arabien vor den wiederholten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, obwohl sie über einen langen Zeitraum hinweg direkte Beschwerden von Arbeiter*innen über deren Behandlung erhalten haben. Amnesty International fordert Amazon auf, die Betroffenen zu entschädigen, und sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passieren kann.
"Die Arbeiter*innen dachten, sie würden eine goldene Chance bei Amazon ergreifen, aber stattdessen wurden sie misshandelt und traumatisiert“, so Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International. Dabei geht es vermutlich um hunderte Fälle.
"Auch die Regierung Saudi-Arabiens trägt eine große Verantwortung. Sie muss diese Missbräuche dringend untersuchen und das Arbeitssystem im Land reformieren, um den Arbeitnehmer*innen ihre Grundrechte zu garantieren, einschließlich der Möglichkeit, den Arbeitsplatz frei zu wechseln und das Land ohne Bedingungen zu verlassen."
Der Bericht basiert auf Informationen, die von 22 Männern aus Nepal gesammelt wurden, die zwischen 2021 und 2023 in den Amazon-Lagern in Riad oder Dschidda arbeiteten und von zwei Drittanbietern beschäftigt wurden – Abdullah Fahad Al-Mutairi Support Services Co. (Al-Mutairi) oder Basmah Al-Musanada Co. for Technical Support Services (Basmah). Die Namen der befragten Personen wurden zum Schutz ihrer Identität geändert. Amnesty International hat Amazon, Al-Mutairi und Basmah sowie der saudi-arabischen Regierung Einzelheiten der Untersuchung mitgeteilt. Hier können die Antworten von Amazon eingesehen werden. Die anderen Unternehmen haben nicht geantwortet.
Die Arbeiter*innen dachten, sie würden eine goldene Chance bei Amazon ergreifen, aber stattdessen wurden sie misshandelt und traumatisiert.
Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International.
Täuschung, Anwerbegebühren, Elend und Ausbeutung
Um sich einen Arbeitsplatz bei Amazon in Saudi-Arabien zu sichern, zahlten die Befragten, mit einer Ausnahme, durchschnittlich 1.500 US-Dollar an Personalvermittlungen in Nepal. Einige nahmen hochverzinste Kredite auf, um die Gebühren zu bezahlen. Während des Anwerbungsprozesses täuschten die Agenturen, manchmal in Absprache mit den saudi-arabischen Arbeitsvermittler*innen, viele der Arbeiter*innen und ließen sie in dem Glauben, sie würden direkt von Amazon angestellt.
Einer der Befragten, Bibek, sagte: "Ich habe erst am Tag des Fluges gemerkt, dass es sich um ein anderes Unternehmen handelt. Ich sah, dass auf meinem Pass 'Al Basmah Co.' stand, aber der Agent sagte: 'Keine Sorge, das ist eine Filiale von Amazon'."
In Saudi-Arabien waren die Arbeiter*innen meist monatelang in schmutzigen und überfüllten Unterkünften untergebracht. Ein Teil ihrer Löhne und/oder Essenszuschüsse wurden von den Arbeitsvermittler*innen oft ohne Erklärung einbehalten, Überstunden zu gering bezahlt. In den Lagerhallen mussten die Beschäftigten nach eigenen Angaben wiederholt sehr schwere Gegenstände heben, sie mussten strenge Leistungsvorgaben erfüllen, wurden ständig überwacht und durften sich nicht ausreichend ausruhen. In einigen Fällen führte dies zu Verletzungen und Krankheiten.
Die meisten Arbeitskräfte unterzeichneten Zweijahresverträge mit den Arbeitsvermittlungsunternehmen, aber viele verbrachten weniger als 12 Monate in den Einrichtungen von Amazon, bevor das Arbeitsverhältnis endete, was einige mit einer "Entlassung" verglichen. Die Arbeitsvermittlungsunternehmen brachten diese "Arbeitslosen" dann in noch schlechteren Unterkünften unter und stellten die Lohn- und in einigen Fällen auch die Essensgeldzahlungen ein. Ohne jegliche soziale Absicherung oder Unterstützung durch den saudischen Staat überlebten einige von ihnen mit Brot, Salz und salzigem Wasser.
