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EU: „Kaputtes System“ lässt Menschen auf dem Meer im Stich

18. Jänner 2019

Amnesty International fordert EU-Regierungen Zum Handeln auf 

Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen dringend etwas gegen das System tun, das Staaten aktiv davon abhält, Menschen auf der Flucht und Migrant*innen in Seenot zu helfen. Dies fordert Amnesty International in dem neu veröffentlichten Bericht Cut adrift in the Mediterranean. 

Der Bericht zeigt auf, wie Europa die Grenzkontrolle den libyschen Behörden überlässt und wie innerhalb Europas ein System geschaffen wurde, das die Verantwortung für Asylsuchende nicht gerecht verteilt. Dies führt immer wieder dazu, dass Asylsuchende und Migrant*innen einfach im Mittelmeer zurückgelassen werden. In dem Bericht werden außerdem Maßnahmen aufgezeigt, mit denen Situationen wie das Anlegeverbot für Schiffe der NGOs Sea-Watch und Sea-Eye sowie das Auslaufverbot für ein Schiff der NGO Proactiva Open Arms verhindert werden können.

„Die Situation ist beschämend: Rettungsschiffe werden zurückgehalten, um Frauen, Männer und Kinder wochenlang auf hoher See ausharren zu lassen, während die politisch Verantwortlichen noch wetteifern, wer am wenigsten Menschen einreisen lässt und am wenigsten Hilfe bereitstellt. Das darf sich nie wieder wiederholen“, sagt Matteo de Bellis, Experte für Asyl und Migration bei Amnesty International.

 

Das System funktioniert weder für die EU-Grenzstaaten noch für die Menschen, die entweder auf See zurückgelassen werden oder in EU-Ländern mit schwerfälligen und überforderten Asylsystemen festsitzen.

Matteo de Bellis, Experte für Asyl und Migration bei Amnesty International

„Die europäischen Regierungen müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um ein kaputtes System zu reparieren. Das System funktioniert weder für die EU-Grenzstaaten noch für die Menschen, die entweder auf See zurückgelassen werden oder in EU-Ländern mit schwerfälligen und überforderten Asylsystemen festsitzen.“

Europaweiter Mechanismus gefordert

Es existiert bisher kein europaweiter Mechanismus, der die Verantwortung für die Aufnahme von neu eintreffenden Asylsuchenden gleichmäßig verteilt. Dies hat ernste Konsequenzen für die Länder an den EU-Außengrenzen, die dafür verantwortlich sind, Asylanträge zu bearbeiten, Asylsuchende unterzubringen, erfolgreiche Bewerber*innen zu integrieren und abgewiesene Asylsuchende in ihr Herkunftsland zurückzuführen.

Die Regierungen der EU-Länder haben eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, um die Überquerung des Mittelmeers zu verhindern. Darunter fällt die Unterstützung für die libysche Küstenwache, damit diese schutzsuchende Menschen aufgreift, und Erschwerung der Arbeit von NGOs, die Such- und Rettungseinsätze durchführen.

Ziel dieser Strategie ist es, Menschen aus Europa fernzuhalten – und das, obwohl Libyen nicht die Kapazität hat, Rettungseinsätze zu koordinieren, und obwohl es völkerrechtlich verboten ist, aus Seenot gerettete Menschen an ein Land zu übergeben, in dem ihnen – wie in Libyen – Folter, Erpressung oder Vergewaltigung drohen.

Rettungsorganisationen werden abgewiesen

Manche EU-Länder lassen ihre eigene Marine entweder gar keine oder kaum noch Patrouillen fahren, um die Anzahl von Menschen zu reduzieren, die in ihren Häfen an Land gehen. Einige Rettungsorganisationen, die daraufhin aktiv geworden sind, werden an vielen Häfen regelmäßig abgewiesen, insbesondere in Italien und Malta. Einige EU-Länder haben sogar unbegründete Strafverfahren gegen diese Organisationen eingeleitet oder bürokratische Hürden aufgebaut, um sie an ihren Rettungseinsätzen zu hindern.

Das jüngste Beispiel: die Intervention der spanischen Seefahrtsbehörden, die ein Auslaufverbot für das Rettungsschiff Open Arms der Hilfsorganisation Proactiva Open Arms verhängt haben. Sie haben damit verhindern, dass Menschen im zentralen Mittelmeer gerettet werden – obwohl sie in der Verwaltungsverordnung auf die Mängel im System hingewiesen und deutlich gemacht haben, dass die Mittelmeerstaaten gegen das internationale Seerecht und die entsprechenden Standards verstoßen und dass es die Hilfsorganisationen und Asylsuchenden sind, die den Preis dafür zahlen.

„Vorschläge für eine Reform des derzeitigen Systems und für vorübergehende Notlösungen sind bisher von einigen Seiten blockiert worden. Doch im Vorfeld der Europawahlen im Mai können wir immer noch etwas erreichen“, sagt Matteo de Bellis.

„Europäische Entscheidungstragende dürfen vor den Menschen in Seenot nicht länger die Augen verschließen und die Migrationsdebatte für ihre eigenen politischen Zwecke nutzen. Stattdessen müssen sie sich dringend auf eine schnell umsetzbare, transparente und dem Völkerrecht entsprechende Ausschiffungspolitik einigen und ein System beschließen, das die Verantwortung für Asylsuchende gerecht auf alle EU-Staaten verteilt.“

Hintergrund

Am Montag, den 14. Jänner, wurde bekannt, dass die spanischen Behörden das Rettungsschiff Open Arms der Hilfsorganisation Proactiva Open Arms daran hindern, in das zentrale Mittelmeer aufzubrechen.

In Malta durften in der zweiten Jännerwoche endlich 49 Menschen von Bord gehen, die 19 Tage lang auf den Schiffen Sea-Watch 3 und Professor Albrecht Penck – von der Hilfsorganisation Sea Eye – ausgeharrt hatten.

Die Bestimmungen des europäischen Asylsystems (das sogenannte Dublin-System) halten Staaten davon ab, angekommene Asylsuchende zügig an Land gehen zu lassen. Diese Bestimmungen legen fest, welches Land für die Bearbeitung eines Asylantrags verantwortlich ist.

In der Regel ist für einen Asylantrag das Land verantwortlich, in das die asylsuchende Person in die EU eingereist ist. Dort muss der oder die Asylsuchende während des Prozesses untergebracht und später im Erfolgsfall integriert bzw. bei abgewiesenem Antrag in das Herkunftsland zurückgeführt werden.

Im Jahr 2017 schlug das Europaparlament eine radikale Reform der Dublin-Verordnung vor, um einen verbindlichen Mechanismus einzuführen, der Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, gerecht auf alle EU-Staaten aufteilen sollte. Doch letztlich konnte man sich innerhalb des Europäischen Rates nicht auf die Reform einigen, da einige europäische Länder sich dagegenstemmten, Verantwortung für Asylsuchende zu übernehmen.

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