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Saudi-Arabien: Hunderttausende äthiopische Arbeitsmigrant*innen willkürlich inhaftiert und dann abgeschoben

16. Dezember 2022

Zusammenfassung

  • Seit 2017 wurden hunderttausende äthiopische Arbeitsmigrant*innen willkürlich und unter grausamen Bedingungen inhaftiert und anschließend abgeschoben
  • Sogar Kinder unter grausamen Bedingungen in überfüllten Hafteinrichtungen festgehalten
  • Fälle von Folter und Todesfällen in Haft und schwere körperliche und psychische Langzeitfolgen für Betroffene
  • Aktuell mehr als 30.000 äthiopische Staatsangehörige inhaftiert

Die saudischen Behörden haben Hunderttausende äthiopische Arbeitsmigrant*innen abgeschoben, nachdem sie sie willkürlich unter grausamen Bedingungen festgehalten hatten – nur weil sie keine gültigen Aufenthaltspapiere besitzen. Diese Situation wird durch das saudische Kafala-System noch verschärft, das eine enorme Abhängigkeit der Migrant*innen von ihren Arbeitgeber*innen mit sich bringt. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einem neuen Bericht. Amnesty International fordert von den saudischen Behörden, mehrere Fälle von Folter sowie mindestens zehn Todesfälle in Haft, die in den Jahren 2021 und 2022 dokumentiert wurden, zu untersuchen.

Der neue Amnesty-Bericht “It’s like we are not human”: Forced returns, abhorrent detention conditions of Ethiopian migrants in Saudi Arabia" beschreibt die Situation von äthiopischen Arbeitsmigrant*innen, die willkürlich in den überfüllten Hafteinrichtungen Al-Kharj und Al-Shumaisi festgehalten wurden. Sogar Kinder waren dort grausamen Haftbedingungen ausgesetzt. Die Betroffenen, deren Fälle in dem Bericht dokumentiert sind, waren anschließend, zwischen Juni 2021 und Mai 2022, nach Äthiopien abgeschoben worden.

Saudi-Arabien investiert aggressiv in die Aufpolierung seines Images, um ausländische Unternehmen und Investor*innen anzulocken. Doch hinter dieser glitzernden Fassade verbirgt sich eine schreckliche Geschichte. Migrant*innen, die geschuftet haben, um Saudi-Arabien bei der Verwirklichung seiner großen Vision zu helfen, werden ausgebeutet und misshandelt.

Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International

„Seit 2017 hat Saudi-Arabien Hunderttausende äthiopische Arbeitsmigrant*innen willkürlich inhaftiert und anschließend abgeschoben. Und zwar unter so gewaltsamen und unmenschlichen Bedingungen, dass viele von ihnen infolgedessen an schweren körperlichen und psychischen Langzeitfolgen leiden. Aktuell sind mehr als 30.000 äthiopische Staatsangehörige inhaftiert. Da sich die Haftbedingungen bisher nicht geändert haben, laufen sie Gefahr, dass ihnen das gleiche Schicksal widerfährt. Nur weil eine Person keine Papiere hat, heißt das noch lange nicht, dass man sie ihrer Menschenrechte berauben kann“, sagte Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

In Saudi-Arabien leben schätzungsweise 10 Millionen Arbeitsmigrant*innen. Amnesty International hat sich in dem vorliegenden Bericht auf die Situation von äthiopischen Arbeitsmigrant*innen ohne gültige Aufenthaltspapiere konzentriert, da die äthiopischen und saudischen Behörden im März 2022 angekündigt haben, dass bis zum Jahresende mindestens 100.000 äthiopische Männer, Frauen und Kinder nach Äthiopien abgeschoben werden sollen.

Amnesty International sprach zwischen Mai und Juni 2022 mit elf äthiopischen Arbeitsmigrant*innen, die bis zu ihrer Abschiebung in Saudi-Arabien inhaftiert waren. Außerdem befragten die Expert*innen der Menschenrechtsorganisation ein Familienmitglied eines ehemaligen Häftlings sowie humanitäre Helfer*innen und Journalist*innen, die mit der Situation in den Haftzentren für Migrant*innen vertraut sind.

Amnesty International liegen geoverifizierte Videos aus dem Inneren der Haftzentren Al-Kharj und Al-Shumaisi vor, die die dortigen katastrophalen Bedingungen belegen.

Abschiebungen

Seit 2017 gehen die saudischen Behörden verstärkt gegen äthiopische Arbeitsmigrant*innen ohne gültige Papiere vor, die Festnahmen und Abschiebungen nehmen zu. Aufgrund des Kafala-Systems haben diese oft keine Möglichkeit, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Selbst diejenigen mit gültigen Papieren laufen Gefahr, ihren legalen Aufenthaltsstatus zu verlieren, wenn sie Arbeitgeber verlassen, die sie ausgebeutet oder andere Verstöße begangen haben.

