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November-Massaker in Äthiopien: Amnesty-Bericht belegt systematische Tötung Hunderter Zivilist*innen

26. Februar 2021

Zusammenfassung

  • Angehörige der eritreischen Streitkräfte töteten im November letzten Jahres im äthiopischen Bundesstaat Tigray systematisch Hunderte unbewaffnete Zivilist*innen
  • Amnesty International interviewte 41 Überlebende und Augenzeug*innen der Massentötungen vom November 2020 und verifizierte frische Begräbnisstätten mit Hilfe von Satellitenbildern 
  • Armeeangehörige verantwortlich für außergerichtliche Hinrichtungen und Plünderungen

Am 28. und 29. November 2020 töteten Angehörige der eritreischen Streitkräfte im äthiopischen Bundesstaat Tigray systematisch Hunderte von unbewaffneten Zivilpersonen. Sie eröffneten in den Straßen der Stadt Axum das Feuer und durchkämmten ein Haus nach dem anderen – ein Massaker, das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnte. Zu diesem Ergebnis kommt Amnesty International in einem neuen Bericht.

Amnesty International sprach mit 41 Überlebenden und Zeug*innen. Diese berichteten übereinstimmend von außergerichtlichen Hinrichtungen, wahllosem Beschuss und Massenplünderungen nach einer Offensive durch äthiopische und eritreische Truppen. Diese hatten die Stadt Axum Mitte November angegriffen, um sie von den Milizen der Volksbefreiungsfront von Tigray (Tigray People’s Liberation Front, TPLF) zurückzuerobern.

Die Auswertung von Satellitenbildern durch das Crisis Evidence Lab von Amnesty International bestätigt Berichte über wahllosen Beschuss und Massenplünderungen. Außerdem zeigen die Bilder Bodenveränderungen, die auf neue Massengräber in der Nähe von zwei Kirchen der Stadt hinweisen.

„Die Beweise sind überzeugend und legen eine erschreckende Schlussfolgerung nahe. Äthiopische und eritreische Truppen verübten bei ihrer Offensive zur Rückeroberung von Axum mehrere Kriegsverbrechen. Eritreische Soldaten randalierten und töteten systematisch und kaltblütig Hunderte von Zivilpersonen – alles deutet darauf hin, dass der Tatbestand ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ erfüllt ist“, so Deprose Muchena, Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika bei Amnesty International.

Die Gräueltaten zählen zu den schlimmsten, die bisher in diesem Konflikt dokumentiert wurden. Die Zahl der Todesopfer ist hoch. Die Bewohner*innen von Axum wurden tagelang traumatischen Erlebnissen ausgesetzt, die von Gewalt, Trauer und Massenbegräbnissen geprägt waren.

Deprose Muchena, Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika bei Amnesty International

Zivilist*innen durch wahllose bombardierungen getötet

Am 19. November 2020 nahmen äthiopische und eritreische Streitkräfte in einer groß angelegten Offensive die Stadt Axum ein. Mittels wahlloser Bombardierungen und Beschuss töteten und vertrieben sie zahlreiche Zivilist*innen.

In den folgenden neun Tagen beging das eritreische Militär Massenplünderungen und außergerichtliche Hinrichtungen.

Die Zeug*innen konnten die Angehörigen der eritreischen Streitkräfte leicht identifizieren. Sie fuhren Fahrzeuge mit eritreischen Nummernschildern, trugen unverwechselbare Tarnkleidung und Schuhe, die von den eritreischen Streitkräften verwendet werden. Außerdem sprachen sie Arabisch oder einen Tigrinya-Dialekt, der in Äthiopien nicht gesprochen wird. Einige trugen die rituellen Gesichtsnarben der ethnischen Gemeinschaft der Ben Amir, die in Äthiopien nicht vertreten ist. Einige der Soldaten machten keinen Hehl aus ihrer Identität und sagten den Anwohner*innen offen, dass sie Eritreer seien.

