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Presse © Britta Pedersen / Dpa / Picturedesk.com

Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Europa: Weitere Amnesty-Studie zeigt erneut Versagen der Staaten im Schutz des Rechts auf Wohnen

23. Juni 2022

Zusammenfassung

  • Aktuelle Studie aus Großbritannien: Wie in Österreich ist auch in England das Recht auf Wohnen nicht ausreichend geschützt
  • Umfrage: Fast jeder dritte Erwachsene in GB befürchtet in den nächsten fünf Jahren wohnungslos zu werden
  • Laut Amnesty führen vor allem strukturelle Missstände und ein bewusst kompliziert gestaltetes System der Wohnungslosenhilfe zu Wohnungs- und Obdachlosigkeit in England

 

Nach ihren umfassenden Recherchen zu Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Österreich hat Amnesty International nun auch eine Untersuchung zu dem Thema in Großbritannien durchgeführt. Beide Berichte resultieren in einer Forderung: Der Zugang zu sicherem und bezahlbarem Wohnen muss (verfassungs-) rechtlich abgesichert werden.

20.000 Menschen in Österreich wohnungs- und obdachlos; 270.000 Menschen in England von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedroht

 

Es geht nicht darum, dass Staaten allen Menschen eine Wohnung zur Verfügung stellen müssen, sondern dass von staatlicher Seite Voraussetzungen und ein System geschaffen werden, in dem Wohnen für alle möglich ist.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Das bezieht sich sowohl auf Österreich als auch für Großbritannien. Das Versagen des Staates lässt sich da wie dort in Zahlen ablesen: Laut Statistik Austria waren im Jahr 2020 knapp 20.000 Menschen hierzulande als wohnungs- und obdachlos registriert – und die Dunkelziffer ist um einiges höher, denn die Statistik erfasst bei weitem nicht alle Formen der Wohnungslosigkeit. Auf der Insel sind die Zahlen relativ gesehen noch höher: 270.000 sind laut offiziellen Regierungsstatistiken von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Großbritannien bedroht – damit ist der Anteil gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl knapp doppelt so hoch wie in Österreich.

Laut den Berichten von Amnesty International haben in beiden Ländern Maßnahmen der jeweiligen Regierungen dazu geführt, dass Tausenden von Menschen das Recht auf Wohnen verwehrt wird. In Österreich ist die Wohnungslosenhilfe ein regelrechter Fleckerlteppich, und es gleicht einer Lotterie, ob Betroffene Zugang dazu haben. Auch führen laut Amnesty eine Reihe an strukturellen Faktoren in Österreich zu Wohnungs- und Obdachlosigkeit. In England ist es nicht besser: Betroffene müssten ein „absolutes Hindernisrennen“ absolvieren, um eine Anspruchsberechtigung auf Wohnhilfe zu haben – und zwar ganz bewusst, da es in Großbritannien einfach nicht genügend Wohnraum für den ständig wachsenden Bedarf gibt. Auch bestimmte Einwanderungsbeschränkungen führen dazu, dass die Menschen, die am schutzbedürftigsten sind, am wenigsten mit Unterstützung rechnen können.

Umfrage: „Selbst schuld“?

Nach neuesten Umfragen ist mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Großbritannien der Meinung, dass am ehesten individuelle Umstände wie Beziehungsprobleme oder eine Suchterkrankung dafür verantwortlich sind, dass Menschen wohnungs- oder obdachlos werden.

Diese weit verbreitete Meinung kommt den Regierungen da wie dort sehr gelegen, dabei ist Obdachlosigkeit in Wahrheit das Ergebnis eines systematischen Versagens des Staates.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Und weiter, auch mit Blick auf Österreich: „Im öffentlichen Diskurs werden wohnungs- und obdachlose Personen stigmatisiert und ausgegrenzt, die Unterstützung für sie als ein Almosen des Staates gesehen. Aber es ist nicht das „Selbstverschulden“ eines Menschen, sondern strukturelle Missstände, die zu Wohnungs- und Obdachlosigkeit führen und die die Regierungen zu verantworten haben.“

Wohnen ist ein Menschenrecht, kein Luxus und keine Ware

Dabei ist Wohnen ein Menschenrecht – abgeleitet aus dem Recht jeder*s Einzelnen auf einen angemessenen Lebensstandard und verankert im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz UN-Sozialpakt). „Dieser Anspruch ist universell und gilt für alle Menschen, auch wenn es die wenigsten wissen – offenbar auch die Regierungsverantwortlichen nicht“, bringt es Annemarie Schlack auf den Punkt.

Amnesty International fordert die wirksame Umsetzung des Rechts auf Wohnen: „Der Zugang zu sicherem und bezahlbarem Wohnraum muss als Menschenrecht gesetzlich verankert werden, damit die britische Regierung die notwendige Finanzierung von Maßnahmen sicherstellt, die zur Bekämpfung der hohen Wohnungs- und Obdachlosigkeit in England notwendig sind. Denn diese wird sich durch den extremen Anstieg der Lebenshaltungskosten voraussichtlich noch weiter verschärfen“, so Amnesty International anlässlich der Veröffentlichung des Berichts aus Großbritannien. In Österreich gilt für Annemarie Schlack dasselbe:

Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich bei der Bekämpfung und Vorbeugung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit um eine menschenrechtliche Verpflichtung Österreichs handelt – zu der sich Österreich völkerrechtlich verpflichtet hat.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Denn auch in Österreich spüren die Menschen die steigenden Teuerungen bei Lebensmittel, Energiepreisen und Wohnkosten zusehends, so Annemarie Schlack, und weiter: „Es braucht dringend eine nationale Wohnstrategie, in der alle Fragen von Zugang und Sicherstellung von leistbarem Wohnraum über wirksame Delogierungsprävention bis hin zur Frage der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Wohnungslosenhilfe, behandelt werden. Die Einbindung von Menschen mit Erfahrung in der Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist dafür unbedingt notwendig.“

Wohnen ist (d)ein Menschenrecht

Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Dazu gehört leistbarer und sicherer Wohnraum. Fordere mit uns gemeinsam ein menschenwürdiges Zuhause. Für alle Menschen.