Viele der mehr als 30.000 äthiopischen Staatsangehörigen, die momentan allein wegen fehlender Papiere willkürlich inhaftiert sind, sehen sich gezwungen, ihrer Rückkehr nach Äthiopien zuzustimmen. Ihre Haftbedingungen sind miserabel, die Haftdauer ist ungewiss und sie haben keine Möglichkeit, ihre Inhaftierung rechtlich anzufechten.

Amnesty International ist der Ansicht, dass die betroffenen Migrant*innen aufgrund dieser Bedingungen keine freiwillige Entscheidung im Sinne des Grundsatzes der freien und informierten Zustimmung treffen können. Somit kommt ihre Rückkehr nach Äthiopien einer Abschiebung gleich. Das Versäumnis der saudischen Behörden, eine Einzelfallprüfung des potenziellen Schutzbedarfs der inhaftierten Migrant*innen vorzunehmen, birgt auch die Gefahr, dass Personen abgeschoben werden, die in Äthiopien gefährdet sind. Das stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (non-refoulement) dar.

Unmenschliche Haftbedingungen

Die von Amnesty International befragten Migrant*innen bezeichneten die Überbelegung und die unhygienischen Bedingungen sowohl im Al-Kharj-Gefängnis in Riad als auch im Al-Shumaisi-Gefängnis in der Nähe der Stadt Jeddah als „unmenschlich“. Sie berichteten von Folter und Schlägen, von unzureichender Nahrung und Wasser und fehlenden Schlafmöglichkeiten. Auch gebe es keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, nicht einmal für Kinder, Schwangere und Schwerkranke.

Amnesty International stellte zudem fest, dass auch unbegleitete Minderjährige sowie Schwangere unter den Abgeschobenen waren.

Bilal wurde elf Monate lang im Al-Shumaisi-Gefängnis festgehalten. Der ehemalige Gefangene berichtete, dass er sich eine Zelle mit 200 anderen Personen teilen musste, obwohl es nur 64 Betten gab. Die Gefangenen mussten abwechselnd auf dem Boden schlafen. Bilal schloss seinen Bericht mit den Worten „It’s like we are not human“ – „Das ist, als wären wir keine Menschen.“

Unzureichende Gesundheitsversorgung, Tod und Krankheit

Zwei Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen berichteten Amnesty International, dass viele der aus saudi-arabischen Gefängnissen nach Äthiopien Abgeschobenen an Atemwegs- und Infektionskrankheiten wie Tuberkulose litten.

Amnesty International dokumentierte auch Todesfälle in den Hafteinrichtungen Al-Kharj und Al-Shumaisi. Ehemalige Gefangene berichteten, dass dort zwischen April 2021 und Mai 2022 zehn Menschen gestorben seien. Vielen von ihnen wurde die medizinische Versorgung verweigert, in einem Fall auch nach Verletzungen durch Schläge. Amnesty International fordert die Behörden auf, diese Todesfälle in Gewahrsam zu untersuchen. Es muss festgestellt werden, inwieweit sie mit der Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung zusammenhängen.

Schläge und Folter

Sechs ehemalige Häftlinge berichteten Amnesty International, dass sie geschlagen und gefoltert wurden. Dabei sollen Metallstöcke und Kabeldrähte eingesetzt worden sein. Sie wurden ins Gesicht geschlagen, geohrfeigt und gezwungen, bei extremer Hitze so lange draußen auf dem Asphalt zu stehen, bis ihre Haut verbrannte.

Die Betroffenen gaben an, dass sie gefoltert worden seien, nachdem sie gegen ihre Haftbedingungen protestiert hatten oder nachdem sie versuchten, für einen kranken Zellengenossen medizinische Hilfe zu bekommen.

„Saudi-Arabien ist eines der reichsten Länder der Welt, pfercht jedoch Migrant*innen in schmutzige Haftanstalten und weigert sich, ihnen eine angemessene medizinische Versorgung, Nahrung und Wasser zukommen zu lassen. Die anhaltenden Misshandlungen, die in einigen Fällen sogar zum Tod führten, zeigen die mangelnde Bereitschaft der saudischen Behörden, Arbeitsmigrant*innen zukünftig besser zu behandeln. Die Behörden müssen dringend sowohl die Todesfälle als auch die Foltervorwürfe von ehemals inhaftierten Arbeitsmigrant*innen untersuchen. Noch besser wäre es, sie gar nicht erst einzusperren“, sagte Heba Morayef.

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