Gefangen in Saudi-Arabien
Die meisten Befragten erhielten keine Arbeit mehr, aber die Auftragnehmer*innen nutzten das saudi-arabische Sponsorensystem (Kafala), das trotz einiger Reformen in jüngster Zeit ausländische Arbeitnehmer*innen an ihre Arbeitgeber*innen bindet und sie daran hindert, den Arbeitsplatz ohne Zustimmung der*s Arbeitgebers*in zu wechseln, und ihre Möglichkeiten einschränkt, das Land frei zu verlassen.
Viele der Arbeitsmigrant*innen wollten vor Ablauf ihres Vertrags nach Hause zurückkehren, aber die Verantwortlichen von Al-Mutairi wollten die Flugtickets trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht kaufen und verhängten für die Erstellung der Ausreisepapiere eine "Strafe" zwischen 1.330 und 1.600 US-Dollar. Infolgedessen saßen die Arbeiter*innen unter entsetzlichen Bedingungen fest.
Amazons Versäumnisse
Die Gefährdung von Arbeitsmigrant*innen in Saudi-Arabien war bereits gut dokumentiert, bevor Amazon 2020 dort tätig wurde, und wurde auch in einer 2021 durchgeführten Amazon-Risikobewertung festgehalten. Mit anderen Worten: Das Unternehmen wusste über das hohe Risiko von Arbeitsmissbrauch in dem Land Bescheid. Auch wurden von Beginn weg Beschwerden über die Missstände von den Arbeitnehmer*innen an das Unternehmen herangetragen, die allerdings oft ignoriert wurden.
Ein Arbeiter, Kiran, sagte: "Amazon kennt jedes einzelne Problem, das wir mit der Lieferfirma haben." Einige Arbeiter*innen, die sich bei Amazon beschwerten, waren Repressalien seitens der Zulieferer ausgesetzt. Einer sagte, dass Gehälter abgezogen wurden, nachdem er sich bei Amazon über seine Lebensbedingungen beschwert hatte. Ein anderer, der sich bei Amazon über die Wasserqualität in den Unterkünften beschwerte, sagte, er sei in ein Büro der Zuliefererfirma gebracht und von einem Al-Mutairi-Aufseher geohrfeigt worden. Als er anschließend einen Amazon-Manager über den Übergriff informierte, wurde ihm gesagt: "Das ist nicht unsere Angelegenheit".
Damit ist klar, dass Amazon zu Missbräuchen beigetragen hat, indem es sich nicht an seine eigenen Richtlinien oder die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gehalten und möglicherweise von dem Menschenhandel profitiert hat.
Es ist an der Zeit, dass Amazon endlich die Dinge für die Arbeiter*innen, die so gelitten haben, in Ordnung bringt, und dass Saudi-Arabien sein ausbeuterisches Arbeitssystem grundlegend reformiert.
Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International
Reformen und Abhilfemaßnahmen durch Amazon dringend notwendig
Neben der Entschädigung der Arbeitnehmer muss Amazon dringend die Arbeitspraktiken in seinen Einrichtungen und Lieferketten untersuchen, die Sorgfaltspflicht stärken und sicherstellen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Meinung äußern und gehört werden können, ohne Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen.
Um die Rechte der Arbeitnehmer*innen besser zu schützen, muss Amazon mehr Mitarbeiter*innen direkt einstellen und weniger auf Arbeitsvermittlungsunternehmen zurückgreifen, insbesondere wenn dies ein höheres Risiko für Missbrauch birgt. Wenn solche Unternehmen eingesetzt werden, muss es viel strengere Kontrollen geben, um Missbrauch zu verhindern.
Amazon teilte Amnesty International mit, dass es zwischen März und Juni 2023 Audits bei Al-Mutairi und anderen Auftragnehmer*innen durchgeführt und dabei Missstände festgestellt habe, die mit den Erkenntnissen von Amnesty übereinstimmen. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben vor kurzem Beratungsfirmen beauftragt, um die Arbeitspraktiken der Zulieferfirmen zu überprüfen und Missstände zu beheben, einschließlich der Rückerstattung der Einstellungsgebühren der für diesen Bericht befragten Personen.
Amnesty International fordert für alle Arbeitsmigrant*innen, die Vermittlungsgebühren bezahlt haben, eine Rückzahlung und Entschädigung für alle Missstände, die sie erlitten haben. Steve Cockburn: "Es ist an der Zeit, dass Amazon endlich die Dinge für die Arbeiter*innen, die so gelitten haben, in Ordnung bringt, und dass Saudi-Arabien sein ausbeuterisches Arbeitssystem grundlegend reformiert."