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Eine Botschaft aus Hongkong: Was wir von SARS für COVID-19 gelernt haben

31. März 2020

Coffee Ngai arbeitet im Regionalbüro Hongkong von Amnesty International. Hier erzählt sie über die Erfahrungen mit dem SARS-Ausbruch 2003 und gibt Tipps, wie man die Maßnahmen zum Social Distancing gut übersteht.

Im Hongkong Park, der im Herzen der Innenstadt liegt, stehen acht Bronzebüsten auf rechteckigen Betonsockeln. Sie erinnern an die medizinischen Fachkräfte, die 2003 im Kampf gegen das Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) ums Leben kamen. Die SARS-Epidemie veränderte das Alltagsleben der Bevölkerung Hongkongs sehr stark.

Für viele von uns war es damals das erste Mal, dass wir Quarantäne-Maßnahmen erlebten, die derzeit überall auf der Welt Anwendung finden. Der Ausbruch des neuen Coronavirus COVID-19 ließ viele Erinnerungen an die SARS-Epidemie wach werden. Sie sind schmerzlich, aber erinnern uns auch daran, dass wir solche dunklen Zeiten bereits einmal überwunden haben und uns dies auch heute gelingen wird.

Damals war SARS für die Bevölkerung von Hongkong ein Rätsel. Die Regierung von Festlandchina, wo SARS bereits Monate zuvor aufgetreten war, hatte keine Warnungen ausgegeben, erste Erkenntnisse für sich behalten und nicht einmal die Weltgesundheitsorganisation informiert. Die Hongkonger Behörden reagierten in der Folge auch sehr langsam. Zuerst wurden grundlegende Gesundheitskontrollen eingeführt, wie Körpertemperaturmessungen an den Grenzposten; außerdem wurden Krankenhausbesuche verboten. Davon abgesehen lebten wir aber ziemlich normal weiter. Die Geschäfte blieben geöffnet und 2003 hatten die meisten Büroangestellten noch nicht die Möglichkeit, von zuhause aus zu arbeiten.

Dann erreichten uns Nachrichten über einen Wohnbezirk, der von der Epidemie besonders hart getroffen wurde: Mehr als 300 Menschen hatten sich dort infiziert. Vorerst wusste man nicht, wie sich diese Krankheit ausbreitete und ganz Hongkong geriet in Panik. Auch ich hatte Angst, da ich Freund*innen in dieser Wohngegend hatte, die außerdem nur 20 Fußminuten von meiner Wohnung entfernt lag. Nach diesem Anstieg der Fallzahlen wurden strenge Quarantänemaßnahmen eingeführt. Für die 299 Menschen, die in Hongkong letztlich an SARS starben – etwa 2/5 der weltweiten Opferzahl – kamen sie jedoch zu spät.

 

Wie auch es auch bei COVID-19 der Fall war, beschuldigten damals Ärzt*innen die zentralchinesische Regierung, wichtige Informationen über SARS zurückgehalten zu haben, die viele Leben retten hätten können. Wir alle haben ein Recht auf Informationen, die unsere Gesundheitsversorgung, die Umwelt oder eine gesundheitliche Bedrohung betreffen.

Coffee Ngai, Mitarbeiterin des Regionalbüros Hongkong von Amnesty International

Zurückgehaltene Informationen

Die Art und Weise, wie Tatsachen verschleiert worden waren, verärgerte viele Bewohner*innen Hongkongs und erregte ihr Misstrauen gegenüber den chinesischen und Hongkonger Behörden.

Damals gewöhnten es sich viele Menschen an, bei Erkältungen oder Grippe einen Mundschutz zu tragen. Wir wurden stark dafür sensibilisiert, wie wir die Ausbreitung von Krankheiten eindämmen können. Das war schließlich auch ein Grund dafür, warum die meisten Menschen in Hongkong die Maßnahmen zum Social Distancing, die mit dem Ausbruch von COVID-19 eingeführt wurden, schnell umsetzten. Dies war besonders schwierig, weil die Krankheit ja während der derzeit stattfindenden Proteste ausbrach – in Hongkong hatten viele Menschen seit Monaten gegen die Regierung demonstriert. Tränengas, Wasserwerfer, Massenfestnahmen und sogar der Einsatz von scharfer Munition hielten die Bevölkerung Hongkongs nicht davon ab, auf die Straßen zu gehen und für mehr Freiheit zu demonstrieren und die Polizei für ihren Amtsmissbrauch zur Rechenschaft zu ziehen. Es war herzzerreißend zu sehen, dass dem Virus dies gelingen würde.

Eine leise Ahnung von Normalität

Obwohl uns die Umsetzung schwer fällt, ist Social Distancing als Maßnahme zur Einschränkung des Virus in Hongkong sinnvoll – das haben wir von SARS gelernt und die meisten Menschen waren schnell bereit, diese Tatsache zu akzeptieren. Ich arbeite nun seit neun Wochen von zuhause aus. Ich weiß, dass ich froh sein kann, dass ich meinen Job behalten habe. Während dieser Zeit habe ich mir einiges angewöhnt, um besser mit der Situation zurecht zu kommen: Ich versuche, mich an einen geregelten Zeitplan zu halten, habe Regeln mit meinen Familienmitgliedern vereinbart und versuche, so viel wie möglich mit meinen Freund*innen und Kolleg*innen online zu kommunizieren.

Vor kurzem begannen wir, wieder einen Anflug von Normalität zu spüren, da sich die Atmosphäre der Angst etwas lüftete. Die Menschen gingen wieder hinaus, machten Einkäufe, gingen spazieren und genossen die Sonne. Die Geschäfte füllten ihre Lagerbestände auf. Im nächstgelegenen Park waren Menschen zu sehen, die gemeinsam Joggen gingen und Sport machten. Die große Mehrheit der Menschen trägt jedoch weiterhin Gesichtsmasken: Der vor kurzem festgestellte Anstieg der Fallzahlen beweist nämlich, dass sich die Situation auch sehr schnell wieder ändern kann.

Es ist auch herzzerreißend, zu sehen, wie so viele andere Länder dieselben schmerzhaften Erfahrungen wie wir machen müssen. So viele Menschen sind ums Leben gekommen. Auch wenn daher für viele eine Rückkehr zum normalen Alltag nie wieder möglich sein wird, hoffen wir, von dieser Pandemie etwas gelernt zu haben. Das schließt auch Regierungen ein, die aus vergangenen Fehlern Lehren ziehen müssen.

Wir müssen nun füreinander da sein und alles unternehmen, um unsere medizinischen Fachkräfte zu unterstützen, die so mutig handeln wie jene, die 2003 ihren Einsatz mit ihrem Leben bezahlten. Wir müssen uns für unser Recht auf Gesundheitsversorgung und Information stark machen, damit wir in Zukunft besser darauf vorbereitet sind, die Menschen zu schützen und Leben zu retten.

 

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