„Wir sahen nur Tote und weinende Menschen“

Zeug*innen zufolge verübten die eritreischen Streitkräfte die schlimmsten Gewalttaten am 28. und 29. November 2020. Der Angriff erfolgte unmittelbar, nachdem eine kleine Gruppe von TPLF-Milizionären am Morgen des 28. November einen Militärstützpunkt auf dem Berg Mai Koho angegriffen hatte, der in unmittelbarer Nähe von Axum liegt. Die Milizionäre waren mit Gewehren bewaffnet und wurden von Anwohner*innen mit improvisierten Waffen wie Stöcken, Messern und Steinen unterstützt.

In einem Video, das am Morgen des 28. November von unterschiedlichen Orten am Fuße des Berges aufgenommen wurde, sind anhaltende Schüsse zu hören. Überlebende und Augenzeug*innen berichteten, dass die eritreischen Streitkräfte ab etwa 16 Uhr begonnen hätten, vorsätzlich auf Zivilpersonen zu schießen. Die Bewohner*innen gaben an, dass die Opfer unbewaffnet gewesen und viele von ihnen auf der Flucht vor den Soldaten erschossen worden seien.

Nach den Tötungen waren die gepflasterten Straßen und Plätze von Axum mit Leichen übersät. Am nächsten Tag schossen die eritreischen Soldaten auf alle, die versuchten, die Getöteten zu bergen.

Außerdem durchsuchten sie weiter die Häuser. Sie jagten und töteten Männer und Jugendliche, aber auch eine kleinere Anzahl von Frauen.

Amnesty International hat die Namen von mehr als 240 Opfern zusammengetragen. Zwar konnte die Organisation die Gesamtzahl der Todesopfer nicht verifizieren, doch legen übereinstimmende Zeugenaussagen und eine Reihe überzeugender Indizien nahe, dass Hunderte Einwohner*innen von Axum getötet wurden.

Die Toten beerdigen

Die meisten Begräbnisse fanden am 30. November statt, doch die Bergung und das Beerdigen der Toten dauerte mehrere Tage. Die Anwohner*innen gaben an, dass sie nach dem Massaker mehrere Hundert Menschen begraben hätten.

Mittels Geolokalisierung konnte das Crisis Evidence Lab von Amnesty International ein Video verifizieren, auf dem zu sehen ist, wie mehrere Personen auf dem Da’Ero Ela-Platz einen toten Mann auf einer Bahre Richtung Arba’etu Ensessa-Kirche tragen (14.129918, 38.717113). Hochauflösende Satellitenbilder vom 13. Dezember zeigen, dass der Boden um die Kirchen Arba'etu Ensessa und Abune Aregawi kürzlich umgegraben wurde – was die Berichte von dort neu angelegten Gräbern untermauert.

Einschüchterungsversuche und Plünderungen

In den Tagen nach den Beisetzungen trieben Angehörige der eritreischen Streitkräfte in verschiedenen Stadtteilen Hunderte von Einwohner*innen zusammen. Sie verprügelten einige der Männer und drohten ihnen mit neuen Rachemorden, sollten sie sich wehren.

Außerdem verzeichneten die Einwohner*innen von Axum in dieser Zeit einen Anstieg von Plünderungen durch die eritreischen Streitkräfte. Betroffen waren sowohl öffentliche Gebäude – darunter ein Krankenhaus –, als auch Geschäfte und Privathäuser. Die Soldaten nahmen in großem Umfang Luxusgüter und Fahrzeuge sowie Medikamente, Möbel, Haushaltsgegenstände, Lebensmittel und Getränke mit.

Das humanitäre Völkerrecht verbietet ein vorsätzliches Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, wahllose Angriffe und Plünderungen. Verstöße gegen diese Regeln stellen Kriegsverbrechen dar. Rechtswidrige Tötungen, die Teil eines breiten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung sind, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

„Es muss dringend eine UN-geführte Untersuchung der schweren Menschenrechtsverletzungen in Axum eingeleitet werden. Diejenigen, die für Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sein könnten, müssen in fairen Prozessen vor Gericht gestellt und die Opfer und ihre Angehörigen müssen umfassende Entschädigungen erhalten“, sagte Deprose Muchena.

„Wir fordern die äthiopische Regierung erneut auf, Menschenrechts- und sonstigen humanitären Organisationen sowie den Medien vollen und uneingeschränkten Zugang zur gesamten Region Tigray zu gewähren.“

 

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